Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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Kurzem seine kreative Ader gefunden haben. Zumindest hatte die Zeichnung das letzte Mal, als ich hier gewesen war, noch keine Harry Potter-Narbe und kein Hitler-Bärtchen unter der Nase gehabt.

      Augenrollend ging ich weiter, wobei meine Schritte laut von den nackten Wänden hallten. Hier und dort kreuzte eine Fackel moderne Lampen oder eine rostige Ritterrüstung lehnte an einem verstaubten Picasso. Vor den Fenstern wogten ein paar rote Lavalampen. Der Boden wechselte von Beton zu marmoriert oder schwarz-weiß gefliest, bis ich die große Halle erreichte, deren Wände von großen, nach oben hin spitz zulaufenden Fenstern gesäumt waren, die einen herrlichen Blick auf die nächtliche Skyline von Uptown preisgaben. Da wir uns unter der Erde befanden, schien zwar kein Mond, doch der Strom war wohl in den letzten Stunden wieder eingeschaltet worden, sodass die Stadt in einem hellen Lichtermeer erstrahlte. Anders als auf Ebene 144, die hauptsächlich aus alten und stinkenden Baracken bestand, war Ebene 146 eine hochkultivierte Stadt. Abaddon war nicht nur als Hölle im klassischen Sinne anzusehen, in der die bösen Buben bestraft wurden, sondern es war eine vollkommen eigenständige Metropole. Eine dunkle Welt, die sich über viertausend Jahre lang entwickelt hatte. Zugegeben, die ethischen Ansichten waren hier unten ein wenig … gewöhnungsbedürftig und in manchen Ebenen schien die Zeit im Mittelalter festgefroren zu sein, dennoch war Abaddon eine blühende, sich stetig weiterentwickelnde Zivilisation. Ich war gerne ein Teil davon. Zumindest manchmal.

      »Hey, Prinzessin, hab gehört, du hast unseren alten Herren ganz schön auf die Palme gebracht.«

      Erschrocken zuckte ich zusammen und fuhr, das Kissen schützend vors Gesicht gepresst, um die eigene Achse.

      »Madox! Nicht hinsehen!«, fauchte ich, doch der idiotische Junge lachte nur verschmitzt und kam mit geschlossenen Augen auf mich zugewankt.

      »Kein Grund zur Panik, Warrior, Schatz. Man kann dich zehn Kilometer gegen den Wind riechen. Gibt es einen besonderen Grund, warum du nach Fäkalien und Müll stinkst? Habe ich den internationalen Stinktiertag verpasst? Wenn ja, rolle ich mich schnell im Biomüll.«

      Mein Gesicht lief puterrot an, als ich an mir herabsah. Oh, verdammt! Ich hatte immer noch den Schlamm von Ebene 144 auf mir kleben. »Bei den Göttern, ist das peinlich«, winselte ich, was Madox nur noch lauter lachen ließ. Finster starrte ich ihn an, freute mich jedoch gleichzeitig, ihn zu sehen. Mein Halbbruder war ein groß gewachsener junger Mann. Anders als meine anderen Brüder bestand dieser aber nicht nur aus Muskeln und sadistischen Gesichtszügen. Zwar hatte auch er beides geerbt – und das manchmal nicht zu knapp –, sein Gesamtbild und seine Persönlichkeit waren im Allgemeinen allerdings etwas geschmeidiger. Ähnlich einer verspielten Raubkatze. Dichtes dunkles Haar stand in alle Richtungen ab und seine Haut leuchtete in einem warmen Hellbraun, während seine Flügel die Farbe von Schokolade hatten. Wie immer schien er sein Hemd verlegt zu haben und stakste mit nicht mehr als einer zerfetzten Jeans durch die Gegend. Daher war auch die um seinen Bauchnabel tätowierte Sonne zu sehen. Wenn man ihn nach der Bedeutung der Tätowierung frage, tischte er einem – meistens den Frauen – eine rührselige Geschichte über die Reinheit der Seele und Ehrerbietung der Götter auf. In Wirklichkeit war er einfach stockbesoffen gewesen und hatte Glück gehabt, nicht auf das Bild eines Schmetterlings, gleich neben der Sonne, gezeigt zu haben. Ich war auch die Einzige, die wusste, dass er während der gesamten zwei Stunden wie ein kleines Mädchen geflennt und sich dabei auch noch versehentlich selbst angekotzt hatte. Man konnte wohl behaupten, dass Madox und ich seit jeher beste Freunde waren. Mit nur knapp zwei Jahren Altersunterschied waren wir die Jüngsten im Hause Hades. Etwa ein bis dreißig Jahre trennten uns von den restlichen fünf Söhnen des Hades, die – insbesondere früher – allesamt stärker waren und einen Hang zu wahnhaftem Narzissmus besaßen. Infolgedessen hatte uns das Leben zusammengeschweißt.

      »Kannst du bitte aufhören zu schnüffeln! Ich hatte keine andere Wahl!«, motzte ich Madox an und versuchte, ihm gegen das Schienbein zu treten. Trotz geschlossener Augen wich er meinem PseudoNinja-Angriff geschickt aus.

      »Welche Wahl? Zwischen Hund oder Müllkippe?«, wieherte er und wischte sich die Lachtränen über seinen eigenen Witz aus dem Gesicht. Hahaha. Dieser Witzbold.

      »Halt einfach die Klappe! Ich muss mich umziehen, bevor mich noch jemand sieht«, fuhr ich ihn mürrisch an, musste mir das Lachen aber ebenfalls verkneifen.

      »Du bist aber nicht nackt, oder?«, fragte Madox interessiert.

      Prompt knallte ich ihm das Kissen gegen den Kopf. »Nein! Spinnst du? Nur mein Gesicht ist frei«, erwiderte ich und hechtete zur großen Treppe, die nach oben in den zweiten Stock führte.

      Madox folgte mir gut gelaunt. Die Augen hielt er dabei immer noch artig geschlossen. »Nur dein Gesicht? Was soll dann der Aufstand? Vater erzählte etwas über deine Klamotten, die vollkommen zerfetzt worden wären.« Seine sorglosen Worte ließen mich abrupt stehen bleiben. Madox rannte ungebremst in mich hinein. »Uff, was zum … Warrior?«

      »Er … ein … ein Höllenhund musste heute wegen meinem Gesicht sterben.« Ich klang verdächtig tonlos.

      Madox versteifte sich. Tastend hob er eine Hand und strich mir unendlich liebevoll über die Wange. »Das tut mir leid, Warrior. Vater hatte gerade erst zu erzählen angefangen. Ich bin gleich losgerannt, um dich zu suchen, und habe die Geschichte nicht zu Ende angehört. Wenn du willst, hau mir eine rein! Komm schon. Ich bin ein Arschloch. Ich hab es nicht anders verdient.« Ohne es zu wollen, musste ich kichern, als mir Madox mit verzerrter Märtyrer-Miene sein Gesicht entgegenstreckte und nach meinen Händen angelte. »Komm! Heb deine kleinen Fäustchen und schlag zu.«

      »Blödmann!« Lachend wuschelte ich ihm durch das ohnehin schon zerzauste Haar und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze.

      Madox schenkte mir ein spitzbübisches Grinsen, bei dem es verräterisch silbern aufblitzte.

      »Was? Mad… hast du dir die Zunge piercen lassen? Reichen die Ohren und Augenbrauen nicht? Willst du aussehen wie ein Nadel­kissen?«, fragte ich irritiert, während wir ein weiteres Stockwerk nach oben wankten. Es war ein Wunder, dass er dabei nicht auf die Schnauze fiel. Vorsichtshalber pikte ich ihm mit dem Zeigefinger in den Rücken und lotste ihn über alle Hindernisse hinweg. Der marmorne Boden war hier oben gemütlich beheizt und alte weinrote Liegesofas aus altrömischer Zeit drängten sich in staubigen Nischen. Uralte Büsten und Gemälde von Göttern und anderen Sagengestalten hingen an den Wänden, zusammen mit kunstvollen Blumenarrangements, die in all dem alten Müll ein wenig deplatziert und zu frisch wirkten.

      »Freesien?«, fragte ich Madox ein wenig gequält, als wir an einem Blumenstrauß vorbeigingen, der im Helm einer Ritterrüstung steckte.

      Madox verzog mitleidig das Gesicht. »Mutter ist hier, tut mir leid, Prinzessin!«

      Ich stöhnte. Heute war wirklich nicht mein Tag. »Also? Was ist das jetzt mit dem Metall in deiner Zunge?« Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, einen weiteren Blick auf das Ding in seinem Mund zu erhaschen. Aha! Da! Eindeutig. Madox’ breites Grinsen zeigte einen gebogenen Ring mit roten Glitzersteinchen.

      »Ach, dieser Stecker? War eine Wette mit Bright. Du musst nichts sagen, ich weiß, wie bescheuert das ist, glaub mir, ich wurde bereits ordentlich dafür verprügelt.«

      In schmerzlicher Erinnerung rieb er sich das störrische Kinn, dabei linste er zu mir hinüber. Seine grünen Augen wurden eine Spur dunkler. Als ich ihm einen warnenden Klaps gab, seufzte er genervt, schloss jedoch wieder artig die Augen. Ein kurzer Blick würde ihn nicht umbringen. Vermutlich. Aber sicher war sicher.

      »Ich dachte, Vater reißt mir das Ding mitsamt Zunge heraus.« Mitleidig verzog ich das Gesicht und nahm seine Hand in meine. Unsere Finger verflochten sich langsam ineinander, wie sie es seit Kindertagen taten.

      »Was sagt Persephone dazu?«

      »Soll das ein Witz sein? Mum war diejenige, die mich dafür verprügelt hat!«

      »Autsch!« So ganz konnte ich mir bei dem Gedanken das Lächeln nicht verkneifen. Dennoch litt ich mit ihm. Persephone war Madox’ und Brights Mutter und Hades’ Frau seit … na ja, seit Urzeiten eben. Meine restlichen Brüder hatten jeweils


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