Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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fand das Ding unter einer so dicken Schleimschicht, dass ich tatsächlich dankbar für meine Handschuhe war, die ich ständig anhatte. Mit spitzen Fingern hob ich den Stiel, versuchte, den Modder abzuwedeln, und gab es sofort wieder auf. Das Zeug klebte wie Kleister. Die Seele zappelte inzwischen so heftig, dass es in der Schüssel wie in einem versifften Whirlpool brodelte.

      »Okay. Okay. Halt mal still, ich hole dich raus!«, wies ich sie an und stocherte im Matsch herum. Sofort schossen zwei leuchtend blaue Tentakel hervor und krallten sich verzweifelt in die Bürste. Ich zog und war erstaunt, wie schwer die Seele war. Seelen, die schon lange verstorben waren, verloren mit der Zeit ihre Form. Am Anfang ähnelten sie zwar noch ihrem körperlichem Ich, doch nach ein paar Jahrzehnten glichen sie eher leuchtenden Kugeln mit kleinen Tentakelchen. Diese hier war eine ebensolche, mit glitschigen Ärmchen. Eine von der schweren Sorte noch dazu. »Hoppla.« Beinahe rutschte mir der Stiel aus der Hand. Schnell nahm ich auch die zweite Hand zu Hilfe und zog weiter. Die Seele zappelte, zog sich hoch und schoss so blitzartig aus der Schüssel hervor, dass ich erschrocken nach hinten stolperte. Die Bürste flog in hohem Bogen durch den Raum, während die Seele wie ein großer und wabbeliger Tintenfisch auf mir landete. »Ahhh!«, jaulte ich erschrocken auf, als mich ein heftiger Stromschlag traf. Die Seele war warm, beinahe heiß, und ihr Körper war so durchscheinend wie der einer Qualle. In ihrem Inneren zuckten bunte Lichter wie Blitze umher. So eine hatte ich tatsächlich noch nie gesehen. Sie war viel zu groß und dann auch noch so frech, mich nach dieser Rettungsaktion anzuzischen. Das Ding verpasste mir prompt einen weiteren schmerzhaften Stromschlag.

      »Na warte, du kleines Biest!« Fluchend stürzte ich mich auf sie, doch sie schoss wie ein Flummi in die Luft und noch während ich sie zu packen versuchte, versetzte sie mir einen weiteren kräftigen Stromstoß, der mich gegen das schleimige Waschbecken stieß. Es krachte, Splitter flogen in alle Richtungen und ich starrte verdutzt auf ein faustgroßes Loch mitten in der Tür. Ein paar Pressholzspäne fielen zu Boden. »Scheiße!« Ich riss die Tür auf und sah, wie die Seele praktisch Fahnenflucht beging. Das schwache grüne Notlicht war hell genug, dass ich gerade noch erkennen konnte, wie sie sich in einen Abwasserrost quetschte und mit einem nassen Ploppen im Kanal verschwand. Ich hechtete hinterher, spähte durch das rostige Gitter, von dem ein paar grüne Schleimspuren hinabtropften. Wasser floss als dunkler Strom entlang. Der leicht säuerliche Geruch des Styx schlug mir entgegen. Dutzende Seelen paddelten darin herum. Manche von ihnen waren schon so weit fermentiert, dass sie nur noch als lose Schliere zu erkennen waren. Andere hingegen waren noch recht kompakt, sodass sich Gesichter und Ansätze von Gliedmaßen abzeichneten. Die von eben war jedoch nicht darunter. Sie war weg und ließ mich ziemlich schleimig zurück. Wahnsinn.

      Eine Weile guckte ich noch verdattert den Gully hinab, hörte das Gluckern des Styx unter mir und das Stöhnen der Vorbeitreibenden. Was war das denn gewesen? Die feuchte Kälte des Flurs kroch mir langsam in die durchlässigen Schuhe. Fröstelnd wischte ich mir die Hände an der Wand ab, versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, wie dringend ich inzwischen aufs Klo musste, und wich ein paar tollkühnen Pixies aus, die mir kreischend das Hosenbein hochkrabbeln wollten. Ich trat ihnen auf die kleinen Füßchen, bis sie jaulend das Weite suchten. Langsam ging ich weiter durch den schnurgeraden Tunnel. Als Kind hatte ich hier mit Kreide viereckige Flächen auf den Boden gemalt und darauf Himmel und Hölle gespielt. Inzwischen waren die Farbspuren von den vielen Füßen und der Nässe kaum mehr zu sehen. Außerdem verloren Hüpfspiele ein wenig von ihrem Reiz, sobald man einen Sport-BH tragen musste. Lustlos schlenderte ich durch den Tunnel, duckte mich unter ein paar zischenden Rohren hindurch und hörte mein Ziel, noch bevor es überhaupt in Sicht kam.

      Das Knallen einer Peitsche mischte sich mit dem Geschrei eines Mannes, der eindeutig keinen Spaß zu haben schien. Der Geruch von feuchtem Schimmel löste sich abwechselnd mit dem von verbranntem Fleisch ab, als ich mich Schritt für Schritt weiter durch den engen Flur tastete. Bis sich die Dunkelheit langsam lichtete und den Anblick auf ein Paar wuchtige eiserne Flügeltüren preisgab. Beide standen sperr­angelweit offen. Über ihnen war ein blinkendes rotes Neonschild mit den Worten Herzlich willkommen in der Verdammnis! angebracht. Höllenfeuer zuckte aus den Türen hervor und beleuchtete eine bereits wartende Schlange von Menschen, Olympiern und Abaddoner, die in etwa genauso begeistert aussahen, hier unten zu sein, wie ich mich fühlte. Ein jeder kam aus einer anderen Richtung. Verschiedene Tunnel, die sich wie Flussarme zu einem einzigen großen Flusslauf vor den Höllentoren zusammenschlossen. Manche Menschen waren alleine. Die Augen vor Angst weit aufgerissen, die Gesichter bleich. Andere wurden in ganzen Gruppen von schattenhaften Höllenhunden an Ketten nach vorne geschleift. Mit jedem Schritt wurde das Gewinsel der Gefolterten lauter. Der Geruch nach Urin, Angstschweiß, Blut und Eiter mischte sich mit dem vom paradiesischen Kokostraum. An den Türen hingen überall diese künstlich riechenden Tannenbäumchen, die den Gestank der Kerker ein wenig verbessern sollten. Eigentlich hatte die Gewerkschaft Lufterfrischer gefordert. Meinem Vater war der Kragen dann allerdings geplatzt, weshalb er die Gewerkschaftsführer für ein paar Tage an den Daumen hat aufhängen lassen. Also gab es jetzt Dufttannenbäumchen. Auch nett, wie ich fand. Unauffällig mischte ich mich in die Schlange der unglücklich Verdammten und schielte auf die Armbanduhr des Mannes vor mir. Eine blutbespritzte Rolex. Sehr teuer. Aber verdammt! Wenn die Uhr hier unten richtig ging, war es bereits halb vier. Damit hatte ich meinen Termin im Olymp mehr als verpasst. Niedergeschlagen folgte ich der Menge durch die dunklen Türen, wobei sich der Rolex-Armband-Typ vor mir prompt in die Hose pinkelte, als ein kahlköpfiger Troll ihm ein glühendes Eisen gegen den Handrücken presste. Sein heiserer Schrei schraubte sich in gellende Tonlagen. Ach ja, die Anfänger. Man erkannte immer, wenn jemand zum ersten Mal hier unten war.

      »Nicht aufgeben. Es wird besser«, versicherte ich dem Typen, der ohne viel Federlesen die Augen in den Höhlen verdrehte und in Ohnmacht fiel. Oha. Eine Dramaqueen also auch noch. Knurrend stieß der Troll den ohnmächtigen Mann in den Raum hinter sich, wo er ein paar der umstehenden Menschen umkegelte.

      »Hey, Teddy! Na, alles klar?«, grüßte ich den zwei Meter großen Troll, dessen Haut grünlich schimmerte. Seine Pranken mit den gelben Nägeln packten das Brenneisen fester, als er zustimmend grunzte. Zu mehr Konversation war der Arme nicht fähig. Sein Wortschatz reichte von grunz bis grunz-grunz. Alles andere überstieg seinen Horizont. Für einen kurzen Plausch reichte es aber allemal.

      »Ich habe gehört, du wurdest zum zweiten Folterknecht befördert. Gratuliere!«, plauderte ich munter weiter und schob den Ärmel meiner schwarzen Jacke ein Stückchen nach oben, sodass ein schmaler Spalt Haut zwischen dem Ärmelstoff und den Handschuhen sichtbar wurde. Dort prangte eine tätowierte Nummer, meine lautete: 30013 A/H. Jedes Gottkind bekam nach der Geburt ein solches Zeichen auf den Arm tätowiert. Im Klartext: Ich war Gottkind Nummer 30013 auf dieser Welt. A stand dabei für meine Mutter, Aphrodite. H für Hades, meinen Vater.

      Zustimmend nickend winkte er mich weiter. Vorsichtig stieg ich über die auf dem Boden sitzenden und teilweise vor Angst wimmernden Gefangenen hinweg, die sich wie ein Haufen blökender Schafe in der Empfangshalle zusammendrängten. Diese bestand im Grunde nur aus einer schmucklosen Steinhöhle, die sich kuppelartig nach oben hin schloss. Den Boden bedeckten brüchige weiße Fliesen, die von Erbrochenem und Ruß schimmerten. Ein paar grünlich blinkende LED-Lichter spendeten ein Mindestmaß an Helligkeit. Hier und da sah ich sogar noch ein paar altmodische Fackeln, die den Geruch nach verbranntem Teer verbreiteten. Ich rümpfte die Nase. Eigenartig. Normalerweise waren die Folterkammern mit besserem Licht ausgestattet. Ein paar Nachzügler wurden am Eingang noch gebrandmarkt, bevor sich die schweren Türen knarrend schlossen. Eine angespannte Stille breitete sich im Raum aus. Selbst die toughesten Menschen sahen inzwischen so aus, als würden sie vor Angst einen Herzinfarkt bekommen. Seufzend lehnte ich mich in den Schatten einer Steinmauer, direkt neben einer weiteren, gut getarnten Tür, hinter der sich Putzkübel und Wischmopps stapelten. Man sollte es an einem Ort wie diesem nicht vermuten, aber die Hygienevorschriften des Olymps und Abaddons waren sehr streng. Das Hygieneamt bescherte meinem Vater regelmäßig graue Haare. Insbesondere, wenn Strafzahlungen anstanden. Meistens wegen der Pixies. Ich wischte mir noch ein wenig Schleim von den Handschuhen, holte den Minzkaugummi aus meiner Hosentasche und wartete auf den Beginn der Show, die hier unten zweimal am Tag für die Neuankömmlinge stattfand. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die LED-Lichter ruckartig erloschen und uns in pechschwarzer Dunkelheit zurückließen.


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