Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman - Marie Francoise


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wieder, und es stellte sich bald heraus, daß die alte Vertrautheit zwischen uns immer noch da war, obwohl wir uns lange nicht gesehen hatten. Ivo arbeitete damals als Krankenpfleger an einer Gehörlosenschule.«

      Nun wurde Dr. Daniel natürlich einiges klar. »Deshalb beherrscht er auch die Zeichensprache so gut.«

      »Zeichensprache?« fragte Sándor verständnislos.

      »Meine Patientin ist taubstumm«, klärte Dr. Daniel ihn auf.

      »Ach ja, da habe ich schon was mitgekriegt«, fiel es Sándor nun ein. »Die Schwestern haben sich über sie unterhalten… besser gesagt, über ihren Verlobten. Der hat wohl nicht gerade die Herzlichkeit für sich gepachtet.«

      Dr. Daniel mußte schmunzeln. »So könnte man es ausdrücken.« Er wurde wieder ernst. »Allerdings denke ich, daß er um seine Verlobte einfach besorgt ist.«

      »Und für Ivo bedeutet das schon wieder eine Enttäuschung«, fürchtete Sándor. »Oder weiß er bereits, daß die junge Frau, mit der er sich anscheinend so gut versteht, gebunden ist?«

      »Keine Ahnung«, meinte Dr. Daniel. »Möglicherweise hat Fräulein Forster es ihm ja gesagt. Im übrigen muß ein anregendes Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau nicht gleich die große Liebe bedeuten. Man kann sich ja auch so recht gut verstehen.«

      Da mußte Sándor dem Arzt recht geben, trotzdem ließ ihn der Gedanke nicht los, wie gut es gerade in der jetzigen Situation für Ivo wäre, einer wahren, ehrlichen Liebe zu begegnen.

      *

      Nikola legte sich an diesem Abend mit einem sehr guten Gefühl ins Bett. Seit jenem schrecklichen Tag hatte sie sich nicht mehr so frei und gelöst gefühlt wie heute, und sie wußte, daß das zum Teil… sogar zum größten Teil an Ivos Gesellschaft lag. Es war so befreiend gewesen, sich mit ihm zu unterhalten. Er hatte noch einige Male gelacht, und die Erinnerung an dieses lachende Gesicht begleitete Nikola in den Schlaf.

      Um so schockierender kam dann in dieser Nacht der altbekannte Traum über sie. Verzweifelt schlug Nikola um sich. Sie fühlte, wie sie festgehalten wurde, und wollte schreien, doch es ging nicht. Entsetzt riß sie die Augen auf und blickte in das besorgte Gesicht der Nachtschwester.

      »Beruhigen Sie sich doch, Fräulein Forster«, konnte Nikola von ihren Lippen ablesen. »Sie haben nur geträumt. Es ist alles in Ordnung.«

      Noch immer starr vor Schreck lag Nikola in ihrem Bett, dann begann sie verzweifelt zu schluchzen. Sie war so sicher gewesen, in dieser Nacht ruhig schlafen zu können, doch nun war der Traum wieder gekommen. Er verfolgte sie, und wahrscheinlich würde er sie ihr ganzes restliche Leben lang verfolgen.

      Teilnahmsvoll betrachtete Schwester Irmgard die weinende junge Frau. Im ersten Moment hatte sie daran gedacht, Nikola ein Beruhigungsmittel zu geben, doch sie verwarf diesen Gedanken wieder. Der jungen Frau würde nicht damit gedient sein, wenn man ihre Ängste, die sie zweifellos hatte, medikamentös unterdrückte.

      Sehr sanft berührte Irmgard Nikolas Hand und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit auf sich.

      »Soll ich Dr. Daniel holen?« fragte sie.

      Nikola zögerte, dann schüttelte sie den Kopf und griff nach Block und Stift. Ihre Hand zitterte, als sie schrieb: Es ist mitten in der Nacht, da können Sie Dr. Daniel unmöglich hierherscheuchen.

      Irmgard mußte lächeln.

      »Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, meinte sie. »Dr. Daniel wird nicht ärgerlich sein, wenn ich ihn jetzt aus den Federn hole. Er würde vermutlich eher schimpfen, wenn ich es nicht täte.« Beruhigend streichelte sie Nikolas Hand. »Haben Sie keine Angst. Es war nur ein Traum. Hier in der Klinik kann Ihnen nichts passieren.«

      Die junge Frau nickte, dann griff sie wieder nach dem Stift. Lassen Sie mir bitte trotzdem das Licht an, und schließen Sie die Tür nicht hinter sich.

      Irmgard las, dann drückte sie Nikolas Hand. »Ich werde alles so machen, wie Sie es möchten. Sobald ich mit Dr. Daniel telefoniert habe, komme ich wieder zurück und bleibe bei Ihnen, bis er hier ist.«

      Dankbar lächelte Nikola sie an. Alle hier in der Klinik waren so rührend besorgt um sie. Als sie in ihren Gedanken so weit gekommen war, wurde sie fast von schlechtem Gewissen ergriffen. Kai war doch auch immer besorgt um sie! Vielleicht hätte sie seinem Rat folgen und besser nach Hause gehen sollen. Andererseits bereitete ihr der Gedanke, daß sie in diesem Fall mit ihrem neuerlichen Alptraum wieder ganz allein gewesen wäre, ganz besonderes Unbehagen. Der Traum war diesmal fast noch plastischer gewesen als sonst.

      Nikola hatte keine Gelegenheit mehr, ihren Gedanken nachzuhängen, denn nun kam Schwester Irmgard schon zurück, und wenig später betrat auch Dr. Daniel das Zimmer. Man merkte ihm nicht an, daß er mitten aus dem Schlaf gerissen worden war. Mit deutlicher Besorgnis sah er Nikola an.

      »Was ist passiert?« konnte sie von seinen Lippen ablesen.

      Nikola nahm ihren Block zur Hand. »Ich hatte einen schrecklichen Alptraum.« Sie sah Dr. Daniel an, dann schrieb sie dazu: Schwester Irmgard hätte Sie nicht wecken sollen. Es war ja nur ein Traum.

      Dr. Daniel las, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Nikola, ich glaube, es war nicht nur ein Traum.« Dabei benützte er absichtlich ihren Vornamen, um ihre Distanz zwischen Arzt und Patientin ein wenig zu überbrücken. »Ich habe das Gefühl, als wäre dieser Traum Ausdruck für etwas, was Ihr Kopf noch nicht verarbeitet hat.«

      Heftig schüttelte Nikola den Kopf, doch als Dr. Daniel ihre Hände festhielt, sah sie ihn wieder an.

      »Nikola, Ihre Verletzungen haben mir in den vergangenen beiden Tagen sehr zu denken gegeben«, konnte sie von seinen Lippen ablesen. »Und nun noch dieser Alptraum. Ich weiß zwar nicht, was Sie geträumt haben, aber ich kann es mir vorstellen. Bitte, Nikola, haben Sie doch Vertrauen zu mir.«

      Die junge Frau vergrub das Gesicht in den Händen und begann haltlos zu weinen. Spontan nahm Dr. Daniel sie in den Arm, doch er versuchte gar nicht, sie zu trösten, sondern ließ sie sich einfach ausweinen.

      Nikola war ihm dankbar dafür. Es tat so gut, weinen zu können, und zum ersten Mal seit jenem schrecklichen Erlebnis empfand sie die Berührung eines Menschen nicht als unangenehm – ganz im Gegenteil. In Dr. Daniels Armen fühlte sie sich sicher und geborgen.

      Erst nach langer Zeit löste sie sich von ihm und sah ihn bedauernd an, dann griff sie nach Block und Stift.

      Es tut mir leid, daß ich mich so gehenließ, entschuldigte sie sich.

      »Ich bin froh, daß Sie es getan haben«, erwiderte Dr. Daniel. »Weinen erleichtert.« Er legte seine Hand auf die ihre. »Können Sie mir denn noch immer nicht sagen, woher Ihre Verletzungen stammen und was der Auslöser für Ihren Alptraum war… besser gesagt… ich nehme an, Sie hatten schon öfter derartige Träume, nicht wahr?«

      Nikola atmete tief durch, dann nickte sie.

      Sie kommen jede Nacht, schrieb sie. Seit jenem Tag… Der Stift fiel aus ihrer zitternden Hand.

      Dr. Daniel hob ihn auf. Er zögerte, ehe er aussprach, was längst nicht mehr nur eine Vermutung war.

      »Sie wurden vergewaltigt.«

      Die junge Frau nickte, während wieder Tränen über ihre Wangen liefen.

      »Und Sie haben niemandem etwas davon gesagt – nicht einmal Ihrem Verlobten«, fuhr Dr. Daniel fort.

      Wieder nickte Nikola. Sie versuchte zu schreiben, doch ihre bebenden Hände wollten ihr nicht gehorchen.

      »Ganz ruhig, mein Kind«, besänftigte Dr. Daniel sie. »Wir haben Zeit – notfalls die ganze Nacht.«

      Dankbar sah Nikola ihn an. Sie wartete, bis das Zittern nachließ, dann versuchte sie es noch einmal.

      Ich war einkaufen, schrieb sie. Es geschah am hellichten Tag. Mitten in München. In einer kleinen Sackgasse zwischen zwei Mietblocks.

      Erschüttert las Dr. Daniel ihre Worte. Eine Vergewaltigung


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