Warrior & Peace. Stella A. Tack
Der Schimmel hatte sich tatsächlich bewegt! Der nasse Lehm unter meinen Füßen, der entsetzlich nach Kloake und Erbrochenem stank, schmatzte gehaltvoll. Ein Rinnsal aus abgestandenem Wasser plätscherte an mir vorbei und verschwand in einem verrosteten Gully, um den sich ein paar Ratten in Katzengröße herumdrückten. Ihre gelben Augen sahen neugierig in meine Richtung. Die nackten Mutantenschwänze zuckten dabei. Nur schwaches Licht drang durch die dunklen Gassen. Die Luft war dick und ölig, die Fäulnis darin so säuerlich, dass ich mich sofort nach einer potenziellen Leiche am Boden umsah. Eines war klar: Ich musste so schnell wie möglich die nächste Ebene erreichen. Noch war zum Glück alles still. Beinahe zu leise, um meine angespannten Nerven wirklich zu beruhigen. Ich musste mich definitiv beeilen und aufhören, wie ein leckerer, nach Rosen duftender Braten in der Gasse herumzustehen. Gequält verzog ich das Gesicht und sah mich noch ein letztes Mal in der Passage um. Tatsächlich war das mit dem Geruch ein größeres Problem. Er war zu anziehend, zu außergewöhnlich und weckte Aufmerksamkeit, wo ich lieber unsichtbar blieb. Wie hier unten. Mein Blick blieb auf dem stinkenden Schlamm am Boden hängen. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf, leider drehte sich mir dabei gleichzeitig auch der Magen um.
»O beim Zeus! Bitte, lass es schnell gehen«, flüsterte ich gepresst und hob mühsam eine Handvoll schmierigen Drecks vom Boden auf. Uahhh! Der Geruch war noch viel schlimmer, wenn man ihn direkt vor der Nase hatte. Würgend schmierte ich mir das Zeug ins Gesicht und betete darum, nicht auf der Stelle tot umzufallen. Um Fassung bemüht atmete ich durch den Mund und wischte mir ein paar krabbelnde Asseln aus dem Gesicht, die mir in die Wangen zwickten. »Bäh!«, entfuhr es mir. Ruckartig zog sich mein Magen zusammen. Schnell nahm ich eine weitere Handvoll Schlamm und schmierte mir die Pampe auch auf den Pullover, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Nur nicht hinsehen! Alles, nur nicht hinsehen! Oh, jetzt hatte ich doch hingesehen und das war definitiv kein Schokoladen-Parfait! Fluchend wischte ich mir ein letztes Mal die Hände ab, wirklich dankbar dafür, dass ich Handschuhe trug, und unterdrückte meinen Brechreiz. So! Wie kam ich jetzt am schnellsten aus dieser Ebene heraus? Da keine Aufzüge nach oben fuhren und kein einziges Taxi in Sichtweite war, musste ich wohl oder übel die altmodischen Treppen nehmen, die, ebenso wie die Aufzüge, die Ebenen miteinander verbanden und kreuz und quer durch ganz Downtown verliefen. Ich musste nur die richtige Treppe finden.
Mit einem letzten Blick über die Schulter setzte ich mich schließlich in Bewegung und senkte den Kopf. Meine Schritte hallten von den verlassenen Baracken wider, während mein Schatten lautlos über den schlammigen Boden zuckte. Niemand lief mir über den Weg, trotzdem hatte ich das Gefühl, von Dutzenden Augenpaaren beobachtet zu werden. Nervös zog ich mich tiefer in den Schatten zurück und beschleunigte meine Schritte, bis ich um eine Kurve bog und vor einer grün gestrichenen Straßenlaterne stand. Helles Licht zog sich über ein holpriges Kopfsteinpflaster. Von Weitem glaubte ich, Stimmen zu hören. Misstrauisch setzte ich meinen Weg fort und fand mich in einer langen Gasse wieder, deren hässliche Häuserzeilen sich dicht an dicht drängten. Abaddoner füllten allmählich die Straßen. Zuerst nur spärlich. Gekrümmte Gestalten, die wie ich mit eingezogenen Köpfen über die Pflastersteine huschten. Im Schatten eines Hausvorsprungs sahen mir die katzenhaften Augen eines Nachtmahrs entgegen. Misstrauisch beäugten wir uns. In seinen Augen glomm ein hungriges Leuchten auf. Sofort beschleunigte ich meine Schritte und kreuzte mit verschiedensten Wesen und Menschen den Weg. Inzwischen waren auch die Fenster der Häuser in schmutziges Licht getaucht. Der Gestank wich dem Geruch nach Bier, Essen und Sünde … sofern Sünde einen Geruch hatte. Ich sah Gargoyles, die wie graue Tauben auf den Dächern saßen. Vampire drückten sich in den schummrigen Kneipen herum und besahen sich die menschlichen Blutspender, deren Hälse übersät mit roten Bissspuren waren. Schwarze Männer, deren Silhouetten nur aus den Augenwinkeln zu erkennen waren, drängten sich um klapprige Holzstände herum. Diese verkauften, angefangen bei abgeschlagenen Händen eines Mörders bis hin zu den Tränen einer bengalischen Jungfrau, so ziemlich alles. Wenn man illegale Dinge bekommen wollte, dann auf jeden Fall hier unten. Ich sah ein paar Furien mit spitzen Nasen und vogelartigen Augen sowie eine Hydra, die lauthals um ein dreiköpfiges Huhn mit einem Bergtroll stritt. Hier und da erkannte ich auch Mutanten, deren weiße, fleischige Körper erschreckende Ähnlichkeit mit Maden hatten. Obwohl sie mit ihren drei Beinen grotesk schnell über den Pflasterstein humpeln konnten, fehlte manchen von ihnen das Gesicht. Oder sie hatten Arme an Stellen, wo es unter natürlichen Umständen keine geben sollte. Der Abschaum der Unterwelt schien sich hier unten zu versammeln, zu feilschen und zu betrinken.
Schaudernd zog ich mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und hielt mich eng an die Hauswände gedrückt. Möglichst unauffällig glitt ich durch die Straßen, die Augen auf jedes Wesen geheftet, dass mir zu nahe kam. Zum Glück schien mir niemand genauere Beachtung zu schenken. Die enorme Anspannung in meinen Schultern nahm langsam ab, als ich an einer heruntergekommenen Kneipe vorbeihuschte, die einen singenden Schrumpfkopf an der Eingangstür hängen hatte.
»Hey, Kleiner, wohin soll es denn gehen?«, krähte er mir ins Gesicht. Sein mickriger Kopf war an den schwarzen Haaren an einem morschen Balken festgebunden, seine Augen wie klebrige Rosinen in den knittrig-grauen Augenhöhlen eingesunken. Das Grinsen war ein wenig irre. Zögerlich blieb ich stehen. Um ehrlich zu sein, ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand oder wo die nächste Treppe zu den oberen Ebenen zu finden war.
»Wie heißt diese Straße?«, fragte ich daher und leckte mir nervös über die Lippen.
»Du bist in Straße 1.303, Kleiner. Hast dich verlaufen, was?« Sein verrücktes Gackern ließ einige passierende Abaddoner neugierig aufsehen.
»Pst! Nicht so laut! Ich will nur nach oben«, zischte ich nervös und sah mich um.
Dieser Warlock mit den grünen Haaren sah mich viel zu interessiert an. »Nur nach oben? Tja, das wird wohl nichts werden, Kleiner. Der Boss hat die Schotten dicht gemacht. Kein Lift, keine Treppen, keine Autos.«
Genervt presste ich die Lippen zusammen. »Ganz sicher? Überall? Ein paar Taxis müssen doch fahren!«
»Bist du taub? Kein Lift, keine Treppen, keine Autos. Wir sind hier schließlich nicht im schicken Uptown. Die Höllenhunde sind los.«
»Aber ich muss unbedingt nach oben!« Panik stieg in mir auf, während der Kopf mich krächzend auslachte. Dabei versprühte er in alle Richtungen Spucketröpfchen.
»Wenn es wirklich so wichtig ist, kannst du ja nach oben telefonieren. Vielleicht holt dich jemand ab.«
»Hier gibt es ein Telefon?«
»Gleich hinter mir, Knirps.«
Misstrauisch musterte ich das Schild der Kneipe.
Zum blutigen Helsing entzifferte ich. Eine Vampirbar. »Fuck!« Stöhnend kniff ich mir in den Nasenrücken und atmete durch. »Gibt es in der Nähe noch eine andere Bar mit Telefonanschluss?«
»Nicht, dass ich es wüsste, aber du kannst es ja mal bei den Werwölfen versuchen.«
»Bei den Göttern, bloß das nicht!«, stieß ich entsetzt hervor.
Der Schrumpfkopf gackerte. Die Nähte an seinen Lippen platzen dabei auf. »Jaaa. Der Geruch ist nicht jedermanns Sache, was? Also dann, immer hereinspaziert in die gute Stube und pass auf deinen Hals auf! An dir ist nicht gerade viel dran.« Jaulend drehte sich der Schrumpfkopf um sich selbst.
Die Tür sprang knarrend auf und wehte einen Schwall Bier und salzigen Blutgeruch nach draußen. Zögerlich zwang ich meine Füße nach vorne. Sobald ich die Schwelle überschritten hatte, wollte ich schon wieder umkehren. Leider knallte im gleichen Augenblick die Tür hinter mir zu und schloss mich in einen verrauchten Raum voller Vampire und deren Domestiken ein. Zum Glück war es so laut und voll, dass niemand mein Eintreten wirklich zu bemerken schien. Rote Lampen warfen ein gruseliges Licht auf die Tische, um die sich Dutzende von Vampiren drängelten.
Es war das erste Mal, dass ich so eine Bar betrat, von meinen Brüdern hatte ich jedoch mehr als genug Geschichten gehört, um mir vor Panik ins Höschen zu pinkeln. Und wie ich jetzt sah, waren die Geschichten auch nicht übertrieben gewesen. Gleich am ersten Tisch, direkt vor mir, spielten sechs Vampire Poker, wobei die Karten mit rotem Blut vollgeschmiert waren. Als Wetteinsatz dienten