Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz

Der Muttermörder mit dem Schal - Bernd Kaufholz


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ihm ein Mithäftling empfohlen, die Wahrheit zu sagen. „Heinz Scharff* hat gesagt: ‚Dann kommst du besser weg.‘ Ich habe ihm geantwortet, dass ich mir dann etwas ausdenken muss, weil ich so blau war, dass ich mich kaum noch erinnern kann. Beim nächsten Verhör habe ich mir deshalb etwas ausgedacht.“

      Nun gibt er zu Protokoll, dass er sich von dem Moment an, wo er das Lokal verlassen hat, an nichts mehr erinnern könne. „Zur Besinnung kam ich erst, als Büntje vor mir zusammenbrach. Wie die Auseinandersetzung vor der Gaststätte begann und was passiert ist, kann ich nicht sagen.“

      Kreisstaatsanwalt Krieg beschreibt in einer Aktennotiz das Verhalten Buckows während seiner Aussage am 13. März als „verstockt“. Der Beschuldigte habe einen „unehrlichen Eindruck hinterlassen“. Er habe zum Ausdruck gebracht, dass er beim kommenden Prozess bei dieser Darstellung bleiben werde.

      Eine Woche später erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Kreisgericht Salzwedel. Doch die Strafkammer weist den Fall an die Staatsanwaltschaft zurück und ordnet Nachermittlungen an. Grund sind die verschiedenen Darstellungen Buckows zum Tathergang. Das Gericht listet fünf Fragen auf: Wie hat der Angeklagte das Messer beim Stechen wirklich gehalten? Welcher Stich wurde als erster geführt? War das Opfer dem Täter zugewandt oder stand es mit dem Rücken zu ihm? Wie, aus welcher Messerhaltung und aus welcher Richtung wurden die Stiche geführt? Lassen die Blutspritzer an der Kleidung des Täters Aussagen zu, ob die Stiche stehend geführt wurden und aus welcher Richtung?

      Oberarzt Wolff erstellt ein Zusatzgutachten. Er bietet zum Tatablauf zwei Varianten an: 1. Büntje gelang es, Buckow zu Boden zu werfen, und kam auf ihm zu liegen. Buckow griff zum Messer, stach ihm in die linke Seite, dann schob er ihn zur linken Seite hinunter. 2. Die beiden Männer standen sich gegenüber. Beide Varianten stünden nicht im Widerspruch zu den Sektionsergebnissen.

      Zur Reihenfolge der Stiche sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zuerst der Stich in die Brust erfolgte.

      Am 1. April 1963 wird die Tat zum zweiten Mal rekonstruiert. Doch auf große Unterstützung durch Buckow können die Ermittler diesmal nicht zählen. Erst nach langem Zureden sagt der Altmärker, dass er lediglich in der Lage sei, die Endphase der Auseinandersetzung zu schildern. Nach dem letzten Stich sei Hansi Büntje „in sich zusammengebrochen“.

      Ergänzt durch die Nachermittlungen, die jedoch kaum neue Anhaltspunkte gebracht haben, setzt das Kreisgericht Salzwedel einen Termin für die Hauptverhandlung fest. Und am 3. Mai 1963 wird Walter Buckow von der Strafkammer wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Strafrahmen liegt zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Eine Notwehrsituation habe nie zur Debatte gestanden, sagt Kreisgerichtsdirektor Hanschmann in seiner Urteilsbegründung. Auch die Alkoholeinwirkung könne nicht als mildernder Umstand gewertet werden. Für den Angeklagten spreche lediglich seine Jugend, so der Jurist.

      Der Anwalt des Verurteilten legt Berufung ein. Dr. Schrodt stützt sich dabei hauptsächlich auf die aus seiner Sicht „ungenügende Aufklärung und unrichtige Darstellung des Sachverhalts“. Außerdem sieht er in der Tatsache, dass sein Antrag, die Polizisten Michel und Bierstedt als Zeugen zu vernehmen, vom Gericht abgelehnt wurde, eine nicht zu akzeptierende Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit seines Mandanten. Auch die Gutachten seien nicht sehr erhellend. Auf keinen Fall liege der Paragraph 112, Totschlag, vor. Schrodt rügt zudem die Höhe der Strafe. Acht Jahre Zuchthaus seien viel zu viel. Buckow sei bisher unbestraft und das spätere Opfer habe ihn angegriffen.

      Der III. Strafsenat des Magdeburger Bezirksgerichts verhandelt die Berufung am letzten Maitag des Jahres 1963 und ändert das Urteil des Kreisgerichts Salzwedel ab: „Der Angeklagte wird wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.“ In keiner Phase des Verfahrens habe der Angeklagte zugegeben, den Getöteten bewusst in den Hals gestochen zu haben. „Dies hätte das Kreisgericht beachten müssen. Denn erst dann wäre ein Tötungsvorsatz gegeben und somit Totschlag“, führt Oberrichter Neuhof aus. „Nur beim Zielen auf den Hals musste der Angeklagte wissen, dass dieser Stich zum Tode führt (…).“ Trotzdem bleibt das Gericht bei der Strafhöhe. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

      Doch damit ist der Generalstaatsanwalt der DDR in Berlin nicht einverstanden. Er stellt an den Präsidenten des Obersten Gerichts den Antrag der „Kassation“ – die Aufhebung des Urteils ohne neue Sachentscheidung. Der oberste Ankläger bezieht sich dabei auf die Sachbeweise des Kreisgerichts Salzwedel. „Der Angeklagte ist ein haltloser, dem Alkohol stark zusprechender Mensch, der dafür bekannt ist, dass er in angetrunkenem Zustand stänkert. Sein Verhalten am Abend vor der Tat beweist diese Feststellung der verschiedenen Zeugen,“ endet der Antrag. Das Verfahren soll zur erneuten Entscheidung an das Bezirksgericht Magdeburg zurückverwiesen werden.

      Am 4. Oktober entspricht der 5. Strafsenat dem Antrag. Die Urteile des Kreisgerichts Salzwedel und des Magdeburger Bezirksgerichts sind somit „aufgrund von Gesetzesverletzungen“ ungültig. In erster Linie verweist der Vorsitzende Richter Graf darauf, dass die Behauptung Buckows, vor der Gaststättentür angegriffen worden zu sein „sehr fraglich“ sei. „Doch selbst wenn man das zugunsten des Angeklagten unterstellt, kann nicht außer Betracht bleiben, dass der angetrunkene Büntje nach eigenen Angaben Buckows gar nicht in der Lage war, ihm ernsthaft weh zu tun.“ Besonders nach dem Bruststich habe für Buckow keinesfalls noch eine bedrohliche Situation bestanden. Falsch sei auch die Höhe der Strafe von acht Jahren Zuchthaus, selbst dann, wenn man nur Körperverletzung mit Todesfolge zugrunde lege.

      Am 31. März 1964 verhandelt das Bezirksgericht Magdeburg zum zweiten Mal den Fall – diesmal der 1. Strafsenat. Vier Tage später spricht Richterin Schilling das Urteil: Dreizehn Jahre Zuchthaus wegen Totschlags. Der Senat macht sich in der Begründung in fast allen Punkten die Argumentation des Obersten Gerichtshofes der DDR zueigen, besonders was den Halsstich anbelangt.

      Rechtsanwalt Schrodt aus Salzwedel unternimmt einen letzten Versuch, um seinen Mandanten die lange Haftstrafe zu ersparen. Er geht am 8. April 1964 in Berufung. Doch diese wird einen Monat später vom 5. Strafsenat des Obersten Gerichts in Berlin als unbegründet verworfen.

      1972 wird Buckow aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen. Er muss sich drei Jahre bewähren. Der „Führungsbericht“ des Leiters der Strafvollzugsanstalt bescheinigt dem Fleetmarker eine „positive Entwicklung“. Kurz vor seinem 40. Geburtstag öffnet sich am 27. November 1972 für Buckow die Zuchthaustür.

      Es ist der 7. November 1963. Eine Frau tastet sich kurz nach Mitternacht durch ihre stockdunkle Parterrewohnung in Weferlingen bei Haldensleben. Sie hat kein Licht gemacht, damit den anderen Bewohnern im Haus in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft nicht auffällt, dass sie zu so später Stunde noch herumhantiert. Sie schlurft in der Stube vorsichtig zwischen Plüschsofa und Radiohocker hindurch bis zur Tür mit dem Kastenschloss. Dahinter befindet sich eine eineinhalb Quadratmeter große Abstellkammer. Früher war dort der Treppenaufgang, der von der Toreinfahrt des Hauses heraufführte. Doch bereits vor einiger Zeit wurde die Außentür verriegelt.

      Minna Brauer* öffnet die Tür und fühlt vor sich die aufrecht stehende Kastenmatratze aus dem Bett ihres Mannes. Die hat sie vor einigen Tagen in den kleinen Abstellraum gestellt. Sie legt die Matratze vorerst in die Stube der Dreiraumwohnung. Dann fühlt sie nach dem Toten, der seit drei Tagen in der Kammer liegt. Es ist die Leiche ihres Mannes. Die Wanduhr über dem Sofa und neben dem gerahmten Hochzeitsfoto der Brauers schlägt ein Mal – halb eins.

      Minna Brauer, die Toilettenfrau aus der Zuckerfabrik Weferlingen, greift dem Toten unter die Arme und schleift ihn durch das Wohnzimmer bis zur Tür, die in den Hausflur führt. Zuerst öffnet sie die Tür nur einen Spaltbreit und lauscht mit angehaltenem Atem, ob sich draußen irgendetwas regt. Sie hört jedoch nur ihren eigenen, lauten Herzschlag. Sie nimmt den Leichnam hoch und stößt mit dem Fuß die Tür ganz auf. Dann trägt sie den Körper bis zur kaum 1,50 Meter hohen Tür in der Mitte des Hausflurs. Dahinter liegen die gewölbeartigen Kellerräume des alten Hauses.

      Selbst die nicht allzu große Frau kommt nur gebückt den niedrigen Kellergang und die Treppe hinunter. Sie geht rückwärts und zieht


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