Warrior & Peace. Stella A. Tack
Kreaturen seiner Art litten häufig unter schlechter Zahnhygiene und solch goldene Reißzahnimplantate, wie der Typ sie hatte, waren unfassbar teuer.
So unauffällig wie möglich drückte ich mich an ihnen vorbei und suchte eine Telefonzelle. Tatsächlich entdecke ich auch eine. Leider am anderen Ende. Ganz toll. Zwischen mir und einem Anruf nach oben lagen also nur gut hundert beschwipste Blutsauger. Einer von ihnen schien bereits einen über den Durst getrunken zu haben, denn er stürzte direkt vor mir von seinem Stuhl und erbrach lautstark eine karmesinrote Lache auf meine Schuhe. »Bäh.« Hektisch den Fuß schüttelnd, wich ich zurück und rempelte eine Kellnerin an, die mir einen giftigen Blick zuwarf.
»Sorry!« Stammelnd rettete ich mich an den Tresen und machte einen weiten Bogen um die Betrunkenen. Dabei stieß ich jedoch versehentlich gegen einen Tisch, auf dem sich zwei halb nackte Menschenfrauen rekelten. Ihre Körper waren beinahe kunstvoll zerbissen und zwei Vampirfrauen beugten sich über ihre Bäuche und schlürften Blut aus den Bauchnabeln. Die Umstehenden grölten, als die Vampirinnen sich genüsslich das Blut von den Lippen leckten und danach in eine Zitrone bissen. O Gott! Dieses Bild würde mir für sehr lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf gehen. Bevor ich selbst noch als diese Zitrone herhalten musste, legte ich an Tempo zu und verließ den überfüllten Raum auf der Suche nach einem anderen Telefon. Ein muffiger Gang mit einer Unisex-Toilette erwartete mich. Irgendwo dort drin konnte ich jemanden kotzen hören. Neben der Toilette war ein altes schwarzes Münztelefon angebracht. Die Teile gab es wirklich noch? Stirnrunzelnd kramte ich die Centmünzen aus meiner Hosentasche und warf sie ein. Dabei wählte ich Hades’ Handynummer – 666, hahaha – und hielt vor Anspannung die Luft an. Es knackte. Ein Tuten war zu hören. Danach noch eines. Und noch eines. Ein erneutes Knacken erklang, bis die volltönende Stimme des Totengottes aus dem Hörer schallte. »Das ist der Anschluss von Hades-Pluton-Adamastos-Ameilichos-Iphthimos-Pelorios-Krateros-Stygeros-Apotropos-Aidelos-Melas-Kyanochaites-Hennichos-Phonios. Totengott und Herrscher der Unterwelt. Herrscher der unterirdischen Gefilde und Reichtümer.« Im Hintergrund hörte ich meine eigene Stimme hervorschallen. »Dad! Du musst nicht all deine Namen sagen. Hades reicht.«
»Aber so heiße ich!«
»Hades reicht!«
»Was macht ihr da?« Die Stimme meines Bruders Madox mischte sich ein.
»Deine Schwester behauptet, ich soll in dieses Handy sprechen, um den Leuten mitzuteilen, dass ich keine Audienz gewähren kann!«
»Aha? Im Klartext?«
»Er versucht, eine Ansage auf den AB zu machen!«
»Krass! Und warum hält er dann das Telefon verkehrt?«
»Willst du mich beleidigen, Sohn? Ich bin ein allmächtiger Gott! Schrecken der Unterwelt, ich halte dieses Ding nicht … oh …«
Ein Knacken war zu hören, gefolgt von Madox’ unterdrücktem Kichern.
»Daddy, das Band läuft noch. Sprich endlich was drauf.«
»Na schön!« Dem folgte ein gequältes Seufzen. »Das ist der Anschluss von Hades, nur Hades. Leider bin ich im Augenblick damit beschäftigt, verlorene Seelen zu quälen. Hinterlassen Sie mir also keine Nachricht, ich bin ein beschäftigter Gott und habe nicht die Zeit, mit jedem zu reden.«
»Daddy!«
»Was denn? Stimmt doch! Ich …«
Ein Piepen war zu hören. Das Band lief. Frustriert legte ich auf und wählte erneut.
»Das ist der Anschluss von Hades-Pluto …«
Krachend drückte ich das Telefon auf die Gabel und schloss die Augen. Verdammt, verflucht. Hades ging nicht ans Handy und rief prinzipiell nicht zurück. Höchstwahrscheinlich, weil er nicht wusste, wie das ging. Was sollte ich jetzt machen? Ein wenig hilflos sah ich mich in der Vampirbar um. Vielleicht konnte mir jemand helfen oder … Mein Blick blieb an ein Paar rot glühenden Augen hängen, die mich hungrig und leicht betrunken anstarrten. Vor Schreck rutschte mir das Herz in die Hose.
Es war der Vampir aus dem Fahrstuhl. »Scheiße!«, alarmiert starrte ich ihn an. Er lehnte am Tresen. Sein Blick war verschwommen und glasig, sein Mund rot verschmiert. Innerlich hoffte ich, dass er zu bluttrunken war, um noch wirklich Interesse an mir zu zeigen, doch leider schien mir das Universum ein weiteres Mal auf den Kopf zu kacken.
»Na, so was! Wen haben wir denn da? Wenn das nicht Schicksal ist. Die Blume von vorhin!« Sein hungriges Schnurren stellte mir sämtliche Nackenhaare auf. Unauffällig schielte ich in Richtung Tür und setzte mich im Krebsgang in Bewegung. Der Typ schnurrte wieder genüsslich. Geschmeidig stieß er sich vom Tresen ab.
»Du bist der Möchtegern-Dracula aus dem Fahrstuhl«, erwiderte ich trocken. Ich wollte tough und abgebrüht klingen. Auf keinen Fall wie Beute, der man hinterherjagen wollte. Leider zitterte meine Stimme dabei vor Nervosität. Der Vampir grinste und entblößte eine Reihe langer weißer Zähne. Er schien definitiv keine Reißzahnprothesen zu brauchen.
»Weil wir ja alte Bekannte sind, Schätzchen, gebe ich dir einen Vorsprung von … sagen wir mal … fünf Sekunden, bevor du meine Zähne in deinem duftenden kleinen Hals wiederfindest.« Seine Augen leuchteten auf.
Ich war nicht so dumm, dieses Angebot abzuschlagen. Die Gier stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Blutrausch hatte den Wahnsinn in seinen Augen längst freigesetzt. Mit pochendem Herzen und schwitzenden Händen spannte ich die Beine an und rannte los. Dabei stieß ich Vampire und Menschen von mir, die erschrocken aufschrien. In meiner Hektik rammte ich mit der Schulter die Theke, während ich über einen Bewusstlosen am Boden sprang. Dabei rutschte ich beinahe in der erbrochenen Blutlache aus. Schlitternd stieß ich die Tür auf und schnappte nach Luft. Frische Luft! Der Vampir hinter mir lachte und begann zu zählen: »Eins, zwei …« Bei drei war ich bereits um die nächste Ecke gebogen. Ob ich schneller laufen konnte als er, würde sich noch zeigen. Ich bezweifelte es. Meine Kondition war wirklich miserabel. Angespannt rannte ich und schubste achtlos Leute zur Seite. Beschimpfungen flogen mir an den Kopf, als ich in eine dunkle Gasse einbog. Dabei erspähte ich eine große Mülltonne. Meine Rettung! Obwohl ich dank des Straßenschlamms sowieso schon wie eine Müllhalde stank, würde die Tonne vielleicht gänzlich meinen Geruch kaschieren. Zumindest genug, dass er mich nicht finden konnte. Außerdem ging mir langsam die Puste aus. Ich hatte bereits Seitenstechen bekommen und schnaufte wie ein Rhinozeros.
Wagemutig bog ich ab, knallte den speckigen Mülltonnendeckel nach oben und kroch hinein. Der allumfassende Geruch ließ mich würgen. Knietief versank ich in dem Zeug, das ich gar nicht näher identifizieren wollte. Es war ekelhaft, jedoch meine einzige Chance, nicht als Sushi zu enden. Davonlaufen konnte ich jedenfalls nicht. Bei den Göttern, was war das nur für ein Tag? Ich spitzte die Ohren. Dennoch hörte ich die schnellen Schritte des Vampirs. Sie kamen näher. Direkt vor meinem Versteck verklangen sie plötzlich. Geräuschvoll konnte ich ihn durch seine Nase einatmen hören. Angestrengt hielt ich die Luft an. Seine Füße scharrten unentschlossen. Mein Herz flatterte. Kalter Schweiß brach mir am Rücken aus. Der Vampir schnüffelte und stieß ein lautes Würgen aus.
»Verdammt«, hörte ich ihn murmeln, bevor sich seine Schritte wieder entfernten, schneller wurden und schließlich gänzlich verschwanden. Dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen, als ich zischend die angehaltene Luft ausstieß. Eine Weile blieb ich noch im Müll sitzen und lauschte, ob der Blutsauger zurückkam. Als alles still blieb, kroch ich mühsam aus der Tonne und starrte auf die Straße vor mir. Sie war leer. Alles weiterhin still, von dem Flügelflattern der Gargoyles über mir einmal abgesehen. Neben mir stapelten sich ein paar muffige Kartons, in denen das Quieken von mutierten Ratten zu hören war. Aber kein Vampir. Erleichtert sog ich die frische Luft in meine Lunge und pflückte mir … na ja, etwas aus den Haaren. Himmel! Nur eine Stunde auf dieser Ebene und ich hätte beinahe meinen Kopf verloren und war mit Scheiße und der kleinen Schwester von Scheiße beschmiert. Ich würde nie, nie, nie wieder in die Hölle zurückgehen! Oder mich mit Gladis anlegen. Meine Ohren zuckten, als ich plötzlich Schritte hinter mir hörte. Weiche, ja, geschmeidige Schritte, die sich schnell näherten. Ohne zu überlegen, sprang ich auf und rannte wieder los. Stolperte nach vorne. Orientierungslos