VIETNAM BLACK. Brad Harmer-Barnes
den sich der Private stehen ließ. Hätte er nicht gewusst, dass das US-Militär seinen Papierkram extrem ernst nahm (worüber es mehr als einen schlechten Witz gab), wäre es ihm schwergefallen, zu glauben, dass der Bengel schon fünfzehn war.
»Okay, bringen wir's hinter uns«, sagte der Sergeant zu dem Private. »Ich bin Sergeant Vincent Reese und das ist Corporal Michael Hanson. Sind Sie Private Falconer?«
»Ja, Sir. Ausgesprochen Faulk-ner, Sir.«
»Wie auch immer, Sie können trotzdem davon ausgehen, dass der Trupp Sie fürs Erste nur Frischling nennen wird.«
»Ähm, wie Sie meinen, Sir.«
Reese wedelte ein fliegendes Insekt vor seinem Gesicht fort. »Ja, das meine ich. Ich sage nicht, dass ich derselben Ansicht bin oder diese Bezeichnung sonderlich höflich ist − ich sage Ihnen bloß, dass der Rest des Trupps das tun wird. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Ja, Sir.«
»Ist Ihre Ausrüstung vollständig?«
»Ja, Sir.«
»In Ordnung. Dann lassen Sie uns zu den Baracken gehen. Sie können Jacobs' alte Pritsche haben.«
»Ähm, ja, Sir. Danke, Sir.«
»Es heißt Sarge oder Sergeant Reese. Nicht Sir.«
»Ja, Sir – Sergeant Reese.«
Reese und Hanson marschierten geradewegs zu den Baracken. Falconer hob sein Gepäck vom Boden auf und lief ihnen nach. Hanson stieß die Tür auf und das Gebrabbel des Trupps spülte über ihn hinweg, begleitet vom Klang von Jimi Hendrix, der aus blechernen Lautsprechern klang. Keiner wusste mit Gewissheit, wie Turner es geschafft hatte, einen Plattenspieler zu besorgen, oder woher, doch letzten Endes scherte es auch niemanden, solange er da war. Turnier spielte gerade Karten mit Bradley, dem anderen Schwarzen des Trupps. Turner war ein großer, unbekümmerter Bursche, während Private Darterrius Bradley auch abgesehen von der Hautfarbe in so ziemlich jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von ihm war. Bradley war hyperaktiv, dürr und ein Unruhestifter. Jeder wusste, dass er auf der Basis Gras und Acid vertickte, doch entweder kümmerte das den Captain und die Lieutenants nicht, oder auch sie gehörten zu seinen Kunden, da keiner irgendwas dagegen unternahm.
Private Walton, der M60-Maschinengewehrschütze des Trupps, lag wie erschlagen auf seiner Pritsche und schlief. Hanson hatte vor, es ihm gleichzutun, sobald es ihm möglich war. Draußen auf der Piste zu pennen war immer ein Problem. Die Aussicht darauf, acht – verdammt, selbst nur fünf – Stunden am Stück auf einer Matratze zu schlafen, versetzte ihn schier in Hochstimmung.
Auch das letzte Mitglied des Trupps, Private Liam Winters, nahm seine Pritsche in Beschlag, doch er schlief nicht. Stattdessen lehnte er mit dem Rücken am Kopfteil und las einen reichlich stockfleckigen Science-Fiction-Roman. Hanson war sich ziemlich sicher, dass Winters das Buch schon mal gelesen hatte, aber wenn ihm das dabei half, zu entspannen, war schwerlich etwas dagegen einzuwenden. Winters war ihr Funker, und sein Job konnte mitunter verdammt stressig werden; glücklicherweise schien Winters vollkommen unerschütterlich zu sein. Es gab keinen gelasseneren Mann in diesem Krieg. Nichts – weder gut, noch schlecht – konnte ihn aus der Ruhe bringen.
»Okay, mal herhören«, sagte Reese. »Das ist unser Neuer. Seid nett zu ihm, dann wird er garantiert auch nett zu euch sein. Frischling, das ist dein Bett. Ruht euch alle 'n bisschen aus. Wir haben Befehl, morgen früh wieder auszurücken.«
Von Bradley und Turner kam Seufzen, Ächzen und Fluchen. Winters schien sich nichts weiter aus dieser Neuigkeit zu machen und Walton schnarchte einfach weiter.
»Allerdings gibt's auch gute Nachrichten, Sarge«, sagte Hanson.
»Und welche genau wären das, Corporal?«
»Wenigstens hat er nicht gesagt, als Erstes am Morgen. Was bedeutet, wir können noch in der Basis frühstücken, bevor wir aufbrechen.«
»Ausgezeichnet. Pampige Eier, kalter Speck und ungenießbarer Kaffee. Da will man doch am liebsten vor Begeisterung abspritzen. Wie auch immer, ich schieb mir jetzt was hinter die Kiemen. Möchten Sie mir Gesellschaft leisten, Corporal?«
»Nein, danke, Sarge. Ich denke, ich folge Waltons Beispiel. Momentan kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als eine Mütze Schlaf.«
»In Ordnung. Dann machen wir Schluss für heute und sehen uns morgen früh um sieben beim Frühstück.«
»So viel zum Thema Auspennen, hm, Sarge?«
»Schaffen Sie Ihren Arsch ins Bett, Hanson.«
Mittlerweile hatte Falconer seine Taschen in der Truhe am Fußende seiner Pritsche verstaut. Seine Koje war die neben Winters, und er versuchte, einen Blick auf den Umschlag des Buches zu erhaschen, um zu sehen, was der Funker las. Das Cover war in kräftigen Farben gehalten und zeigte so eine Art Raumschiff.
»Hey, ich bin Alex. Alex Falconer. Was liest du da?«
Winters schien überrascht, dass der Neuling mit ihm redete. »Oh, ähm … H. G. Wells' Die ersten Menschen auf dem Mond. Kennst du das Buch?«
»Nein, leider nicht. Geht's darin um die Mondlandung?«
»Oh, nein. Wells hat das im 19. Jahrhundert geschrieben. Da kann man nicht erwarten, dass es besonders zutreffend ist. Heutzutage wissen wir schließlich einiges mehr über den Mond, als die Menschen damals.«
»Hast du das Buch schon mal gelesen?«
»Öfter, als ich zählen kann. Als Kind hab ich es geliebt, und jetzt … na ja … jetzt erinnert es mich daran, wie es war, ein Kind zu sein.«
Falconer lächelte. »Das macht Sinn, Mann.«
Winters wandte sich wieder seinem Buch zu. Es war offensichtlich, dass er die Unterhaltung als beendet ansah, und Falconer wusste nicht, wie er sie wieder in Schwung bringen sollte. Zumal er sich nicht völlig sicher war, ob er das überhaupt wollte.
Von der Pritsche gegenüber von Winters richtete Hanson das Wort an ihn. »Mach dir keine Gedanken wegen Winters, Frischling. Er ist unser ganz persönlicher Robbie der Roboter. Ein gottverdammtes Genie, aber mit ihm zu quatschen, ist nicht immer ganz einfach, wenn du verstehst, was ich meine?«
»Ja, Corporal.«
»Hanson genügt.«
»Ähm … okay, Hanson.«
Nur Augenblicke später schnarchte Hanson bereits, in einem Rhythmus, der ein bisschen schneller war als der von Walton in der Ecke. Da er sich ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen vorkam, ging Falconer rüber zu Bradley und Turner, die immer noch Karten spielten. »Hey. Ich bin Falconer.«
»Ich weiß, Mann, ist ja auf dein Hemd gestickt«, sagte Turner, der einige weitere Zigaretten auf den Stapel in der Mitte des Tisches warf, der den Pott bildete. »Bist du Vogelführer oder so was?«
»Ähm, nein. Wie schon gesagt, es spricht sich Faulk-ner.«
Turner zündete sich eine Zigarette an und musterte ihn skeptisch. »Es spricht sich Frisch-ling, es sei denn, du legst Wert drauf, dass wir dich stattdessen den Vogelmann nennen?«
»Nicht besonders, nein.«
»Dann halt verdammt noch mal die Fresse, Frischling. Wir versuchen, hier zu zocken«, warf Bradley mit schriller, übermütiger Stimme ein.
»Hey, ich will doch bloß nett sein, Leute.«
»Wenn du nett sein willst, geh rüber zu Walton und mach mit ihm Löffelchen. Aber lass uns in Ruhe.«
Falconer spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, doch er war klug genug, nicht gleich an seinem ersten Tag einen Streit in der Baracke vom Zaun zu brechen – ganz zu schweigen in seinen ersten fünfzehn Minuten. Er schluckte seinen Unmut runter und lehnte sich auf seiner Pritsche zurück. Nach einigen Minuten holte er Block und Kugelschreiber hervor und beschloss, einige Briefe nach Hause zu schreiben.