Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
vor Angst und Zorn stierte der Desperado den Gesetzesmann an.
»Das werden Sie zu bereuen haben!«
»Sei still!«
»Gib den Gefangenen raus, Earp!« forderte McLowery den Missourier erneut auf.
Dann blieb es still.
Auch Hardac wagte nicht mehr, einen Laut von sich zu geben.
Zehn Minuten mochten verronnen sein, als das scharfe Ohr des Marshals ein winziges scharrendes Geräusch vernahm.
Wyatt wußte sofort, daß es oben von dem Felsvorsprung über ihm herkam.
Er preßte sich dicht an die Wand und lauschte weiter.
Hardacs Atem ging keuchend. Er hatte das Geräusch zwar noch nicht vernommen, erwartete aber jede Sekunde einen Angriff der McLowerys.
Jetzt hatte auch der Verbrecher das Geräusch gehört. Er sah sich nach dem Missourier um.
Da er jedoch in dessen Gesicht nichts von einer derartigen Entdeckung lesen konnte, feixte er höhnisch vor sich hin.
Da, das Geräusch war jetzt ganz nahe.
Und plötzlich federte der Marshal nach vorn, warf sich in einer halben Pirouette hoch, und sein schwerer sechskantiger Revolver, den er in der linken Faust hatte, blitzte zweimal auf.
Zwei Gestalten rutschten wie leblose Puppen von dem Felsvorsprung und blieben reglos auf dem kleinen Plateau vor der Nische liegen.
»Earp!« schrie Frank McLowery nach diesem mißlungenen Angriff. »Du hast trotzdem keine Chance. Wir sind sechs Leute! Rück den Gefangenen raus, dann kannst du machen, daß du wegkommst!«
Aber der Marshal schwieg.
Und diesmal dauerte es fast eine Viertelstunde, bis wieder ein winziges Geräusch an das Ohr des Missouriers drang.
Jetzt kam es von links, daher, wo Frank McLowery vorhin mit dem Pferd gehalten hatte.
Wyatt wartete in gelöster Ruhe, ohne jede Verkrampfung.
Und dann geschah es urplötzlich.
Ein blondhaariger Bursche sprang plötzlich mit zwei federenden Riesensätzen vor die Nische und riß eine Schrotbüchse hoch.
Aber die Kugel des Missouriers traf ihn wie ein Keulenschlag und schleuderte ihn zurück.
»Du hast den Platz schlecht gewählt, Frank!« rief Wyatt.
»Nein! Du sitzt in der Falle!« brüllte Frank. »Ich werde dich jetzt nämlich ausräuchern!«
Und schon flog von rechts ein rauchender pulvertrockener Mesquitestrauch vor die enge Nische.
Der Qualm zog in dicken Schwaden genau auf die Felsnische zu, in der die beiden Männer steckten.
Ätzend drang ihnen der Rauch in die Lungen.
Hardac wurde bald von einem scheußlichen Hustenanfall geschüttelt.
»Verdammt noch mal, wollen Sie mich etwa hier verrecken lassen, Earp?« keuchte der Bandit.
Wyatt beugte sich über ihn und schloß eine kurze Fußfessel um seine Beine. »Hier unten tief am Boden macht Ihnen der Rauch nicht viel aus.«
Dann richtete er sich auf und zwängte sich dicht an der Felswand entlang vorwärts auf die Passage zu.
»Frank, ich komme!«
»All right, Wyatt, es wird Zeit!«
Frank McLowery stand mit dem Gewehr oben über der Passage und wartete auf seinen Gegner, den er kaltblütig abschießen wollte wie einen Puma.
Wyatt hatte den Buntline Revolver in der Linken, bückte sich jetzt, packte einen Stein und schleuderte ihn in die Passage.
Sofort bellten vorn Gewehrschüsse auf.
Frank McLowery hatte sein Spiel noch nicht gewonnen; der Puma, den er in der Falle wähnte, war zu allem entschlossen.
Frank winkte seinem Bruder, der zwanzig Yards weiter westlich in den Steinen kniete, zu, tiefer herunterzuklettern, damit er die Felsnase, hinter der er den Marshal vermutete, ins Schußfeld bekäme.
Tom folgte dem Wink des älteren Bruders augenblicklich.
Aber er hatte nicht die Umsicht Franks, rutschte zu tief und landete geräuschvoll unter prallenden Stein-splittern unten in der Enge.
Wyatt federte sofort nach vorn, duckte sich und vermied so die beiden Kugeln, die Tom McLowery auf ihn abgab.
Dafür riß die Kugel aus dem Buntline den Outlaw sofort nieder.
Frank, der das genau hatte beobachten müssen, stieß einen wilden Schrei aus.
»Trotzdem bist du geliefert, Earp! Du kommst nicht aus der Passage heraus. Und wenn ich Tag und Nacht wachen müßte!«
»Was du nicht sagst!« ertönte es da messerscharf hinter ihm.
Der Bandit war wie zu Eis erstarrt. Erst nach drei Sekunden wandte er sich um.
Nur wenige Yards hinter ihm auf dem Gestein stand ein Mann, den er hier am allerwenigsten erwartet hätte:
Doc Holliday.
Der Spieler hatte in jeder Faust einen seiner gefürchteten Frontier-Revolver.
»Gib es auf, Frank. Es wäre schade, wenn Tom dich morgen schon im Graveyard einkarren müßte. – Du mußt nämlich wissen, daß dein lieber Bruder keineswegs schon in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist. Der Marshal ist eben zu menschlich!« Und in völlig verändertem Ton fuhr er fort: »Laß den Schießprügel fallen, Junge!«
Die Winchester glitt aus den rotbraunen Händen des Desperados.
Holliday trieb ihn hinunter in die Passage.
Wyatt, der jedes Wort dieser seltsamen Unterhaltung vernommen hatte und bereits zu einem tödlichen Kampf entschlossen gewesen war, warf dem Georgier einen kurzen Blick des Dankes zu und sah auf Tom McLowery nieder.
Die Kugel hatte den Desperado tatsächlich nur an der linken Schläfe gestreift.
Auch die anderen waren nicht tot. Aber ihre Verletzungen waren doch teilweise so schwer, daß sie sofort behandelt werden mußten.
Wyatt Earp sammelte zunächst alle Waffen ein, wickelte sie in eine Satteldecke und schnallte sie auf eines der Banditenpferde.
Dann zog er sich, nachdem er Hardac aufs Pferd gebracht hatte, in den Sattel.
»Über diese nette Überraschung unterhalten wir uns später, Frank!«
Damit nahm er die Zügel auf und ritt davon.
Doc Holliday stand noch vor den beiden McLowerys, hob den Blick von dem verletzten Tom und blickte in die Augen des älteren Banditen.
»Wenn ich der Marshal wäre, Brother, hätte ich dich jetzt an deinem verfilzten Knebelbart aufgehängt!«
Damit zog auch er sich in den Sattel und ritt, ohne die Tramps auch nur noch eines einzigen Blickes zu würdigen, hinter dem Marshal und dem Mörder Hardac her.
*
Abe Carruther lehnte über dem obersten Corralgatterbalken und blickte auf die beiden Braunen hinüber, die müde in der Morgensonne dösten.
Neun Jahre saß der einstige Overlanddriver schon auf dieser Station, hatte dafür zu sorgen, daß die Wechselpferde stets bereit waren, vor die von Osten oder auch von Westen kommende Kutsche gespannt zu werden.
Es war ein einsames Leben, das der fast siebzigjährige einstige Farmer aus Kentucky hier führen mußte. Aber er hatte keinen anderen Job finden können. Einen so alten Mann wollte niemand mehr aufnehmen. Und da er mehr als ein Vierteljahrhundert die Diligence durch dieses rauhe Land kutschiert hatte, war man bei der Wells Fargo einsichtig genug gewesen, ihm wenigstens diesen Posten hier zu geben, als seine Zeit gekommen war, den Kutschbock zu räumen.