Warrior & Peace. Stella A. Tack
Mann, wozu war das denn nötig?«, grunzte ich und riss erschrocken die Augen auf, als sich Kroton ebenfalls auf mich fallen ließ. »Pfff!« Wie bei einem Luftballon schoss die restliche Luft aus mir hinaus.
»Bringt sie nach Downtown! Ich werde ihrem Vater von den fehlenden Manieren seiner Tochter berichten«, krächzte Gladis zufrieden, während mir die beiden Höllenhunde die Hände auf den Rücken drehten.
»Ach, kommt schon. Das muss wirklich nicht sein. Ich komme noch zu spät.«
Meine Rippen schmerzten von dem Zusammenprall und meine Lunge … War dieses merkwürdige Pfeifen normal? Hm. Ungerührt von meinem Gezappel stießen die Typen mich durch die offen stehende Tür. Das Letzte, was ich sah, war, wie die Warteschlange zufrieden weiterrückte, bevor die Tür ratternd vor meiner Nase zuschlug.
»Nicht schon wieder!« Kläglich ließ ich den Kopf hängen. Das war ein wirklich beschissener Tag und dabei war es gerade erst Nachmittag. Im Selbstmitleid schwimmend, sah ich auf. Ich war im Inneren eines Aufzugs. Davon gab es einige in Abaddon. Anders war es ziemlich mühselig, von einer Ebene in die nächste zu gelangen. Man konnte sich hier unten locker für ein paar Jahrzehnte verirren. Es war wie ein Labyrinth aus bunten Kuchenschichten, die in einer wirren Konstellation zusammengeschustert worden waren. Jede Ebene sah ein wenig anders aus. Manche waren ganz normale Orte. Kleinstädte mit lauschigem Ortskern, wo man Kaffee trinken und Eis essen konnte. Andere waren bizarre und albtraumhafte Welten aus Rauch und Feuer, in denen man jenen Wesen begegnete, die normalerweise nur mit Maulkorb herumlaufen sollten. Auf Ebene 99 gab es zum Beispiel einen Kobold namens Frank, der für die Buchhaltung zuständig war. Klasse Typ. Er hatte immer Lollis mit Kirschgeschmack in seiner untersten Schreibtischschublade. Wenn man sich allerdings auf Ebene 61 verirrte, wurde man von einem Seeungeheuer gefressen. Um so etwas zu vermeiden, waren die Aufzüge ein wahrer Segen. Leider fuhr der hier nur zu einer Station: Downtown.
Pling. Die Aufzugtüren schwangen auf. Ich blickte in einen feuchten steinernen und sehr, sehr dunklen Tunnel. Schon wieder. Meine Schultern sackten herab. Ich war so was von am Arsch. Das grelle Licht des Fahrstuhls durchdrang nur wenige Meter die Dunkelheit. Ich sah einen blauhäutigen Pixie über den Boden huschen. Geblendet durch die plötzliche Helligkeit blieb das Wesen wie gebannt stehen und zischte mit seinen kleinen, messerscharfen Zähnen in meine Richtung. Die gelben Augen verzogen sich zu bösartigen Schlitzen, bevor es krallenschabend wieder in der Dunkelheit verschwand. Oje, das würde meinem Vater gar nicht gefallen. Die Biester waren schlimmer als jede Rattenplage und sie konnten mit ihren Zähnen selbst Aufzugskabel durchbeißen, sodass es ihretwegen immer wieder zu schrecklichen Abstürzen kam. Man brauchte Tonnen an Schädlingsbekämpfungsgift, um die Pixies in Schach zu halten. Dort, wo man einen sah, waren meistens tausende andere in den hohlen Wänden oder dahinter versteckt. Misstrauisch musterte ich den Boden, suchte nach weiteren mordlüsternen Nagetieren, aber der Gang war leer. Ich trat aus dem Fahrstuhl. Die Türen knallten hinter mir zu und nahmen damit auch noch den letzten Rest Helligkeit mit sich. Es rappelte. Der Boden bebte leicht, ließ mich wanken, bevor der Aufzug genauso schnell wieder verschwand, wie er gekommen war. Ich blinzelte angestrengt und begann mir vorsichtig einen Weg nach vorne zu bahnen. Ich war so oft in Downtown unterwegs, dass die Höllenhunde meines Vaters mich nicht einmal mehr schützend begleiten mussten. Ich wusste, wohin mein Weg mich führte. Vor mir lag ein langer, kalter Schacht, von dessen Decke es immer wieder ekelhaft tropfte. Von überall und gleichzeitig nirgendwo hallten gequälte Schreie durch das Mauerwerk. Der Boden war nass und bei jedem Schritt schmatzte es leise. Das Scharren der kleinen Pixie-Krallen war unüberhörbar. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Wenn man vor Dunkelheit, Schimmel, Platzmangel, Pixies oder dem Verlust von WLAN Angst hatte, starb man hier unten tausend Tode. Was natürlich auch der Sinn der Sache war. Mit Hölle und so. Wenn man jedoch so oft wie ich hier unten war, wusste man, dass es nur zehn Meter weiter einen Lichtschalter gab. Auch das ständige Tropfen und gequälte Geschrei, das in der Dunkelheit nachhallte, war wirklich nichts, vor dem man sich fürchten musste. Theoretisch. Hier unten lagen zwar Folterkammern, diese wurden jedoch nur noch selten benutzt. Dafür befanden sich hier aber auch die Sanitäranlagen der Angestellten. Das benötigte Wasser für die Toiletten wurde aus dem Styx, dem See der verdammten Seelen, abgepumpt, sodass man mitsamt Klowasser und Inhalt auch gleichzeitig Dutzende verstorbene Seelen hinunterspülte. Das Stöhnen und Schreien war lediglich ein schwacher Protest vor dem Angepinkelt-und-runtergespült-Werden. Okay, es scharrte wieder. Etwas zwickte mich fest ins Bein. Ich sprang einen gefühlten Meter nach oben und kreischte erschrocken. Ein Pixie lachte gackernd. Fluchend rieb ich mir das Bein und warf dem Vieh einen bitterbösen Blick zu, was dieses nur irre Kichern ließ. Bei den Göttern! Diese Dinger waren so was von durchgeknallt! Na toll.
Jetzt hatte ich doch Schiss. Ich brauchte Licht, sonst würde ich hier unten noch als Pixie-Dessert enden.
Schimpfend humpelte ich an den Wänden entlang, wo ich tatsächlich die kalte Klinke fand. Eine Tür. Ich richtete mich auf und tastete mich weiter, fuhr in etwas Glitschiges – Ahhh! O Gott! Hoffentlich kein Trollrotz! – und fand schließlich den Lichtschalter. Mit dem Ellbogen drückte ich drauf. Es klickte leise und … nichts. Stirnrunzelnd versuchte ich es erneut. Wieder nichts. Ein Wasserrinnsal tropfte mir über den Nacken. Ich konnte die Seelen über mir stöhnen hören, gefolgt von einem lauten Spülgeräusch.
»Was zum …?« Murrend drückte ich den Schalter ein drittes Mal. Doch es blieb ebenso stockdunkel wie zuvor. Fluchend lehnte ich mich gegen die Tür. Nicht schon wieder! Die Stromversorgung in der Hölle war einfach grauenhaft. Meist wurden die Leitungen von flüchtenden Pixies angeknabbert. Jetzt musste ich meinen Weg zu den Folterkammern im Dunkeln zurücklegen. Ganz toll. Wunderbar! Genervt stützte ich mich an der Wand ab und überlegte. Die Spülung hatte mich daran erinnert, dass ich eigentlich schon seit dem Mittagessen aufs Klo musste. In meinem Stress, den Termin im Olymp nicht zu verpassen, hatte ich es einfach ignoriert. Jetzt aber musste ich wirklich, wirklich dringend. Zu meinem Glück befand sich hinter dieser Tür eine der Toiletten. Zumindest, wenn sie in den letzten Tagen nicht zu einem Abstellraum oder etwas Ähnlichem umfunktioniert worden war. Hier unten wusste man nie. Vielleicht funktionierte zumindest das Licht im Inneren des Raumes. Die Sanitäranlagen wurden seit Neuestem auch mit dem Notstromgenerator versorgt, da einfach zu viele Angestellte im Dunkeln falsch gezielt hatten. Die Putzfrauen hatten sich geweigert, die ständige Schweinerei aufzuwischen. Es gab erste Streiks, bis sich am Ende sogar die Verdi – verdammte Dienstleistungsgewerkschaft – eingeschaltet und Hades die Verantwortliche entweder beschwichtigt oder an den Daumen aufgehängt hatte. Meine Chancen standen also nicht schlecht. Einen Versuch war es zumindest wert. Blinzelnd tastete ich wieder nach der Klinke, fand sie und drückte. Die Tür schwang problemlos auf. Ich streckte den Kopf hinein und musste augenblicklich würgen. Ein strenger Geruch nach künstlicher Zitrone, Urin und schwarzer Magie schlug mir entgegen. Ich rümpfte die Nase und hatte überhaupt keine Lust mehr, in diese Stinkhöhle hineinzugehen, aber meine Blase hatte inzwischen so sehr ihre liebe Not, dass ich todesmutig in die Toilette hineinpolterte. Sofort scharrten kleine Pixie-Krallen am Holz und haarsträubendes Lachen erklang. Schnaubend trat ich dagegen. Die Pixies quietschten erschrocken und rannten davon. Sehr schön. Jetzt musste ich nur noch den Lichtschalter finden. Die Beine zusammenkneifend, fuhr ich mit den Händen über die gesprungenen Fliesen hinweg und drückte den Schalter. Schummrig grünes Notlicht leuchtete auf. Ich blinzelte und fluchte. »Scheiße, was soll denn das sein?« Hier drinnen sah es aus, als hätte sich ein Troll die Seele aus dem Leib gewürgt und sich anschließend noch ein paarmal kräftig darin gewälzt. Unter meinen Schuhen klebte es schmatzend, als ich mich vorsichtig der Kloschüssel näherte. Das Ding sah aus, als hätte eine gigantische Schnecke ihr Geschäft darauf verrichtet. In der Schüssel blubberte es. Quiekend sprang ich zurück und wäre beinahe auf der Sauerei am Boden ausgerutscht. Vor lauter Ekel schüttelte es mich. Nie im Leben würde ich hier pinkeln können. In der Schüssel brodelte es erneut. Es klang beinahe wie ein Hilfeschrei. Misstrauisch linste ich noch einmal hinein und sah unter all dem Schleim etwas zappeln. Eine Seele! O mein Gott, die arme.
»Hey? Alles gut da drin?«, fragte ich zaghaft. Die Seele begann panisch zu flimmern. »Klar, blöde Frage. Soll ich dich da rausholen?« Die Seele zappelte heftiger. Der grüne Schleim schlug Blasen. Ein unglaublich schrecklicher Geruch stieg dabei nach oben. Es ätzte mir praktisch die