VIETNAM BLACK. Brad Harmer-Barnes
»Ja. Ich … danke, dass Sie mir das gezeigt haben, Hanson.«
»Immer gern.«
Sie marschierten zwei Stunden lang weiter – Turner an der Spitze, während Walton sie mit der Karte navigierte −, immer tiefer in den Dschungel hinein, bevor Reese sie schließlich anhalten ließ. Die Geräusche von Insekten, Vögeln und anderen fremdartigen Lebewesen vermittelten Falconer das Gefühl, als sei er auf irgendeinem außerirdischen Planeten, anstatt im Dschungel Ostasiens. Er ließ sich auf einen umgestürzten Baumstamm sinken und steckte sich eine Zigarette an. Walton setzte sich neben ihn und zündete sich ebenfalls eine an. »Und? Wie findest du deinen ersten Tag bislang?«
»Mann, alles ist vollkommen anders, als ich es mir vorgestellt habe.«
»Zumindest bist du ehrlich. Das Schlimmste sind die Jungs … Typen wie Bradley da drüben … die so tun, als würde ihnen das alles am Arsch vorbeigehen. Mittlerweile schlägt Bradley sich wacker, doch im ersten Monat, den er hier war, war er so schreckhaft wie ein aufgescheuchtes Erdhörnchen gewesen. Erst danach wurde er der entspannte, lässige Private, den wir alle kennen und lieben.«
Falconer lachte und klopfte von seiner Zigarettenspitze Asche zu Boden. »Ich glaube nicht, dass mich hier irgendwer mag.«
»Ach, das gehört alles zur Eingewöhnungsphase. Ich find' dich okay und ich weiß, dass das auch für Sarge und Corporal Hanson gilt. Die anderen sind zwar ein bisschen schwerer zu deuten, aber selbst, wenn sie dich nicht mögen, hassen sie dich zumindest auch nicht.«
»Danke, Mann.«
»Du kommst schon klar.«
»Ich weiß das zu schätzen, Mann. Ich will hier einfach mein Ding durchziehen und dann … was ist das?«
Waltons Augen waren abrupt groß geworden, während er zu einer Stelle direkt hinter Falconer starrte. »Keine Bewegung.«
Obwohl Falconer argwöhnte, Walton würde sich einen Scherz mit ihm erlauben, rührte er sich nicht. »Was ist los? Verarschst du mich, Mann?«
»Pssst.«
Falconer senkte die Stimme zu einem Flüstern und stand vollkommen reglos. »Was zum Geier ist los, Mann?«
»Nicht bewegen.«
»Ich bewege mich doch überhaupt nicht, Mann! Sag mir einfach, was zur Hölle los ist, und ich bin sofort der entspannteste Typ auf Erden!«
Turners Stimme kam von irgendwo links von ihm, doch er wagte es nicht, den Kopf zu drehen. »Mann, das ist 'n Großer.«
»Wovon zum Teufel redet ihr? Ich schwör's euch, Leute, wenn ihr zwei mich einfach bloß veralbert …«
Walton packte blitzschnell zu und griff etwas, das auf Falconers Rücken saß. Als er seine Hand so hielt, dass Falconer sie sehen konnte, spürte er, wie ihm die Galle hochkam. »Was in Dreiteufelsnamen ist das, Mann?«, schrie er.
Zwischen seinem Daumen und den ersten beiden Fingern hielt Walton etwas, das wir eine zwanzig Zentimeter lange, rötlichbraune Schlange aussah – wie eine Schlange, die über ihre gesamte Länge mit seltsamen, orangegelben Beinen versehen war. Walton hielt das Ding unmittelbar hinter dem Kopf, während ein monströses Paar Mandibeln schnappte und knackte, in dem Versuch, den großen Mann zu fassen zu bekommen. »Ein Tausendfüßler, Mann. Hast du zuhause noch nie eins von diesen Viechern gesehen? Ich meine, daheim sind sie natürlich nicht annähernd so riesig wie die hier, und auch nicht so aggressiv, also …«
»Wie zur Hölle kommt das Ding auf meinen Rücken?«
Die übrigen Mitglieder des Trupps – belustigt von Falconers Gezeter – genossen glucksend die Show. Turner beugte sich vor, um den Tausendfüßler näher in Augenschein zu nehmen. »Das ist echt ein großer Brocken. Und wie er auf dich draufgekommen ist … na ja, das kann auf jede erdenkliche Art passiert sein. Vielleicht ist er an dir hochgekrabbelt, als du auf dem Baumstamm gesessen hast. Vielleicht hat er sich auch irgendwann unterwegs von einem Baum auf dich fallen lassen, ohne dass wir es bemerkt haben.«
»Himmel. Ist das Vieh giftig?«
Walton zuckte die Schultern und schaute zu, wie sich der zornige Tausendfüßler wild in seinem Griff wand. Die gesamte Länge seines Leibes war um Waltons Handgelenk geschlungen und er musste seinen Arm schütteln, um das Insekt davon zu lösen. »Wenn er dich gebissen hätte, würdest du's merken, denn angeblich ist das höllisch schmerzhaft – ungefähr so übel, wie angeschossen zu werden −, doch es bringt einen nicht um. Es sei denn, natürlich, du bist allergisch dagegen.«
»Und woran erkennt man, dass man allergisch ist?«
»Daran, dass du stirbst, wenn einer von denen dich beißt.«
»Willst du mich verarschen?«
Walton lachte und wirbelte herum, um den Tausendfüßler in hohem Bogen weit in den Dschungel zu werfen. Falconer hörte, wie das Vieh raschelnd zwischen Laub und Farngestrüpp landete, ehe Walton sich mit einem Lächeln wieder zu ihm umdrehte. »Willkommen in Vietnam.«
KAPITEL 4
Der Marsch ging weiter, und je tiefer sie in den Dschungel vordrangen, desto drückender wurde die Hitze. Die Luftfeuchtigkeit war am schlimmsten, da die Pflanzen das gesamte Wasser speicherten, sodass man das Gefühl hatte, als hätte sich das ganze Land in ein riesiges Dampfbad verwandelt. Sie hatten sich hangabwärts vorgearbeitet, und von einem Moment zum anderen wichen die Bäume einem stark ausgetretenen Pfad, dem breitesten, der ihnen bislang untergekommen war. Während sich der Pfad in der einen Richtung um eine sanfte Biegung schwang, erstreckte er sich auf der anderen Seite einfach bis in weite Ferne.
»Hm. Scheint ein alter Trampelpfad zu sein«, murmelte Turner.
»So alt nun auch wieder nicht«, sagte Hanson. »Das sind Abdrücke von Kettenfahrzeugen. Jemand ist hier durchgekommen, höchstwahrscheinlich nach dem letzten Regen.«
»NVA?«, fragte Falconer.
»Ich denke nicht. Wir sind noch zu dicht an unserem Stützpunkt, als dass sie hier mit schweren Fahrzeugen rumkurven könnten, ohne dass wir es mitkriegen. Ich glaube nicht, dass die Bauern hier in der Gegend Traktoren besitzen, was bedeutet, die Spuren stammen entweder von unseren eigenen Jungs oder die ARVN nutzt diesen Weg für Versorgungseinsätze.«
»Du glaubst nicht, dass es auch Panzer sein könnten?«
»Vielleicht, aber das ist eher unwahrscheinlich. Natürlich könnte ich mich auch vollkommen irren und wir haben es mit einem NVA-Panzerbataillon zu tun. Haltet die Augen offen!«
Falconers Blick folgte dem Pfad bis weit in die Ferne. Bradley machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wer auch immer hier war, mittlerweile ist er längst weg. Gehen wir weiter. Je eher wir wissen, was mit diesem vermissten Schlitzauge los ist, desto eher sitzen wir wieder am Pokertisch.«
»Amen, verflucht noch eins«, gluckste Turner.
Reese hob eine Hand, um Ruhe zu signalisieren, und der Trupp schloss rasch zu ihm auf. »Walton, werfen Sie einen Blick auf die Karte, um rauszufinden, welchen Weg wir am besten einschlagen sollten. Außerdem will ich wissen, warum wir mehr oder weniger zufällig auf diesen Pfad gestoßen sind. Zwei Mann in jeder Richtung, seid wachsam; alle anderen gehen in Deckung. Turner, ich will, dass Sie mit dem Granatwerfer Feuerschutz geben.«
Bradley und Falconer übernahmen die eine Richtung, Winters und Hanson die andere. Anstatt sich zu ducken, gingen sie aufrecht. Sie wollten eine optische Botschaft des Selbstbewusstseins vermitteln und aussehen, als hätten sie alles voll im Griff, anstatt wie ein Haufen Yankees, die sich im Dschungel verirrt hatten. Wie man auf andere wirkte, war nicht zu unterschätzen.
Hanson konnte hören, dass Walton und Reese über die Karte hinweg diskutierten; geflüsterte Schimpfworte drangen durch die feuchtwarme Luft an sein Ohr. Er grinste Winters an. »Wie kommt es, dass Sie sich nie freiwillig als Kartenleser melden? Menschliche Computer wie Sie sollen ziemlich gut in