BLUT - Der Vampirkiller von Wisconsin. Robert W. Walker

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war sie pro forma alles durchgegangen, hatte die beste Technologie eingesetzt, die ihr zur Verfügung stand, den MAGNA-Brush. Eine geniale Erfindung, klein genug, um ihn in der Brusttasche herumzutragen. Der MAGNA machte es möglich, von allen möglichen Materialien Fingerabdrücke zu nehmen, selbst wo es mit herkömmlichen Methoden nicht gelang. Die Leute vor Ort hatten ihre eigenen konventionellen Methoden, um Fingerabdrücke zu sichern, und die kamen ihr wie aus der Steinzeit vor.

      Alles würde warten müssen, bis sie nach Quantico zurückkam, wo Flüssigkeiten und Flecken vom Tatort sowie Fasern identifiziert werden konnten und die DNA-Tests ihnen vielleicht weiterhalfen. Aber solche Tests dauerten ihre Zeit.

      Die lokalen Gesetzeshüter wurden langsam unruhig und hätten gern den Leichnam abgenommen und die Pforten dieses Hauses des Todes verschlossen. Sie konnte es ihnen nicht vorwerfen. Es war einer dieser grundlegenden Instinkte, das Verlangen, das hilflose Opfer irgendwie wieder herzurichten, das Geschehene so weit wie möglich ungeschehen zu machen oder zumindest den hilflosen Körper des Opfers wieder in eine natürlichere Pose zu bringen; sie wollten, dass jemand ihre Wunden säuberte, nicht Maß nahm, hineinstach, Gewebeproben entnahm. Sie wollten diesen hässlichen Anblick beseitigen.

      Mit dem Bedürfnis, sauber zu machen und alles aufzuräumen, ging die Illusion einher, es sei nicht nur hilfreich, sondern auch moralisch geboten.

      Ihr Vater hatte ihr davon erzählt; er hatte es ungezählte Male selbst gesehen – und sie mittlerweile auch. Aber er hatte sie auch gelehrt, dass solche Bedürfnisse natürlich und gut waren, obwohl sie oft Schaden anrichteten, weil sie Beweise und die erwünschte Integrität eines Tatorts zerstörten. Diese menschlichen Bedürfnisse erfüllten für die Lebenden sicher einen Zweck; dienten dazu, die Szene »abzuschwächen«, aber glücklicherweise war Ottos Anweisung befolgt worden, vor ihrem Eintreffen die Leiche nicht anzufassen, so erstaunlich das auch schien. Wieder einmal hatte sie den Sheriff im Verdacht, einen Mann namens Stowell. Sie wusste, in den Augen dieser Männer wirkte sie hart, vielleicht sogar pervers, weil sie sie so lange davon abhielt, den Leichnam von seiner stillen Qual, seinen Fesseln und der unnatürlichen Position zu befreien. Ähnlich wie die gut gemeinte Absicht, die bei Flugzeugabstürzen so viele Probleme machte, wenn die Opfer einer brennenden Boeing 707 zu schnell aufgehoben und in ordentliche kleine Reihen gelegt wurden. Das war ein wahrer Albtraum für die medizinische Spurensicherung, wenn es um die Identifizierung der Leichen ging.

      Sie war einmal zu einem solchen Fall hinzugezogen worden, bei dem schrecklichen Absturz des Pan-Am-Fluges 929. Ihr erster Fall mit einer solchen Menge an Toten, der große Anstrengungen erforderte. Verstümmelte und verbrannte Leichen zu identifizieren, abgerissene Gliedmaßen zuzuordnen, die über ein Trümmerfeld von etwa 150 Metern verteilt lagen, war an sich schon genug Herausforderung für jeden forensischen Spezialisten. Sie war damals medizinische Untersuchungsassistentin am Washington Memorial gewesen und hatte Bereitschaftsdienst, als die Nachricht von dem Absturz hereinkam. Solch eine Ankündigung ist wie die Einladung zu einer Studentenparty, und innerhalb einer Stunde waren alle Straßen, die zur Absturzstelle führten, verstopft gewesen mit Polizisten, die gerade keinen Dienst hatten, Reportern, Kamera-Crews, Voyeuren aller Art. Jeder, der auch nur die kleinste Ausrede dafür hatte, vor Ort sein zu müssen, hatte sich eingefunden, inklusive Politikern, die Interviews geben wollten.

      Feuerwehrautos und Krankenwagen säumten den Weg, dazu mehr Cops als überhaupt nötig gewesen wären. Das furchtbare Geheimnis zwischen all dem Chaos und der Verwirrung war das Plündern, das normalerweise der örtlichen Bevölkerung angelastet wurde. Auf einem viel genutzten Flughafen wie Dulles International waren die Ersten vor Ort diejenigen, deren Job es war, die Überlebenden zu retten und die Leichen derer zu schützen, die gestorben waren. Beim Pan-Am-Crash waren die Ersten vor Ort die Port Authority Police gewesen, gefolgt vom WPD, den Feuerwehrmännern und den medizinischen Notfallteams, Krankenpflegern, Ärzten, Bestattern und dann den Menschen, die in der Nähe wohnten. Es wurde so viel geplündert, dass es schon nicht mehr feierlich war.

      Die Verwandten der Getöteten waren in einer unmöglichen Position, kafkaesk in ihren albtraumhaften Ausmaßen. Sie wussten, die Polizei, die Feuerwehr und die Notarzt-Teams hatten so schnell wie möglich versucht, ihre geliebten Angehörigen zu retten oder zu identifizieren. Wie konnten sie da eine fehlende Brosche, einen verlorenen Diamanten oder eine verlorene Geldbörse hinterfragen? Ohne Aufzeichnungen gab es keine Möglichkeit, jemanden zu beschuldigen oder überhaupt zu beweisen, dass etwas gestohlen worden war.

      Pan-Am 929 war ein »reicher« Flug gewesen. Er kam aus Buenos Aires und die Passagierliste las sich wie das Who-is-Who von Washington, D.C. Aber bis Jessica dort angekommen war, hatte es wie eine Flugzeugladung Obdachloser ausgesehen. Ein weiterer Grund, wieso man alle Leichen in eine Reihe legte, nahm sie an, damit man sie nach Ringen und anderen Dingen durchsuchen konnte – Dinge, die rasch die verbrannten und verstümmelten Überreste identifizieren konnten.

      Sie hörte einen Polizisten zu einer völlig aufgelösten jungen Frau sagen: »Sie behaupten also, Ihre Mutter hat immer diesen Ring getragen? Aber können Sie beschwören, dass Sie ihn an ihrer Hand gesehen haben, als sie in Buenos Aires an Bord gegangen ist?«

      Ein Erzbischof auf seinem Weg zurück nach Rom über D.C. war gefunden worden. Die Leiche war intakt, aber sein Ring aus Gold mit Amethysten und sein Kreuz waren zusammen mit seiner Rolex spurlos verschwunden. Ein Police Lieutenant hatte wütend befohlen, dass den Leichen alle Brieftaschen und Schmuckstücke unter den wachsamen Augen seiner Männer abgenommen und diese Gegenstände mit einer Nummer versehen wurden, die den Nummern entsprachen, die sie den Leichen gegeben hatten. Dann wurden sie in Plastiktüten verpackt und in die Asservatenkammer der Polizei überführt, damit nichts mehr gestohlen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt waren Jessica und andere Gerichtsmediziner am Ort des Geschehens eingetroffen, weil sie mit dem Verkehr in der Rushhour zu kämpfen gehabt hatten. Bis dahin war nicht mehr viel des persönlichen Eigentums der Opfer übrig, und den Leichen, alle ordentlich nummeriert, aufgereiht und mit einer grünen Plane bedeckt, waren alle Gegenstände abgenommen worden, anhand derer man sie hätte identifizieren können.

      Als Gerichtsmedizinerin war es Jessicas Hauptaufgabe, unkenntliche Leichname zu identifizieren. Am einfachsten, schnellsten und schmerzlosesten geschah das mithilfe persönlicher Gegenstände und der Passagierliste mit den Platznummern für jeden Fluggast. An der unberührten »makellosen« Unfallstelle konnte die Gerichtsmedizinerin Verletzungsbilder zuordnen und bewerten, wie Körperteile verteilt waren. Damit konnte sie im Detail rekonstruieren, was passiert war und wieso der Kopf des einen Passagiers abgetrennt und ein anderer völlig intakt war.

      Während sie sich mit den Leichen an der Unglücksstelle beschäftigte, war Jessica schmerzlich bewusst gewesen, dass einflussreiche Leute des FBI ein Auge auf sie hatten, während sie darauf wartete, für die Akademie zugelassen zu werden. Die Tragödie von Flug 929 war so etwas wie ihre Feuerprobe geworden. Zwei der Passagiere an Bord hatten für das Bureau gearbeitet. Sie hatte die Zulassung zur Akademie erhalten, aber behielt sich das Recht vor, ein wenig Groll auf alle zu hegen, die in der ein oder anderen Form von der Tragödie profitiert hatten, inklusive ihr selbst, egal wie hochtrabend ihre Ambitionen gewesen waren.

      Jetzt in Wekosha, Wisconsin, mit nur einer einzigen Leiche, um die sie sich kümmern musste, erwartete man von ihr alle Antworten. Ohne die notwendige Zeit im Labor konnte sie aber nicht mehr tun als Stowell oder Lumley: spekulieren. Allerdings war zumindest eine Sache klar. Zweifellos hatte der Killer das tote Mädchen buchstäblich »gemolken« und ihr sämtliches Blut abgezapft. Sie stellte sich eine gewaltige Vampirfledermaus vor, die an der Kehle des Mädchens hing und ihr Leben mit einer ekelhaften Zunge und Reißzähnen aufleckte.

      Otto kam von draußen zurück und sah wieder kontrolliert und gefasst aus. Er streckte die Hand aus, um ihr auf die Beine zu helfen, da sie vor dem Hals der Leiche gekniet hatte.

      »Ich hab alles, was ich brauche«, sagte sie. »Wir können gehen.«

      Lumley tropfte ein wenig Spucke und Tabak aus dem Mund, als er losplatzte: »Sie meinen, wir können sie jetzt losschneiden?« Er klang sarkastisch und spröde.

      Sheriff Stowell warf ihm einen strengen Blick zu.

      Jessica entgegnete nur: »Ja, aber seien Sie vorsichtig und behutsam.


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