Warrior & Peace. Stella A. Tack
Erscheinung ließ nach. In meinen Ohren knackte es, als würde ein großer Druck aus ihnen weichen. Die Luft schien endlich wieder ungehindert durch meine Lunge zu strömen.
»Mutter, ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Ruby schockiert. Den warnenden Blick, den Diamond ihr dabei zuwarf, schien sie gar nicht zu bemerken.
Ruckartig fuhr der Kopf der Göttin zu ihr herum. Ihre Haare wurden tiefschwarz, genau wie ihre Augen. »Mach dich nicht lächerlich, ich bin eine Göttin!«, zischte sie, während Ruby nach hinten stolperte und beschwichtigend die Hände hob.
»Ich … Mutter, selbstverständlich!«, stammelte Ruby, doch die Göttin drehte sich, ohne weiter auf sie zu achten, zu mir. Der Blick, den sie mir dabei zuwarf, zog mir die Eingeweide zusammen.
»Du wirst dieses Haus nicht mehr verlassen, Warrior! Du wirst in dein Zimmer gehen und dort ab sofort bleiben. Du hältst dich von sämtlichen Ausgängen und Fenstern in diesem Haus fern. Du redest mit niemandem. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Zitternd nickte ich. »Ich werde mein Zimmer nicht verlassen«, flüsterte ich mit heiserer Stimme.
»Und?«, fragte die Göttin in trügerisch sanftem Ton.
»Ich werde mit niemandem über heute reden.«
»Ganz genau. Dein Vater war so freundlich, ein paar Höllenhunde vorbeizuschicken, damit das auch so bleibt.«
Ihr Lächeln hätte jeden Höllenhund in die Flucht geschlagen. Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus.
»Diamond, du passt auf sie auf!«, wies Aphrodite meine Schwester an. Diese nickte stumm und schlug die Augen nieder.
»Sehr schön, dann werde ich jetzt in den Olymp zurückkehren.« Mit gerümpfter Nase klopfte sie sich imaginären Staub von den Kleidern. Ein Geruch nach geschmolzenem Zucker verbreitete sich im Raum, als die Göttin in einem grellen Lichtblitz verschwand.
Wie betäubt saß ich auf dem Sofa und spürte, wie mir heiße Tränen über die Wange liefen. Warmes Blut verklebte mir Nase und ein paar Haarsträhnen, die mir aus der verrutschen Kapuze hervorgequollen waren.
»Nun komm schon, Warrior! Hör auf zu weinen, wisch dir den ekelhaften Rotz aus dem Gesicht und verhülle dich. Du siehst grauenhaft aus.« Die spitze Bemerkung von Diamond durchbrach meine Schockstarre. Als ich zu ihr hochblickte, hielt sie mir ein Taschentuch entgegen.
»Danke«, hauchte ich, zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und drückte mir das Schnoddertuch aufs Gesicht.
»Sie wurde regelrecht zerstückelt«, kicherte Opal leise und warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Sie ist einfach nur peinlich.«
»Halt deinen Mund«, fuhr Diamond unsere Schwester an und bedachte mich mit einem strengen Blick. »Steh auf, leg dich ins Bett, Warrior, und wisch dir endlich das Blut ab.«
»Ist das überhaupt Blut?«, fragte Ruby naserümpfend, als ich mich mit steifen Gliedern aufstellte.
»Natürlich ist es das«, murmelte ich schwach und zuckte bei dem rauen Klang meiner eigenen Stimme zusammen.
»Und seit wann ist es silber?«, fragte Ruby patzig, was mich verwirrt auf das Taschentuch in meiner Hand hinabblicken ließ.
»Das …« Mir blieben die Worte im Hals stecken.
»Das sieht aus wie Quecksilber«, staunte Diamond und beugte sich näher zu mir herab. »Lass mal sehen!«
»Was? Nein!« Erschrocken zuckte ich vor ihren neugierigen Fingern zurück und zerknüllte die Rotzfahne.
»Warrior!«, warnte mich Diamond und sah mich streng mit ihren kristallblauen Augen an. »Wenn etwas mit dir nicht stimmt, müssen wir das sofort dem Olymp melden.«
»Hast du sie noch alle? Mutter wird mich umbringen! Mit mir ist alles in Ordnung.«
»Aber wenn …«
»Nichts, wenn!« Giftig starrten wir uns an. »Es ist nichts! Und wenn ihr nur ein wenig Mitleid mit mir habt, lasst ihr mich jetzt bitte ins Bett gehen? Es war nicht gerade ein angenehmer Tag.«
Unentschlossen kniff Diamond ihre Lippen zusammen und erdolchte mich mit einem eisigen Blick. Es kostete mich viel Kraft, überhaupt noch auf den Beinen zu stehen. Kraft, die rapide zu schwinden begann. Der Tag fühlte sich bereits unendlich lang an.
Schließlich nickte die blonde Schönheit, während ein Ausdruck von unerwarteter Sanftheit über ihre Züge huschte. »Na schön, Warrior. Geh nach oben. Aber hör auf Aphrodite. Verlasse nicht das Zimmer, ich werde dich ansonsten nicht beschützen können.«
»Werde ich nicht«, murmelte ich, ließ die drei im Wohnzimmer zurück und ging durch den mit Marmor ausgelegten Eingangsbereich. Eine geschwungene Treppe führte nach oben in den Schlafzimmerbereich. Wie auch bei Hades war das Stadthaus meiner Mutter ein Zeugnis längst vergangener Jahrhunderte. Es war um die Jahrhundertwende erbaut worden und seitdem nur spärlich mit den neuesten technischen Errungenschaften ausgestattet worden. Die Wände waren stilistisch hoch gebaut und mit cremefarbenen Stuckverzierungen versehen. Überall hingen Bildnisse der Liebesgöttin an den Wänden. Kunstgegenstände aus längst vergangener Zeit stellten meine Mutter in den verschiedensten Gestalten und mit den unterschiedlichsten Gesichtern dar. Stets ein verführerisches Lächeln auf den vollen Lippen. Wie gefährlich die Liebe in Wirklichkeit war, zeigte kein einziges davon. Die wenigen Minuten, die ich brauchte, um von dem Salon in mein Zimmer zu gelangen, glichen dem Besuch in einem Museum. Jede Stufe, die ich mich hochquälte, zog sich schmerzhaft in die Länge, wobei ich mich fest ans Ebenholzgeländer klammerte. Der unerwartet heftige Zorn meiner Mutter würde noch die nächsten Tage seine Auswirkungen zeigen, mein Zusammenstoß mit dem Höllenhund heute Nachmittag nicht zu vergessen.
Das Leben eines Gottkindes war grundsätzlich nicht einfach. Aber das Kind der Liebe und des Todes zu sein, das war besonders scheiße. Selbst ohne mein Handicap. Die schönsten und mächtigsten Kinder konnten zumindest hoffen, in den Olymp aufgenommen zu werden und als Zofe oder Günstling der Götter zu dienen. Die weniger glücklichen von uns mussten sich mit einem Leben im ewigen Schatten einer glanzvollen Welt zufriedengeben und ihr Glück in der Welt der Sterblichen oder in der Unterwelt finden. Die Kriminalitätsrate unter den Gottkindern war enorm hoch. Viele waren Mitglieder der Mafia oder arbeiteten für die menschliche Regierung in politischen Belangen.
Für mich blieben all diese Wege versperrt. Der Olymp wollte mich nicht und für die Welt der Sterblichen war ich eine zu große Gefahr. Im Grunde blieb mir nur Abaddon, und wie dort meine Zukunft aussehen sollte, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Meine Augen brannten und ich blieb kurz stehen. Vielleicht sollte ich mir Madox schnappen und für ein paar Jahre untertauchen. Als Kind hatte ich immer Prinzessin werden wollen. Madox übrigens auch. Leider sah ich unsere Chancen in dieser Hinsicht als schwindend gering an. Wir könnten nach Bali fliegen und das Tauchen lernen oder so etwas. Aber nein! Ich konnte ja keinen Badeanzug anziehen. Verdammt. Ich biss mir auf die Unterlippe und setzte meinen Weg nach oben fort. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, die nächste Zeit in meinem Zimmer zu verbringen. Ich war eine absolute Katastrophe! Vollkommen erschöpft wankte ich endlich in mein persönliches Reich. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, das Licht einzuschalten. Mit brennenden Augen streifte ich mir die Schuhe von den Füßen und fiel mit dem Gesicht voran ins Bett. Jetzt konnte ich nur noch für einen schnellen und hoffentlich albtraumlosen Schlaf beten.
Sechs
Ich wollte viel lieber von Lollipops und regenbogenpupsenden Einhörnern träumen!
»Du hast es verkackt!«
»Ich weiß …«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du die Tragweite verstehst, Junge. Du hast versagt! Du hast deinen Arsch in verdammte Schwierigkeiten gebracht