Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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starrte ich auf das große Stadthaus, dessen Fenster trotz später Stunde noch hell erleuchtet waren. Mit einem flauen Gefühl im Magen schlug ich die Autotür zu und wurde von Charon bis zur Tür begleitet. Breite weiße Marmortreppen führten nach oben. Die Eingangstür war aus massiven Glas und antikem Holz. Ich scherzte gerne, dass der Eingang zum Tartaros nicht unfreundlicher aussehen konnte. Das ganze Haus verströmte kalte Abneigung. Vielleicht ein Grund, warum sich nie Menschen hierher verirrten. Obwohl es mitten in London stand.

      Besagte Grusel-Tür schwang auf, noch bevor ich überhaupt die Gelegenheit bekam, auf die Klingel zu drücken. Oder die Kurve zu kratzen. Ich hatte mich noch nicht ganz entschieden. Offensichtlich wurde mir die Entscheidung abgenommen. Ein Schwall warmer Luft wehte nach draußen. Sofia, das olympische Hausmädchen meiner Mutter, stand im Türrahmen und bedachte mich mit einem herablassenden Blick. Für Charon hatte sie nur ein angewidertes Naserümpfen übrig. Ziemlich frech, wenn man bedachte, dass sie nur eine Muse und Charon ein Gott war. Diesen schien das nur wenig zu jucken. Er machte nicht viel Aufheben um seine Person, was ihn in meinen Augen nur noch sympathischer machte.

      »Miss Pandemos, ihre Gottmutter erwartet sie bereits im Salon«, näselte Sofia und starrte angewidert auf die deutlich hervortretenden Knochen des Gottes. Dieser verzog die brüchigen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. In seinen dunklen Augenhöhlen glomm es gefährlich auf. Die Abneigung, die sich Olympier und Abaddoner entgegenbrachten, war in diesem Augenblick kaum zu übersehen.

      »Danke, Charon, wir sehen uns nächste Woche«, fuhr ich schnell dazwischen und lächelte den Gott dankbar an. Ich neigte respektvoll den Kopf und folgte dem Dienstmädchen ins warme Innere. Charon blieb stumm vor der Tür stehen. Der Regen trommelte leise auf den Stoff seines Schirms.

      »Richten Sie bitte meinem Vater aus, dass ich gut nach Hause gekommen bin und … und dass es mir leidtut«, bat ich ihn. Er nickte stumm. Ich war gerade dabei, die Tür zu schließen, als Charons dürre Finger meine berührten, mich zurückhielten. Verblüfft hielt ich inne. Blickte auf die tiefen Furchen, die sich in das Gesicht des Gottes eingegraben hatten. Beinahe sahen sie wie Falten aus.

      »Bitte, schämen Sie sich nicht für das, was Sie sind«, raunte der Gott mir durch den Türspalt zu. Seine Stimme klang dunkel und rau, als hätte man seine Stimmbänder mit einem Reibeisen bearbeitet.

      »Wie bitte?« Ich riss die Augen auf.

      »Schämen Sie sich nicht. Mit Ihnen ist nichts falsch. Sie sind ein gutes Mädchen. Es war mir immer eine Freude, Sie begleiten zu dürfen.«

      »Ich … d-danke, Charon. Ich fahre auch immer gerne mit Ihnen mit«, stotterte ich. Der Fährmann hatte gerade mehr mit mir gesprochen als … na ja, jemals. Er starrte mich an. Beinahe traurig. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die tiefere Bedeutung seiner Worte nicht verstanden zu haben.

      Charon öffnete den Mund, doch Sofias näselnde Stimme unterbrach ihn. »Bitte, schließen Sie die Türen, Miss Pandemos. Es zieht.«

      Ich drehte den Kopf. Das Mädchen stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Eingangshalle und lauschte schamlos.

      »Ja, gleich«, erwiderte ich genervt, verdrehte die Augen und wandte mich wieder Charon zu, doch das Auto verschwand gerade brummend um die nächste Ecke. Ich starrte den roten Rücklichtern hinterher, bis mir selbst zu kalt wurde und ich schaudernd die Tür schloss.

      »Sie müssen nicht immer so unfreundlich zu ihm sein, Sofia. Er ist ein Gott, kein Ungeziefer«, sagte ich zähneklappernd zu dem Hausmädchen.

      »Er ist ein Abaddoner«, erwiderte Sofia schlicht.

      »Ihr habt doch alle einen Vogel«, knurrte ich leise und stapfte an ihr vorbei. Die einvernehmliche Abneigung der Olympier gegen die Abaddoner war mir immer wieder ein Rätsel. Der Kalte Krieg zwischen den beiden Völkern existierte, seit Hades von seinem Bruder Zeus aus dem Olymp geworfen wurde und die Unterwelt übernommen hatte. Das böse Blut der beiden Brüder zog sich wie eine hässliche Wunde durch die letzten viertausend Jahre. Wenn man mich fragte, hatten die Götter mehr als nur einen Sprung in der Schüssel. Sie waren mächtig, unsterblich, gelangweilt und hatten eindeutig zu viel freie Zeit. Leider saß genau solch eine Göttin, mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen und finsterem Gesichtsausdruck, im hell erleuchteten Wohnzimmer und wartete auf mich. Zaghaft blieb ich in der offenen Wohnzimmertür stehen. Suchte nach einer Fluchtmöglichkeit.

      »Mutter! Warrior ist hier!«, petzte meine Schwester Opal sofort.

      Abrupt fuhr Aphrodites Kopf in meine Richtung. Leuchtend blaue Augen taxierten mich. Der kaum verhohlene Ekel, der ihr dabei über die perfekten Gesichtszüge huschte, verriet, wie wenig sie ihre Emotionen derzeit im Griff hatte. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich musste das ängstliche Wimmern angestrengt herunterschlucken.

      »Willst du nicht hereinkommen, Kind?«, fragte mich die Göttin mit tödlich ruhiger Stimme. Ihre großen katzenhaften Augen folgten jeder meiner Bewegungen.

      »Ja! Komm doch rein, Warrior, wir warten auf dich«, flötete Diamond freundlich und klopfte einladend auf den freien Platz des weißen Sofas neben sich. Wie immer sah sie einfach umwerfend aus. Diamond besaß strahlend hellblondes Haar, das ihr in silbrigen Kaskaden über den Rücken floss. Große eisblaue Augen musterten meine verhüllte Gestalt. Wie alle meine Schwestern, so war auch sie gertenschlank und geschmeidig. Das Gesicht ein Inbegriff von strahlender Schönheit, das jeden Mann schwach werden ließ. Der einzige Makel an ihr waren die etwas zu schmalen Lippen, die sie geschickt mit Make-up voller schminkte. Tatsächlich besaß jedes Kind der Aphrodite einen kleinen Makel, der ihrer übernatürlichen Schönheit ein wenig Menschlichkeit verlieh. Während Diamonds Lippen schmal und blass waren, hatte Ruby Probleme mit einer etwas zu langen Nase.

      Opal, deren porzellangleiche Schönheit von ebenholzfarbenen Haaren umrandet wurde, war mit ihren vierundzwanzig Jahren immer noch flach wie ein Brett und hatte niemals die ein Meter fünfzig überschritten.

      »Hallo, Mutter, alles in Ordnung?«, fragte ich die Göttin zaghaft und wurde mir dabei überdeutlich bewusst, wie jämmerlich unzulänglich ich neben meiner Familie aussah. Aphrodite schnalzte scharf mit der Zunge und deutete auf den Platz neben Diamond. Zögerlich setzte ich mich auf das weiche Polster, das sich beklemmend kalt anfühlte. Die Spannung im Raum war zum Schneiden dick. Elegant lehnte Aphrodite sich nach vorne und musterte mich mit kaltem, abweisendem Blick. Unruhig zog ich meine Kapuze tiefer in die Stirn. In Mutters Gesicht zu sehen war meistens ziemlich verwirrend. Alle paar Augenblicke veränderten sich ihre Züge. Saß soeben noch eine zierliche Asiatin mit schwarzen Haaren und exotisch dunklen Augen vor mir, so änderte sich im nächsten Augenblick ihre Erscheinung zu einer großen Schönheit mit hellen Haaren und stahlgrauen Augen. Ein Gesicht war schöner als das andere. Dutzende Frauengesichter mit grünen, blauen, grauen und braunen Augen starrten auf mich herab. Ihr Kinn wurde spitz, herzförmig, einmal schmal oder keck mit Grübchen in der Mitte. Ihre Wangenknochen formten sich von scharf hervorgehoben zu weichen Konturen, unterstrichen von Dutzend verschiedenen Hautfarben.

      »Könntest du dich bitte für ein Gesicht entscheiden, Mutter? Ich bekomme von diesem Hin und Her Kopfschmerzen!«, unterbrach ich die angespannte Stille im Raum. Meine Schwestern schnaubten belustigt, während die Göttin herausfordernd eine Augenbraue nach oben zog. Niemand hatte das wahre Gesicht der Liebe jemals gesehen. Niemand wusste, wie sie unter all der schillernden Perfektion und geballten Magie wirklich aussah.

      »Was soll ich nur mit dir machen, Warrior?«, fragte die Göttin schließlich, wobei die Kälte in ihrer Stimme einer Messerschneide gleich durch die stickige Luft schnitt. Ich wappnete mich gegen ihren Zorn, der wie eine Gewitterwolke über meinem Kopf hing.

      »Kannst du dir vorstellen …«, fuhr die Göttin fort und grub ihre rot lackierten Fingernägel in das Leder ihres Sessels. »… wie demütigend es für mich gewesen ist, von Zeus persönlich aus dem Olymp geholt zu werden, weil meine eigene Tochter – meine Tochter! – erneut Missfallen erregt hat?«

      »Ich … ich … es tut mir wirklich leid, das war nicht meine Absicht«, stotterte ich zaghaft und wünschte mich plötzlich zurück in die Hölle. Was hatte Hades


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