VIETNAM BLACK. Brad Harmer-Barnes
ich bin gerade hier angekommen und habe schon einige neue Freunde gefunden. Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, mit dem Sarge zu reden, aber der Corporal unseres Trupps (das ist der Stellvertreter des befehlshabenden Offiziers) scheint sehr freundlich zu sein. Der Typ in der Pritsche neben mir wirkt auch recht nett. Wir haben uns über ein Buch unterhalten, das er gerade liest.
Wir rücken morgen zu einer Mission aus, was sehr aufregend ist. Ich weiß noch nicht, worum es dabei geht, aber keine Sorge, ich bin sicher, dass sie mich an meinem ersten Tag nicht gleich irgendwo hinschicken, wo es gefährlich ist.
Hier ist es unvorstellbar heiß. In jedem Raum gibt es einen Ventilator, doch der bringt überhaupt nichts. Das Einzige, das hilft, ist, sich das Hemd auszuziehen, im Schatten zu sitzen und Wasser zu trinken. Mach dir keine Gedanken, ich werde kein Bier anrühren, bevor ich einundzwanzig bin, wie ich es versprochen habe. Bis dahin sind es ja ohnehin nur noch ein paar Monate.
Ich vermisse dich und die kleine Marianne. Doch ich hoffe, dass dies alles noch vor Weihnachten zu Ende ist und wir zuhause gemeinsam das neue Jahr begrüßen können.
Ich liebe dich von ganzem Herzen, Alex
Er wusste, dass er Audrey eigentlich ebenfalls schreiben sollte, aber er wusste nicht, was. Ohnehin war die Gefahr groß, dass sie ihn bereits vergessen hatte. Er bettete seinen Kopf aufs Kissen und versuchte, nicht daran zu denken, was dem letzten Mann zugestoßen war, der hier gelegen hatte.
KAPITEL 2
Hanson schwebte allmählich aus dem Schlaf empor, geweckt vom Klang von Big Brother and the Holding Company auf dem Plattenteller. Das musste Turner sein. Aus irgendeinem Grund hatte der Mann Angst, irgendwas ohne Musik zu machen, ganz gleich, was seine Kameraden gerade trieben. Hanson nahm seine Uhr von dem kleinen Nachttisch und stellte fest, dass es kurz nach halb sieben abends war – er hatte einige Stunden geschlafen. Mit einer einzigen Bewegung setzte er sich auf und schwang seine Beine aus dem Bett. Dann rieb er sich seine stechenden Augen und ließ den Blick über seine Truppenkameraden schweifen. Seit er eingepennt war, hatte sich nicht viel verändert. Walton war aufgewacht, saß aufrecht im Bett und rauchte eine Zigarette – jedenfalls beschloss Hanson, anzunehmen, es sei bloß eine Zigarette, da er nicht in der Stimmung war, sich mit irgendwas anderem auseinanderzusetzen.
Turner und Bradley spielten immer noch Karten. Winters war beim Lesen eingeschlafen und sein Taschenbuch lag da, wo es zu Boden gefallen war. Der Neuling ruhte ebenfalls auf seiner Pritsche, doch Hanson vermochte nicht zu sagen, ob er schlief oder nur versuchte, sich zu entspannen.
Die Luft in der Baracke war stickig und die elektrischen Ventilatoren trugen absolut nichts dazu bei, das zu ändern. Sein Magen knurrte und er kam zu dem Schluss, dass er hungrig genug war, um sich mit dem Basisessen zufriedenzugeben.
Außerhalb der schäbigen Holz-und-Segeltuch-Baracke war es sogar noch heißer als drinnen. Im Zelt war die Luft erdrückend, doch zumindest war man dort nicht dem prallen Sonnenschein ausgesetzt. Drinnen wurde man gedünstet. Draußen wurde man gebraten. Auf der Basis herrschte dieselbe Betriebsamkeit wie immer. Jeeps, gepanzerte M113-Mannschaftstransporter und das stete Stimmengewirr von Gesprächen sorgten auch am frühen Abend für eine konstante Lärmkulisse, und wahrscheinlich würde das noch bis spät nachts so weitergehen – wenn nicht gar bis zum nächsten Morgen. Der Krieg schlief nie.
In der Kantine war nicht so viel los, wie er es angesichts der Tatsache, dass schon fast reguläre Essenszeit war, erwartet hatte. Fünfzehn, vielleicht zwanzig Leute waren zugegen, allesamt in kleinen Grüppchen verteilt, und unterhielten sich leise. Sergeant Reese saß allein an einem Tisch und rieb sich müde die Augen. Hanson lud sich etwas auf seinen Teller, das wie Chili und Reis aussah, und gesellte sich zum Sarge. »Sie sehen aus, als hätten Sie gerade zehn Runden gegen Floyd Patterson hinter sich.«
»Genauso fühl' ich mich auch. Nur noch fünf Wochen, dann bin ich wieder zuhause. Eigentlich hatte ich gehofft, diese Zeit mit ein paar hübschen, ruhigen, kleinen Schwachsinnsjobs auf der Basis rumzukriegen. Stattdessen muss ich jetzt tief in den Dschungel marschieren, um mit diesem Charlie-Informanten zu reden. So wollte ich meinen Dienst hier nicht unbedingt beenden, wissen Sie?«
»Absolut.«
»Fünf Wochen und weg.«
»Genau.«
Sie schwiegen für einen Moment und stocherten in dem Essen auf ihren Tellern herum. Schließlich riskierte Hanson einen Bissen. Das Fleisch war gar nicht so übel, doch er wollte nicht daran denken, um was genau es sich dabei handelte. Es schmeckte wie Rind; allerdings hatte er in der Nähe der Basis bislang nicht eine einzige Kuh gesehen. »Was werden Sie als Erstes machen, wenn Sie wieder daheim sind?«
»Meine Frau küssen und mir 'nen Milchshake genehmigen.«
Hanson lächelte. »Die einfachen Freuden des Lebens vermisst man am meisten, stimmt's?«
»Wohl wahr.«
»Was halten Sie von dem Frischling?«
Reese zuckte mit den Schultern. »Dasselbe wie von allen anderen vor ihm. Er sieht aus, als hätte irgendwer fünf Pfund Stroh in eine Uniform gestopft und einen Schnurrbart drangeklebt. Doch was in ihm steckt, wissen wir erst, wenn wir ihn in Aktion erleben. Möglich, dass er hopsgeht, zehn Minuten, nachdem wir morgen aus dem Tor raus sind. Möglich, dass er der größte Kriegsheld diesseits von Iwo Jima ist. Vorher kann man das einfach nicht sagen, Mann.«
»Stimmt.«
»Hören Sie, mir sind schon eine Menge von beiden Arten untergekommen, und ich sage Ihnen, man weiß nie, aus welchem Holz diese Jungs geschnitzt sind, bis es drauf ankommt. Da gab's diesen einen Kerl, der aussah wie der verfluchte Marciano, dieser Boxer, der sich wie ein Baby zusammenrollte und zu heulen anfing, als er den ersten Schuss hörte. Irgendwo im Dschungel, vielleicht fünfhundert Yards entfernt, ging ein Gewehr los, das nicht mal auf ihn gerichtet war, aber das genügte, um ihn komplett fertigzumachen.«
Hanson schluckte etwas klebrigen Reis hinunter, der – um dem Koch gegenüber fair zu sein – gar nicht so schlecht schmeckte. »Was wurde schließlich aus ihm?«
»Ist in 'ne Fallgrube geraten.«
»Stöcke?«
»Genau. Manchmal höre ich ihn immer noch schreien. Die haben ihn nach Hause geschickt; keine Ahnung, wie's danach weiterging.«
Hanson nickte. Punji-Stöcke gehörten zu den Lieblingsfallen der Vietcong. Die Konstruktion war simpel, und obwohl diese Art von Falle nicht sofort tötete, war sie dennoch hochgefährlich. Er hatte mal einen Typen gesehen, der in eine Fallgrube gestürzt war, in dessen Seiten angespitzte Bambusstücke steckten, mit den Spitzen nach unten, was bedeutete, dass sich der arme Teufel sein Bein nicht befreien konnte, ohne sich dabei noch mehr zu verletzen. Sie brauchten über eine Stunde, um ihn auszugraben; und genau darum ging es bei Charlies Fallen. Erledigten sie einen Mann mit einer Kugel, fand der Rest des Trupps sie, erwiderte das Feuer und marschierte anschließend weiter. Verwundeten sie hingegen einen Mann, war der ganze Zug gezwungen, zu stoppen und sich um den Verletzten zu kümmern. So schaffte man sich nicht bloß einen, sondern gleich zehn Männer vom Hals – jedenfalls vorübergehend. Historisch betrachtet mochte das vielleicht keine neue Strategie sein, doch sie war effektiv.
Der Sergeant trank einen Schluck Wasser aus einem fast sauberen Becher.
»Dann war da dieser Zaunpfahl, ein echtes Strichmännchen, so wie unser Frischling. Als wir das erste Mal auf Schwierigkeiten stießen, drehte er komplett durch.«
»Wie meinen Sie das?«
Sergeant Reese zuckte mit den Schultern. »So, wie ich's sage, Mann. Er drehte durch. Wir waren in einem kleinen Dorf, so wie dem, zu dem wir morgen aufbrechen. Als wir dort ankamen, entdeckten wir ein Waffen- und Munitionslager, und plötzlich tauchte wie aus