Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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ein Mensch …«, sagte er gefährlich leise. »Vielleicht aber auch … nein! Ich werde im Olymp einen neuen Arzttermin beantragen.«

      »Glaubst du … bin ich krank?«, fragte ich besorgt, während Hades sich schwerfällig in seinen Ohrensessel fallen ließ. Seine Flügel hingen kraftlos herab.

      »Ich weiß es nicht, Kind. Wir werden sehen. Bis dahin halte dich zurück. Ein weiteres Missgeschick werde ich dir nicht durchgehen lassen. Jetzt geh! Ich will dich nicht mehr sehen!«

      Mir schnürte sich die Kehle zu. »In Ordnung. Auf Wiedersehen, Daddy. Gute Nacht, Persephone.« Schnell verließ ich den Raum und strebte zum Ausgang. Eine warme Hand hielt mich kurz vor den großen Flügeltüren auf.

      »Hey, Prinzessin, warte! Ist alles in Ordnung?«

      Seufzend sah ich zu Madox auf, der mich besorgt musterte.

      »Sicher, Mad. Ist nicht so schlimm, aus diesem Höllenloch geschmissen zu werden. Aber ich … ich werde dich vermissen. Dort oben ist es schrecklich langweilig und im Vergleich zu menschlichen Schulen sind Sokrates’ Daumenschrauben ein feuchter Pups«, witzelte ich schwach. Da mich weder die Schule im Olymp noch in Abaddon hatte aufnehmen wollen, war ich wahrscheinlich das einzige Kind von Göttern, das in eine normale Menschenschule gegangen war. Ich hatte im letzten Sommer meinen Abschluss gemacht, mehr schlecht als recht, und schwitzte gerade über den Aufnahmeprüfungen für die Uni, in die ich eigentlich gar nicht gehen wollte. Aber irgendetwas musste ich schließlich tun. Oder?

      Zustimmend riss Madox die Augen auf und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Wow, Mädchen. Du bist wirklich die Einzige, die es schafft, sogar aus der Hölle geworfen zu werden.«

      Ich boxte ihm gegen den Oberarm. Fest.

      Er lachte. Tat so, als würde es ihm auch wehtun, bevor er mich wieder liebevoll anlächelte. »Jetzt ernsthaft. Ist es dort oben wirklich so langweilig? Ich dachte immer, in den menschlichen Schulen gibt es heiße Cheerleader mit kurzen Röckchen und wilden Partys.«

      Ich rümpfte die Nase. »Die sind die Schlimmsten!«

      Er grinste frech. »Mach dir nichts draus, Prinzessin. Ich überlege mir etwas, um dich aufzumuntern. Aber jetzt geh! Der alte Herr sieht aus, als würde er gleich an einem Herzinfarkt sterben.« Lächelnd drückte er mich an seine warme Brust und küsste mich auf den Kopf, bevor ich aus der Haustür trat und die kühle Nachtluft von Abaddon einatmete. Breite Stufen führten von dem Anwesen aus nach unten. Eine Limousine wartete in der Auffahrt auf mich. Charon, Fährmann der Unterwelt, hatte jahrhundertelang Seelen über den Styx in die Außenwelt begleitet. Zumindest so lange, bis Hades im Sinne des neuen Zeitalters den Seelenfluss umleiten ließ und stattdessen eine vierspurige Autobahn hatte bauen lassen. Charon, erstaunlich pragmatisch für einen Gott, hatte sich jobtechnisch angepasst und fuhr seitdem eine schnittige Limousine anstatt seiner löchrigen Galeere. Ich mochte ihn. Er war zwar ein wenig wortkarg, aber immer freundlich.

      Charon lächelte, als er mich auf sich zukommen sah, und verbeugte sich höflich. Der göttliche Fährmann war extrem hochgewachsen und hager. Die gräuliche Haut, die niemals Sonne sah, spannte sich über seinen Schädel. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Er blinzelte nicht. Niemals. Auf seinem kahlen Schädel saß eine altmodische Chauffeursmütze. Ein dunkles Jackett mit passender Krawatte baumelte um seinen dürren Hals.

      »Guten Abend, Charon«, begrüßte ich ihn abwesend und ließ mich seufzend in die weichen Lederkissen der Limousine sinken. Das Innere roch nach Leder, Zigaretten und süßer Ambrosia, welche mein Vater in einem kleinen Kühlschrank unter der Trennwand der Limousine aufbewahrte. Charon schloss die Tür hinter mir, stieg auf der Fahrerseite vor der heruntergelassenen Trennwand ein und ließ den Wagen anspringen. Langsam setzten wir uns in Bewegung und ließen das prunkvolle Anwesen meines Vaters hinter uns. Alte rostige Straßenlaternen beleuchteten eine lange, mit Schotter ausgelegte Einfahrt, während kränklich schwarze Bäume mit schneeweißen Blättern das Anwesen vom Rest der Unterwelt abschotteten. Zwischen den Stämmen waren schwach die rot schimmernden Augen von Höllenhunden auszumachen, die ihre Runden um das Haus zogen. Was sich neben den Höllenhunden noch für grauenhafte Wesen in den Wäldchen herumtrieben, wusste nur Hades allein. Hin und wieder konnte man aber Schreie hören, die meistens in einem nassen Gurgeln endeten. Gefolgt von lustvollem Schmatzen.

      Vollkommen lautlos durchfuhr die schwarze Limousine ein breites schmiedeeisernes Tor, das den Wagen ungehindert passieren ließ. Schnittig rollte er auf die Straße und wurde stetig schneller, sodass unsere Umgebung zu formlosen Klecksen verschwamm. Hier und da konnte ich ein paar Wolkenkratzer erkennen, in denen sich die wirtschaftlichen Unternehmen der Unterwelt befanden. Hades verdiente viel Geld mit dem Vertrieb von Rohgütern wie Edelgasen sowie immer rarer werdenden fossilen Brennstoffen. Neben der Belieferung von Waffen an Nord- und Südamerika, Deutschland und Russland, dem Aktienhandel und illegalen Briefkastenunternehmen in Thailand verdiente er sein Geld zusätzlich mit dem Vertrieb von Fast-Food-Ketten in der Menschenwelt. Insbesondere die Vereinigten Staaten und die Vereinigten Arabischen Emirate waren in den letzten einhundert Jahren von Abaddon und dessen Rohstoffen abhängig geworden.

      Müde lehnte ich meinen Kopf an die kalte Fensterscheibe und beobachtete, wie sich Charon gekonnt einen Weg durch den Höllenverkehr bahnte. Helle Lichter von Werbetafeln, die für Shampoo und McDonald’s – ebenfalls ein Unternehmen meines Vaters – warben, flackerten an mir vorbei. Wolkenkratzer aus Eisen, Stahl und Glas drängten sich dicht an dicht. Abaddoner verstopften die Straßen, sodass Ampeln den überquellenden Verkehr regeln mussten. Langsam näherten wir uns einem breiten Tunnel am anderen Ende der Stadt, über dessen grauen Steinwände ein grünes Zeichen mit dem Wort EXIT angebracht war. Die dumpfe Tunnelbeleuchtung durchdrang das Innere der Limousine, als Charon das Fahrtempo drosselte und vor einem der Zollhäuschen stehen blieb. Rot leuchtende Schranken verhinderten jedes Weiterkommen, sodass sich bereits eine Schlange von wartenden Autos und Taxis gebildet hatte. Entnervt trommelte Charon mit den knochigen Fingern auf das lederne Lenkrad, während wir nur langsam nach vorne krochen. Die Scheibe auf der Fahrerseite fuhr schnurrend herunter, als wir neben dem Zollhäuschen stehen blieben und sich eine kaugummikauende Furie aus dem kleinen Fenster zu uns beugte. »Das macht 8,50«, nuschelte sie und ließ eine rosarote Kaugummiblase platzen. Charon zog genervt einen Ausweis aus seiner Brusttasche und hielt ihn ihr unter die Nase. Gelangweilt musterte sie das Stückchen Papier. Eine schmale Augenbraue schoss in die Höhe.

      »Aha, vom Boss persönlich. Wo solls denn hingehen? Und können Sie dem Boss mal verklickern, dass wir hier unten gerne eine Gehaltserhöhung hätten? Die Gewerkschaft droht schon mit Streik.«

      Charon knirschte als Antwort nur mit den Zähnen. Wie gesagt, er war eher ein schweigsamer Typ.

      »Ich sags ja nur!«, erwiderte die Furie augenrollend und blies noch eine Kaugummiblase auf.

      »Einfach nach London, bitte!«, fuhr ich sie an.

      »Kein Stress, Mädel.« Die Zollschranken öffneten sich. Charon stieg sofort aufs Gas und ich wurde ruckartig in den Sitz gedrückt. Der Tunnel vergrößerte sich zu einer vierspurigen Autobahn, sodass wir zusammen mit Hunderten weiterer Fahrzeuge die Hölle in Richtung Großbritannien verließen. Immer wieder glaubte ich, Charons dunklen Murmelblick auf mich gerichtet zu fühlen. Aber jedes Mal, wenn ich aufsah, starrte er konzentriert auf die Straße. Er war noch schweigsamer als sonst, also wandte ich meinen Blick stattdessen nach draußen. Straßenschilder zeigten in die verschiedensten Abzweigungen des breiten Tunnels und deuteten die unterschiedlichen Kontinente und deren Städte an. Die Fahrt nach London dauerte zum Glück nicht lange. Nach nur wenigen Kilometern setzte Charon den Blinker und lenkte die Limousine durch die Verzweigungen des Tunnels. Ein Schauer jagte mir über den Rücken, als wir eine unsichtbare Barriere durchfuhren, die Abaddon von der Menschenwelt trennte. Der Tunnel wurde enger, die Lichter wurden gedimmt, bis wir die Hölle vollends hinter uns ließen und vor einer roten Ampel auf den verregneten Straßen Londons stehen blieben. Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheibe. Draußen war es bereits stockdunkel. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es beinahe Mitternacht war. Wir kamen zügig voran und bogen schon nach wenigen Minuten in die Einfahrt eines großen Hauses am Rande des Hyde Parks ein. Kalter Wind schlug mir entgegen, als ich seufzend die


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