Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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errötete, was man bei seinem fellbedeckten Gesicht nur am Halsansatz erkennen konnte. »Ach, hör doch auf. Warum hast du schon wieder deinen Ausweis vergessen? Ich dachte, du hättest deiner Mutter versprochen, für ein paar Wochen keinen Ärger zu machen. Außerdem ist dein Gesundheitscheck fällig.«

      »Meinst du, das weiß ich nicht?«, fragte ich finster und stieß eine im Mauerwerk verborgene Tür auf. Wir befanden uns in dem kleinsten der sechs Kellergewölbe, innerhalb von Ebene 243 der Hölle. Der Raum, den wir daraufhin betraten, war schmal und hatte früher als Folterkammer gedient. Rostige Handschellen baumelten noch von der Decke. Alte, abgenutzte Tische, auf denen dunkle Flecken zu sehen waren, beherrschten die karge Kammer, wobei in der rechten Ecke eine eiserne Jungfrau Staub ansetzte.

      »Ich will wirklich keinen Stress mit meiner Mutter, aber es scheint sich nicht vermeiden zu lassen. Sag mal, ist hier auch kein Strom?« Entmutigt ging ich zur hinteren Wand der Folterkammer, wo eine mit Laken abgedeckte rote Ledercouch stand. Über der eisernen Jungfrau hing ein schwarzer Plasmafernseher mitsamt Lautsprecherboxen, die den gesamten Raum zum Beben bringen konnten. Als Abstelltisch diente eine der alten Folterbänke. Der Raum wurde schon seit Jahrhunderten nicht mehr in seiner ursprünglichen Form genutzt und da er – den Göttern sei Dank! – schalldicht war, mussten wir uns auch nicht das Geschrei der im Nebenraum tatsächlich Gefolterten anhören. Ich hatte den Großteil meiner Kindheit zusammen mit Sokrates, als meinen Babysitter, und meinen Brüdern in diesem Raum verbracht. Am Anfang hatten hier noch Bauklötze, Spielautos und kopflose Barbies herumgelegen. Später wurde das alles durch Elektronikzeug, Plakate von One Direction und Playboy-Bunnies abgelöst – wobei Letzteres von meinem Bruder Madox magisch an die Wand getackert worden war, sodass Miss Mai 2006 immer noch dort hing. Als wir älter wurden, sollte Sokrates uns viel mehr Respekt vor den Göttern lehren, aber da der Minotaurus keinen Nerv und keine Lust dazu hatte – und weil auch ich wirklich Besseres zu tun hatte –, guckten wir meist Filme oder mampften Pizza, bis mich Vater wieder aus dem Kerker entließ. Eine Zeit lang hatte ich versucht, wütend auf ihn und meine Mutter zu sein, wann immer sie mich wieder in die Folterkammern abgeschoben hatten. Bis ich letztlich begriff, dass es sinnlos war, sauer zu sein. Es ging ihnen schlicht und einfach am göttlichen Arsch vorbei. Man konnte von einem Gott, der beinahe viertausend Jahre alt war, kein normales, menschliches Verhalten mehr erwarten. Macht und Alter ließen sie kauzig werden.

      »Wie geht es deiner Mutter?«, fragte Sokrates wie aufs Stichwort. Ich brummte nichtssagend. Er zog eine buschige Augenbraue hoch. »So schlecht?«

      »Schlimmer.«

      »Irre ich mich oder kommt ihr immer schlechter miteinander aus?«

      Ich zuckte verhalten mit den Schultern. »Was soll ich sagen. Ich bin nun einmal die große Enttäuschung in ihrem perfekten Leben. Die Tochter, die nicht das Erbe ihrer Mutter mit dem sexy Hüftschwung, den perfekten Lidstrichen und der gnadenlosen Männerjagd geerbt hat. Wenn sie nicht aufpasst, wächst ihr von dem ganzen Naserümpfen noch ein Rüssel.«

      Der Bulle guckte mitfühlend.

      Ich schluckte trocken und grinste schal.

      »Ich bin sicher, Aphrodite liebt dich, Warrior. Sie kann gar nicht anders. Immerhin ist sie die Liebe persönlich.«

      Ich lachte ungläubig. Von der Härte in meiner Stimme wurde mir ein wenig schlecht. »Meine Mutter liebt mich nicht. Ich bin der Freak, bei dem sich die Kräfte der Liebe mit den wahnsinnig tollen Todeskräften von Hades verbunden haben, sodass jeder, der mein Gesicht anglotzt, wahnsinnig wird. Das ist ja so viel besser. Aber nein, warte! Es wird sogar schlimmer: Letztens wurde ich in der U-Bahn fast vergewaltigt, weil ein paar Typen fanden, dass ich so wundervoll nach Rosen riechen würde.« Ich rümpfte die Nase und war dankbar, dass die Sonnenbrille die aufsteigenden Tränen verdeckte. Ich blinzelte hektisch und versuchte, möglichst nicht zu schniefen. So sehr ich mich auch bemühte, das Thema mit meiner Mutter hinter mir zu lassen, tat es dann doch immer weh, erkennen zu müssen, wie sehr sie mich ablehnte. Es schmerzte, dass sie mich lieber nach Abaddon zu meinen Brüdern steckte, als mich, genau wie meine Schwestern, mit in den Olymp zu nehmen. Sie schämte sich für mich. Schämte sich für mein Gesicht, das ich verstecken musste, während ihr die olympischen Ärzte ein ums andere Mal erklärten, dass sich mein Medusa-Syndrom verschlimmert hatte. Der Ekel in ihrem Gesicht war jedes Mal wie ein Schlag in den Magen. Meine Schwestern Diamond, Ruby und Opal entsprachen da schon eher ihren Erwartungen.

      »Möchtest du eine Cola?« Sokrates’ Stimme durchdrang meine Gedanken.

      Lächelnd nahm ich eine staubige Flasche aus seinen wuchtigen Pranken. »Danke, Sok! Alsooo … können wir heute überhaupt fernsehen? Ich meine, wenn der Strom gekappt ist und so?«

      Der Büffel schnaubte und ließ sich seufzend neben mich auf das Sofa fallen. Er war so schwer, dass es mich dabei fast von der Couch katapultierte. »Nein. Aber die Xbox ist glücklicherweise mit dem Notstromgenerator verbunden. Es dürfte kein Problem sein, sie anzuschalten, sofern du mich nicht beim Boss verpfeifst.«

      »Meine Lippen sind versiegelt!«, schwor ich feierlich und zog meine behandschuhten Finger über die Lippen, als würde ich einen Reißverschluss zuziehen. Der Minotaurus grunzte und öffnete sich seinerseits eine Coca-Cola.

      »Hier!« Achtlos warf er mir einen der Controller zu, den ich ungeschickt auffing. Ich war nicht unbedingt ein Naturtalent, was die Auge-Hand-Beinkoordination betraf. Ich war zwar nicht direkt tollpatschig, aber bei Gott, beim Sport versagte ich kläglich. Jedes Mal! Meine Ausdauer war miserabel, was ich wohl meinem Dasein als Stubenhocker zu verdanken hatte. Einzig bei Strategiespielen blamierte ich mich nicht vollkommen. Ich mochte Kriegsspiele. Das rationale, kalte Denken dahinter. Die Fallen und Taktiken des Gegners, die man vorausahnen musste. Die Fülle an Möglichkeiten, die es einem eröffnete, sein Gegenüber restlos zu vernichten. Es war wohl eine der wenigen dunklen Adern, die ich von meinem Vater geerbt hatte. Zumindest neben diesem Jeder-der-mich-ansieht-wird-verrückt-Gen.

      »Was sollen wir heute spielen?«, fragte Sokrates und sah die Spielesammlung durch, die wir in den letzten Jahren mühselig in den Kerker geschmuggelt hatten.

      »Mhm, Assassin’s Creed?«, schlug ich vor, was dem Minotaurus das zufriedene Grunzen entlockte. Lächelnd lehnte ich mich zurück und schüttelte meine Cola. Ruckartig blähte sich das Plastik in meiner Hand auf und wurde steinhart, bevor ich die Verschlusskappe langsam aufdrehte. Ein leises Zischen ertönte, während die Kohlensäure entwich. Sokrates verzog angeekelt das Gesicht, als ich noch mal zudrehte und schüttelte. »Wie kann man Cola ohne Kohlensäure trinken?«, fragte er mich schnaubend.

      Schulterzuckend nahm ich einen tiefen Schluck und seufzte. »Ich mag Kohlensäure einfach nicht. Das verfälscht den Geschmack!«

      »Du kleine Missgeburt!«, brummte der Stier liebevoll.

      Ich grinste. Meine Geschwister nannten mich ähnlich, nur war es bei ihnen nicht annähernd so nett gemeint. »Du musst mir jetzt noch einmal erzählen, warum Hades den Strom in der gesamten Hölle kappen ließ!«, nahm ich das Thema von vorhin wieder auf, als das Spiel startete und ich flink den aktuellen Spielerstatus eingab. Die Figur: Ein in Weiß gekleideter Mann mit Kapuze und schweren Waffengurten um Schulter und Hüfte erschien auf dem Bildschirm. Seine Aufmachung erinnerte mich ein wenig an meine eigene. Seit ich in die Pubertät gekommen war, trug ich ausschließlich ausgeleierte Kapuzenpullis, schwarze Jeans und lederne Handschuhe, die mir bis zu den Ellbogen reichten. Alles Kleidungsstücke, die den Körper verhüllten und unförmig erscheinen ließen. Zudem verdeckte eine Sonnenbrille meine Augen. Die Füße steckten in wadenhohen Stiefeln. In meinen besten Tagen ähnelte ich doch sehr einer Möchtegern-Ninja-Spielfigur aus Dungeons and Dragons. Als Tochter der Aphrodite war ich damit natürlich eine absolute Peinlichkeit auf zwei Beinen. Leider war das notwendig. Niemand durfte meinen Körper genauer sehen. Nicht das kleinste Fleckchen Haut. Selbst meinen Geruch musste ich seit diesem Fiasko in der U-Bahn mit stinkenden Parfüms überdecken. Sokrates schnaubte unruhig und ließ seinerseits die Spielfigur über den Monitor rennen. »Das ist nicht für deine Ohren bestimmt, Warrior. Außerdem weiß ich es nicht genau. Jedenfalls scheint die Kacke mächtig am Dampfen zu sein. Ich kann die Götter spüren, wann immer sie in der Nähe sind. Und ich habe den


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