Warrior & Peace. Stella A. Tack
aus dem Schlafzimmer meines Vaters wankten. Oder den Männern und Frauen aus Persephones. Als geborene Olympierin war es ihr allerdings auch nur wenige Monate im Jahr erlaubt, in der Hölle bei ihren Söhnen zu leben. Als Tochter der Demeter war Persephone, wie ihre Mutter zuvor, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings. Der Grund, warum sie ausgerechnet Hades, den so ziemlich unblumigsten Typen, den ich kannte, hatte heiraten müssen, war mir bis heute unverständlich. Die beiden schienen sich nicht einmal wirklich zu mögen. Trotzdem behauptete Hades steif und fest, dass er Persephone ab dem ersten Augenblick ihrer Erschaffung hatte besitzen müssen. Als er jedoch bei meinem Onkel Zeus um Erlaubnis der Heirat bat, hatte dieser weder die Eier, dem zuzustimmen, noch hatte er den Mut, diese Bitte abzulehnen. Hades fasste das natürlich prompt als Zustimmung auf und nahm sie mit in die Unterwelt. Ihre Mutter Demeter war daraufhin so wütend, dass sie sämtliche Pflanzen eingehen ließ, sodass die Menschen elendig verhungerten. Schließlich musste Hades Persephone wieder aus der Unterwelt entlassen. Doch da diese bereits mit Hades verheiratet war – und hochschwanger noch dazu –, stimmte Demeter zu, Persephone vier Monate im Jahr in die Unterwelt zu lassen. Allerdings verweigerte die Göttin es bis heute, in dieser Zeit etwas wachsen zu lassen, sodass die Menschen wegen der verklemmten alten Schachtel den Winter ertragen mussten.
Diese Geschichten und weitere hatte ich mir als Kind zusammen mit Madox zuhauf anhören müssen. Ob diese nun wirklich stimmten oder mein Vater Persephone einfach nur in einer Bar abgeschleppt hatte, würde wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Die Götter liebten es, sich mit ihren alten Geschichten und Heldentaten zu rühmen. Da war Persephone keine Ausnahme, die in etwa den charmanten Charakter eines Drachens geerbt hatte, was man insbesondere an ihrem fiesen rechten Haken zu spüren bekam. Ihre Ohrfeigen waren auch nicht von schlechten Eltern. Ich zumindest versuchte, in den vier Monaten ihres Besuches so wenig Zeit wie möglich in der Unterwelt zu verbringen.
»Ich freu mich schon darauf, sie wiederzusehen«, brummte ich leise und stand endlich vor der Tür meines Zimmers. Da ich nur sehr unregelmäßig Zeit in der Unterwelt verbrachte, war es wesentlich kleiner als die Gemächer meiner Brüder. Dennoch konnte ich getrost auf eine eigene Waffenkammer und einen Sportraum verzichten. Dafür hatte Hades das Bedürfnis, mich mit Unmengen an Kleidern überhäufen zu müssen, die ich niemals würde anziehen können. Die große rosarot gestrichene Tür, auf die Madox und ich kitschige Regenbogen-Einhörner gemalt hatten, erkannte mich sofort und schwang mit einem einladenden Quietschen auf.
»Setz dich!«, wies ich Madox an und zog ihn in Richtung Bett. »Ich zieh mir nur schnell was anderes an.«
Sofort ließ sich Madox auf das blaue Himmelbett plumpsen, dabei flatterten ein paar seiner Federn in alle Richtungen.
»Alles klar! Sag mal, möchtest du über heute reden?«, fragte er mich und wühlte sich wie ein großer Hundewelpe durch meine Kissen. Na toll! Morgen würde ich mit Sicherheit ein paar Dutzend ausgefallene Federn aus meinen Haaren fischen dürfen.
»Sicher«, antwortete ich seufzend und begann damit, ihm die schreckliche Auseinandersetzung mit Gladis von heute Nachmittag zu erzählen. Währenddessen angelte ich mir eine schwarze Jeans und einen passenden roten Kapuzenpulli aus dem Kleiderschrank. Meine verdreckten Stiefel kickte ich achtlos von den Füßen und warf die durchweichten Socken in den Müll. Sie stanken entsetzlich nach Jauche.
»Und dann kam dieser Vampir«, erzählte ich auf dem Weg ins Badezimmer. »Der Idiot hat meine Fährte aufgenommen, sodass ich mich im Müll verstecken musste!« Schnell zog ich mich aus und stellte mich unter die Dusche. Beiläufig schamponierte ich mir die Haare und schrubbte über meine blasse Haut, auf der überall blaue Flecken und Schürfwunden zu sehen waren.
»Und dann?« Madox’ Stimme drang durch den Dampf des Badezimmers hindurch.
»Was? Hau ab, du perverser Spanner! Ich erzähl gleich weiter«, schimpfte ich und spuckte ein wenig Wasser aus.
Madox hatte sich inzwischen eine meiner Schlafmasken über die Augen gezogen. »Pff, krieg dich wieder ein. Ich schau schon nicht hin. Es ist gerade spannend, also erzähl weiter.« Kurz zögerte ich, vergewisserte mich, dass Madox, der sich gerade auf den zugeklappten Toilettensitz fallen ließ, wirklich nichts sehen konnte und begann die Geschichte weiterzuerzählen, während ich mich beeilte, die Dusche zu beenden.
In ein flauschiges Handtuch gewickelt, tapste ich zu dem marmornen Waschbecken und kramte einen Föhn hervor. Langsam wischte ich über den beschlagenen Spiegel und musterte mein Gesicht, ohne in der Geschichte innezuhalten.
»Und dann war da dieser Junge. Er … er war eigenartig, ich …« Murmelnd blickte ich in den Spiegel und spürte, wie sich meine Gesichtszüge verhärteten. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel blickte, hatte ich das Gefühl, eine Fremde anzustarren. Vielleicht lag es auch an meinen angespannten Nerven oder dem fürchterlichen Tag, der hinter mir lag, allerdings war ich mir nie so extrem erschienen. Ohne Klamotten, die mich versteckten, war ich ein vollkommen anderes Wesen. Mein Körper war zierlich, mit einer schmalen Taille, die in eine geschwungene Hüfte mündete. Goldenes Haar lockte sich in Wellen über meinen Körper, wo es beinahe meine Kniekehlen kitzelte. Ich hatte es bereits mehrere Male abzuschneiden versucht, leider wuchsen sie genauso schnell wieder nach, wie ich sie kürzte. Das Einzige, was ein wenig aus dem Rahmen der perfekten goldenen Jungfrau fiel, waren meine katzenhaften violetten Augen, die denen meines Vaters ähnelten. Groß blickten sie unter einem Vorhang aus pechschwarzen Wimpern hervor. Mein Gesicht war ausnahmslos perfekt. Kein Pickel, kein Muttermal, keine Falte. Alles an mir war schön. Dabei wirkte ich auch noch zerbrechlich … wie Glas. Mein Spiegelbild zeigte mir einen verfluchten goldhaarigen Engel! Die schönste Tochter der Aphrodite seit Jahrtausenden, wie meine Mutter gerne verächtlich hervorspie. Mit dem einen Makel, dass meine Schönheit so ziemlich jeden zerstörte, der einen Blick darauf riskierte.
Mein Anblick rief Obsession hervor.
Ein Fleck freier Haut genügte. Ein unbedachter Augenblick, und ich ließ jeden wahnsinnig vor Verlangen werden.
Hingabe wurde zu zerstörerischem Kontrollzwang.
Beschützerinstinkt zur rasenden Eifersucht.
Selbst mein Geruch machte süchtig wie eine süße Droge.
Die Götter nennen es das Medusa-Syndrom. Umgangssprachlich war es allerdings eher als der Medusa-Effekt bekannt.
Es handelte sich um einen Gendefekt. Eine Überzüchtung von zu viel magischem Blut in meinem Körper, der dafür zu schwach war.
Die traurige Wahrheit: Ich bin ein Monster mit dem Gesicht eines Engels. Angeekelt wandte ich mich von mir selbst ab und unterdrückte den aufsteigenden Selbsthass.
»Lass es, Warrior. Du kannst nicht ändern, was du bist oder wie du aussiehst«, unterbrach Madox mein Trübsalblasen. Erstaunt blickte ich zu meinem Bruder, der immer noch mit der lächerlichen Nachtmaske über den Augen auf der Kloschüssel saß. Mit einem wehmütigen Lächeln sah er in meine Richtung. Nicht zum ersten Mal kam es mir so vor, als könnte er meine Gedanken lesen. »Du kannst nichts dagegen tun, Warrior, und selbst wenn, ich würde nichts an dir ändern wollen«, flüsterte er.
Traurig lächelte ich ihm zu. Madox’ Vertrauen in mich war unerschütterlich. Schon seit Jahren, besser gesagt, mit dem Einsetzen der Pubertät hatte er mein Gesicht nicht mehr gesehen oder sonst ein Fleckchen freier Haut. Auch wenn er steif und fest behauptete, die Kontrolle behalten zu können. Trotz dieser Aussage würde es für immer Theorie bleiben. Ich könnte es nicht ertragen, sein Leben wegen eines einzigen unbedachten Augenblicks zu zerstören.
»Danke«, seufzte ich leise und begann meine Haare zu föhnen, die sich augenblicklich in perfekte Locken auf meinen Rücken schmiegten. Danach schlüpfte ich in meine neuen Sachen. »Jedenfalls …«, nahm ich den Faden meiner Erzählung wieder auf und flocht mir mit schnellen Bewegungen einen straffen Zopf. » … schmiss mich dieser Idiot vor die Hunde!« Achtlos stopfte ich ihn in den Pulli und zog die Kapuze über den Kopf.
»Was? Einfach so?«, fragte Madox stirnrunzelnd.
»Hä? Ähm. Nein! Ich denke, sie sollten so lange damit beschäftigt sein, mich zu fressen, damit er