Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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als das Scharren von großen Füßen durch den Saal hallte.

      »Ahh!« Unruhig wichen die Verdammten zurück, rissen dabei ein paar andere Unglückliche zu Boden. Ein tiefes Grollen durchdrang den Raum, bevor eine körperlose Stimme die panischen Schreie der Gefangenen durchschnitt: »Willkommen Seelen, in der ewigen Verdammnis! Kein Weg führt aus diesen Gemäuern heraus. Nehmet Abschied von jeder Hoffnung, denn ich werde euer Kerkermeister sein.«

      Das Grollen erfüllte die Dunkelheit und ließ die steinigen Wände erzittern. Nett. Grinsend ließ ich eine Kaugummiblase zerplatzen und schielte zu den verborgenen Lautsprechern hoch.

      »Ihr werdet eure Taten bereuen. Wir werden eure Seelen läutern. Macht euch bereit, die Strafe zu empfangen. Also … stellt euch in einer Reihe auf und drängelt nicht! Ich kann Unordnung nicht leiden!«, bellte die Stimme. Ein warmes Licht durchzuckte die stählerne Dunkelheit, als der Körper eines gigantischen Minotaurus sich in unser Blickfeld schob. Das Untier hatte den Körper und die Beine eines muskulösen Mannes mit sandbrauner Haut. Seine Füße endeten in gespaltenen Hufen, die bei jedem Schritt Funken sprühten. Sein Kopf war der eines Stieres, mit dunklen Hörnern, die sich bis zur steinernen Decke streckten. Ein faustgroßer Nasenring steckte in seinen Nüstern, die er in ebenjenem Augenblick Furcht einflößend blähte. Hinter ihm lösten sich Teddy und drei weitere Trolle aus der Dunkelheit und begannen damit, die Menschen wie aufgescheuchte Hühner zusammenzupferchen. Mit altmodischen Speeren trieben die Trolle die Gefangenen an dem Minotaurus Namens Sokrates vorbei, der soeben das Mikrofon für den Verstärker von seinem Maul wegschob und ein iPad herausholte. Grimmig begann er eine Liste sämtlicher neu registrierter Insassen aufzurufen und las ihre Vergehen vor. Dabei kniff er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Der gewöhnliche Laie machte sich bei diesem Ausdruck normalerweise vor Angst in die Hose. Ich hingegen wusste, dass er nur seine Brille vergessen hatte. Schon wieder. Nach einem kritischen Blick in das Gesicht des jeweiligen Gefangenen verwies Sokrates diesen, je nach Schwere des Vergehens, in eine bestimmte Abteilung der Folterkammer. Da sich dieses Prozedere oft endlos in die Länge ziehen konnte, insbesondere dann, wenn dieser Hornochse seine Brille vergessen hatte, wartete ich geduldig, bis die Gefangenen Rotz und Wasser heulend in die dunklen Kammern verschleppt wurden. Dass die Mehrheit nur Sozialdienst aufgebrummt bekommen hatte, würde ihnen noch früh genug klar werden. Mein Vater vertrat die Ansicht, dass Sozialarbeit der Hölle weitaus mehr zugutekam, überdies Personalkosten einsparte und schlechte Charaktereigenschaften viel schneller auf den rechten Weg rückte, als jedem Einzelnen die Haut von den Knochen zu ziehen – und wenn man mich fragte: Die Klos der Hölle zu putzen, das war eindeutig schlimmer als jede Folter. Schon mal den Haufen eines Minotaurus gesehen?

      Ploppend zerplatze eine nach Minze schmeckende Kaugummiblase vor meinem Mund. Nach etwa einer halben Stunde stand ich endlich selbst vor dem Minotaurus. Grinsend blickte ich zu ihm auf. »Was sollte das denn werden? Stellt euch in einer Reihe auf? Nicht drängeln, ich kann Unordnung nicht leiden? Sehr Furcht einflößend. Bewerfen wir die Verdammten demnächst auch mit flauschigen Kaninchen?«, zog ich den Kerkermeister auf. Schnaufend ließ er das iPad sinken und starrte mit belustigt funkelnden Augen zu mir hinab.

      »Beim Abaddon, Warrior! Dieses ganze Gejammer geht mir schrecklich auf die Nerven. Sie sind immerhin nicht ohne Grund hier unten. Und dieser verdammte Technik-Schnickschnack macht mich am Ende noch wahnsinnig. Warum will dieses Ding ständig Updates von mir?« Er hob das iPad wieder an und tippte fluchend mit seinen dicken Fingern auf dem Bildschirm herum. »Ich sag es dir, Mädchen, die Zeiten waren eindeutig einfacher, als wir noch nicht alles digital für die Buchhaltung absichern mussten. Und wenn mir Hades noch ein Video von Hundebabys schickt, die kopfüber in den Fressnapf fallen, kündige ich!«

      »Mein Daddy schickt Hundevideos?«, kicherte ich, während der Minotaurus das iPad anstarrte, als würde er es am liebsten fressen.

      »Andauernd!«, blaffte er. »Und was soll dieses LOL bedeuten? Leiche ohne Leber? Ich verstehe einfach nicht mehr, was er von mir will. Hm, sei es drum. Was hast du eigentlich hier unten zu suchen?« Tadelnd zog der Minotaurus eine gigantische Augenbraue nach oben und schaltete die Lichter an den Wänden an.

      Geblendet blinzelte ich. Meine Sonnenbrille war ein wenig verrutscht und ließ die Welt in viel zu grellen Farben leuchten.

      »Spinnst du? Schau mich nicht an!«, fuhr ich Sokrates erschrocken an und zog die Kapuze tiefer, bevor das Licht mein Gesicht treffen konnte. Schnell rückte ich die Brille zurecht.

      »’tschuldigung, Prinzessin! Trotzdem, warum bist du hier unten? Solltest du denn nicht im Olymp sein?«, brummte er und verschränkte mit strenger Miene die Arme vor der haarigen Brust.

      »Tja, was das angeht …« Leicht verlegen schob ich meine behandschuhten Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern nach oben. »Ich habe wohl eventuell die Furie beleidigt … und den Passierschein vergessen. Du weißt schon, das Übliche eben.« Die Nasenflügel des Minotaurus blähten sich erneut, doch bevor auch er mit einer Strafpredigt beginnen konnte, wechselte ich schnell das Thema. »Ist ja auch egal. Einmal von meiner sozialen Unfähigkeit abgesehen, warum läuft hier unten alles mit Notstrom? Draußen funktioniert das Licht auch nicht. Haben wir schon wieder einen Pixie-Schaden? Da laufen eine Menge herum und eine der Toiletten sieht aus, als hätte eine gigantische Nacktschnecke darin Party gefeiert. Außerdem ist da jetzt ein großes Loch in der Tür.«

      Der Minotaurus brummte, verwirrt von dem schnellen Themenwechsel. »Da ist ein Loch in der Tür?«

      »Ein ziemlich großes«, stimmte ich zu.

      »Und wie kommt es dahin?«

      »Eine Seele ist Amok gelaufen.«

      »Aha … soll ich das verstehen?«

      »Musst du nicht. Aber wenn du eine gigantische, schlecht gelaunte Seele siehst, hol sie nicht mit einer Klobürste raus.«

      »Alles klar.«

      Zusammen schlenderten wir den Gang rechts an der Empfangshalle entlang. Das schwache Licht der Neonlampen biss sich störrisch Zentimeter für Zentimeter durch die niederdrückende Dunkelheit und erhellte dabei ein paar vorbeihuschende Pixies. Aii, das würde meinem Vater gar nicht gefallen. Der letzte Kleintierschaden hatte ihn Millionen gekostet. »Also, warum ist es hier so dunkel?«, bohrte ich weiter nach.

      Sokrates grunzte. Er konnte ganze Unterhaltungen nur mit Grunzen führen, wobei man zwischen seinem Ich-bin-genervt-Grunzen, seinem Ich-bin-hungrig-Grunzen und seinem Ich-mag-dich-Grunzen unterscheiden musste. Gerade war es allerdings eher ein Ich-fühle-mich-unwohl-Grunzen. »Es wurde befohlen! Dein Dad … ähm … ich meine natürlich den Boss, der hat gestern sämtliche Elektrik in der Unterwelt kappen lassen! Wir sind wieder, wie vor einhundert Jahren schon, auf Fackeln und ein wenig Notstrom angewiesen. Ich habe völlig vergessen, wie sehr diese Pechfackeln stinken.«

      »Warum hat Hades das befohlen?«, fragte ich verwundert. Die Hölle tat sich ein wenig schwer damit, den Errungenschaften des 21. Jahrhunderts hinterherzukommen. Dennoch, die essenziellen Vorteile elektrischen Stroms hatten selbst meinen störrischen viertausend Jahre alten Vater überzeugen können.

      »Es gab da ’n paar unschöne Dinge. Weiß nicht viel darüber, aber es hat den Boss mächtig wütend gemacht. Da bekomm selbst ich Angst.« Sein Blick verdüsterte sich, während er den Kopf schüttelte, als wollte er so ein paar unangenehme Erinnerungen loswerden. »Ich bin übrigens am Überlegen, mir eine neue Willkommensrede einfallen zu lassen. Ich sage seit beschissenen dreihundert Jahren dasselbe! Langsam kann ich es selbst nicht mehr hören.«

      »Es ist ein wenig abgedroschen«, stimmte ich zu und rieb mir den Kopf. Seit dieses Seelending mir einen elektrischen Stoß versetzt hatte, brummte mein Schädel.

      Der Bulle grinste genüsslich und kratzte seine haarige Brust. »Dachte ich mir doch! Wenn du ein paar Vorschläge hast, höre ich sie mir gerne an. Aber ich werde keine Worte wie cool oder chillig benutzen! Nur damit das schon mal geklärt ist«, brummte Sokrates, was mich leise kichern ließ.

      »Ich überlege mir etwas. Besonders die Stelle mit Nehmet Abschied war ein wenig … staubig. Nicht wirklich beeindruckend.


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