Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman - Marie Francoise


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Rudi heftig, dann schlang er seine Arme um Dr. Scheiblers Taille und drückte sich fest an ihn. »Bitte, Gerrit, laß mich hierbleiben. Ich verspreche dir auch…«

      Da löste sich Dr. Scheibler aus seiner Umarmung, ergriff seine beiden Hände und ging erneut vor ihm in die Hocke.

      »Hör zu, Rudi, es ist nicht so, daß ich in den vergangenen beiden Wochen untätig gewesen wäre«, erklärte er so ruhig, wie es ihm bei dem Aufruhr, der in seinem Inneren herrschte, möglich war. »Ich habe mich erkundigt, ob ich dich von deiner Tante und deinem Onkel wegholen darf, aber es geht nicht. Gegen ihren Willen kann ich nicht das geringste für dich tun, und du hast ja gehört, was deine Tante gesagt hat, als ich sie gefragt habe, ob sie dich zu Steffi und mir in Pflege geben würde.«

      Rudi schluchzte auf. »Dabei wollen sie mich doch gar nicht haben!«

      Die Tränen des Jungen schnitten nicht nur Dr. Scheibler, sondern auch Stefanie ins Herz.

      »Gerrit, wir können ihn nicht einfach zurückschicken und so tun, als existierte sein Kummer gar nicht«, erklärte sie eindringlich.

      »Das will ich doch gar nicht«, begehrte Dr. Scheibler auf. »Meine Güte, du tust ja, als wäre ich ein Scheusal! Nichts wäre mir lieber, als Rudi einfach zu behalten, aber das geht leider nicht. Wir würden uns strafbar machen, wenn wir ihn nicht zurückbringen!«

      Besänftigend legte Stefanie eine Hand auf seine Schulter. »Das weiß ich doch auch, Gerrit. Und so, wie es sich angehört hat, habe ich es ja gar nicht gemeint.« Sie zögerte. »Wenn wir beide mit den Gerlachs sprechen würden… glaubst du, das könnte etwas nützen?«

      Dr. Scheibler zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Aber wir können es ja zumindest mal versuchen.« Er stand auf. »Ich werde bei ihnen anrufen.« Er sah Rudi an. »Du weißt die Nummer, oder?«

      Rudi nickte, dann wagte er noch einen Versuch. »Gerrit, ich verspreche dir auch, daß ich dir und Steffi niemals davonlaufen werde. Ich werde brav sein, und ihr… ihr werdet gar nicht merken, daß ich überhaupt da bin. Bitte, Gerrit, kannst du mich nicht behalten?«

      Dr. Scheibler ließ den Hörer wieder sinken und seufzte. »Du machst es mir verdammt schwer, mein Junge. Rudi, wir können dich nicht einfach hierbehalten. Das käme einer Kindesentführung gleich, und damit würden wir uns strafbar machen.«

      »Ich verstecke mich einfach bei euch«, erklärte Rudi verzweifelt. »Niemand wird jemals erfahren, daß ich bei euch bin. Gerrit, bitte…«

      »Es geht nicht, Rudi, und ich glaube, du bist auch alt genug, um das zu begreifen.« Er schwieg kurz. »Ich kann dir nur versprechen, daß ich alles versuchen werde, um deinen Onkel und deine Tante umzustimmen, denn nur wenn sie einverstanden sind, kann ich dich zu mir holen.«

      Tränen glitzerten in Rudis großen Augen. »Und wenn Sie… nicht einverstanden sind?«

      »Ich fürchte, dann mußt du leider bei ihnen bleiben.«

      Diese Worte brachen Dr. Scheibler fast das Herz, und es kostete ihn große Mühe, den Telefonhörer ein zweites Mal abzuheben, doch er wußte ja, daß er keine andere Wahl hatte.

      »Also, Rudi, was ist jetzt?« fragte er, doch seine Stimme klang dabei nicht so sicher wie sonst. »Sagst du mir die Nummer, oder muß ich im Telefonbuch nachsehen?«

      Der Junge resignierte. Niedergeschlagen nannte er die Telefonnummer seiner Verwandten.

      »Herr Gerlach? Hier ist Gerrit Scheibler«, gab sich der Arzt zu erkennen. »Rudi ist bei mir. Als ich vom Dienst nach Hause kam, wartete er schon auf mich.«

      »Dieser Lausebengel!« tobte Kurt Gerlach. »Aber diesmal versohle ich ihm den Hintern so sehr, daß er eine Woche lange nicht mehr sitzen kann, das versichere ich Ihnen. Rudi wird Sie bestimmt nicht mehr belästigen.«

      »Er hat mich ganz und gar nicht belästigt«, entgegnete Dr. Scheibler so ruhig wie möglich. »Und ich möchte auch nicht, daß Sie ihn bestrafen.«

      Einen Augenblick herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung.

      »Soll ich ihn… abholen?« erkundigte sich Kurt dann zögernd, und Dr. Scheibler hörte an seiner Stimme, daß er eigentlich ein Nein erhoffte.

      »Nicht nötig, Herr Gerlach. Es macht mir nichts aus, Rudi nach Hause zu bringen.«

      »Ja, das wäre mir sehr recht.« Und wie zu seiner Rechtfertigung fügte er hinzu: »Wissen Sie, ich fahre abends nicht mehr sehr gern mit dem Auto – noch dazu in eine Gegend, die ich nicht kenne.«

      »In Ordnung, Herr Gerlach. Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.«

      Dr. Scheibler legte auf, und als er sich umdrehte, sah er direkt in Rudis ängstliche Augen.

      »Ich muß wirklich zurück?«

      Impusliv nahm Dr. Scheibler ihn in den Arm. »Glaub ja nicht, daß mir das leichtfällt.« Dann sah er Stefanie an. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich noch mal versuche, allein mit den Gerlachs zu sprechen. Ich weiß nämlich nicht, wie sie es auffassen, wenn wir beide mit Daniel dort anrücken.«

      Stefanie zögerte, dann nickte sie. »Vielleicht hast du recht.« Liebevoll streichelte sie über Rudis blonde Locken. »Wenn es einen Weg gibt, dich von deinen Verwandten wegzuholen, dann wird Gerrit ihn finden, das verspreche ich dir.«

      Rudi nickte tapfer, aber als Dr. Scheibler eine halbe Stunde später vor dem Haus der Gerlachs seinen Wagen anhielt, flossen doch noch ein paar Tränen.

      Dr. Scheibler drückte ihn tröstend an sich. »Vielleicht habe ich bei deinem Onkel mehr Erfolg als bei deiner Tante.«

      »Und wenn nicht?« schluchzte Rudi leise.

      »Dann werde ich zumindest versuchen einen Weg zu finden, damit du Steffi und mich ab und zu besuchen kannst.«

      Ganz fest schmiegte sich Rudi an ihn. »Gerrit, ich habe dich sehr lieb.«

      »Ich habe dich auch sehr lieb, mein Junge.« Dr. Scheibler nahm seine Hand. »Komm jetzt, Rudi.«

      Auf sein Klingeln öffnete Kurt Gerlach die Haustür und kam dann ans Gartentor, um Rudi in Empfang zu nehmen.

      »Darf ich noch einen Augenblick mit hineinkommen?« fragte Dr. Scheibler höflich.

      Kurt zögerte kurz, dann ließ er Gerrit eintreten. Als sie gemeinsam im Wohnzimmer saßen und auch Christa sich bequemte, den Fernsehapparat auszuschalten, beschloß Dr. Scheibler spontan, nicht lange um den heißen Brei herumzureden.

      »Rudi fühlt sich bei Ihnen nicht sehr wohl«, erklärte er rundheraus.

      »Das geht Sie gar nichts an!« entgegnete Christa scharf.

      »Ich weiß nicht. Sind wir nicht alle betroffen, wenn ein Kind unglücklich ist?«

      »Rudi hat keinen Grund, unglücklich zu sein«, entgegnete Kurt energisch, und Christa fügte hinzu: »Er hat hier alles, was er braucht.«

      Dr. Scheiblers Blick wurde eisig, als er die mondän gekleidete Frau betrachtete.

      »Braucht er auch Ohrfeigen, wenn er vor Ihrer Lieblosigkeit flüchtet? Und braucht er Stubenarrest und Nahrungsentzug, wenn er schlechte Noten mit nach Hause bringt?«

      Unter Gerrits scharfem Blick und seinen schweren Vorwürfen wurde es Christa und Kurt tatsächlich ein wenig unbehaglich – wenn auch nur deswegen, weil sie befürchten mußten, ihr einträgliches Nebeneinkommen zu verlieren.

      »Leider sind das alles Dinge, mit denen man Sie vor Gericht nicht belangen könnte«, fuhr Dr. Scheibler fort und bemerkte dabei, wie sich die Gerlachs wieder sichtlich entspannten. »Ich habe also keine Möglichkeit, Ihnen das Sorgerecht für den Jungen entziehen zu lassen, und im Grunde will ich das auch gar nicht. Ich selbst befand mich als Kind in einer ähnlichen Lage wie Rudi heute, deshalb würde ich ihn nur ungern von den einzigen Verwandten, die er noch hat, entfernen. Andererseits will ich aber auch nicht tatenlos zusehen, wie Rudi immer unglücklicher wird. Deshalb bitte ich Sie ausdrücklich, mir den Jungen


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