Hans Hyan-Krimis: Der Rächer, Das Rätsel von Ravensbrok & Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan
mit blutigen Augen hinter dem Mörder her zu schleichen, und ließ die Arme schlaff herabsinken und ließ sein Auge, in dem noch eben der Mord flammte, nach innen schauen, wo die Bilder sich drängten, die sein und Trudes Leben umfaßten.
Da rannte sein Argwohn weiter bis zu dem verstörten und verdüsterten Gesicht seines Bürokollegen, des kleinen Maaß, hin.
Sollte der ...?
Heinz Marquardt schüttelte unwillkürlich den Kopf. Das konnte er sich nicht denken. Warum denn? Wenn der das beabsichtigt hätte, weshalb würde er so lange damit gewartet haben? Und dann, der Rothaarige erschien ihm dazu nicht mutig genug.
Aber wer? ... Einer war's doch, und den mußte er finden, er mußte ihn finden, und wenn er bis ans Ende der Welt laufen sollte! ...
So konnte sich keiner verstecken ... Oh, er hatte Zeit: Er würde nicht nachlassen, und wenn sein Leben darüber hinginge. Und wenn er ihn hatte, wenn er ihn eines Nachts in einer Schenke oder beim Laternenlicht am Ende einer dunklen Gasse zu packen kriegte, dann würde er ihn hinausschleppen in das dunkle Feld, bis dahin, wo kein Mensch mehr war, wo niemand einen Hilferuf hörte, und da würde er ihn mit seinem Messer quälen und peinigen, so lange quälen wollte er ihn, bis der Hund eingestanden hatte, und dann ihn zum Richter bringen ... Oder nein, lieber selber das Urteil an ihm vollstrecken, daß nicht etwa durch verfluchte Advokatenkniffe der Henker um sein Recht kam!
Heinz Marquardt schüttelte leise den Kopf, soweit war er ja noch nicht. Erst mußte er ihn suchen und finden. Denn sich auf die Polizei verlassen, das fiel ihm gar nicht ein. Gewiß, er wollte ihnen seine Hilfe anbieten, aber wenn sie sie nicht annehmen, wenn sie ihn nicht mit offenen Armen willkommen hießen, dann würde er allein hinauswandern in die Nacht und würde diese Riesenstadt durchsieben wie eine Hand voll Erde und würde sich nicht Schlaf und Ruhe, nicht Speise und Trank gönnen, bis er den hatte, der ihm alles genommen!
Seine Augen irrten im Zimmer umher, er wußte nicht, was er da suchte, aber sein Instinkt lehrte ihn, daß man hier vielleicht irgendetwas finden könne, und daß, wenn man etwas finden würde, es von unglaublicher Wichtigkeit wäre.
Aber er sah nichts, und wieder sprangen seine Blicke hinauf zu ihr, die sie kaum verlassen hatten und liebkosten ihre blassen Wangen und die entfärbten kleinen Hände.
Und wie er sie so mit immer wieder feuchten Augen ansah, da fiel ihm plötzlich etwas ein ... Die Polizeibeamten hatten ja gesagt, sie hätte gar nicht hier gelegen auf dem Bett, als er sie fand ... aber er hatte sie doch hier gefunden! ... Hier auf dem Bette liegend ... wo denn sonst?!
Er streichelte ihre blasse Wange und murmelte:
»Armes Herz, was werden sie noch alles reden!«
»Nebenan? ... Im Eßzimmer? ... Weshalb denn da ...?«
Er nahm die Lampe und ging zögernd bis an die Tür, die nur angelehnt war. Aber davor blieb er stehen, als fürchtete er, die Tote da drinnen noch einmal ermordet zu finden.
Nun stieß er die Tür mit einem Ruck auf, und im Entsetzen suchte er mit der freien Linken nach einem Stützpunkt. Seine Augen wurden groß und hafteten voller Angst auf dem Teppich, dessen ihm so wohlbekannter ganz hellgetönter Grund jetzt wie schwarzgefärbt erschien ...
Da hatte sie gelegen? ... Da hatte er sie gefunden? ... Aber nein doch, im Schlafzimmer ... auf dem Bett ... Das Grauen in ihm wurde fortgedrängt durch den eigenen Zweifel ... war es nebenan im Schlafzimmer gewesen? Oder hatte er selbst, wie der Polizeikommissar vorhin gesagt, so sehr seine Fassung und Besinnung eingebüßt, angesichts dieses herzzerreißenden Bildes, daß er nicht mehr wußte, wo er den geliebten Leichnam aufgefunden und in seine Arme gerissen hatte? ... War das möglich, daß man so sehr vergessen konnte? ... Sie mußte doch hier gelegen haben, hier war ihr teures Blut in dunklen Strömen über den Teppich geflossen, und hier hatte ihr Haarkämmchen gelegen, die Kämmchen, die er ihr selbst geschenkt hatte! ... Denn wenn er das auch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte oder sich dessen wenigstens nicht recht erinnern konnte, so kamen ihm doch jetzt die Worte der Polizeibeamten, die vorher spurlos an seinem Ohr vorbeigestrichen waren, deutlich ins Bewußtsein ... Und in diesem langsamen Heraufdämmern des vorhin Gehörten begann er schon persönliche Erinnerungen an jenen gräßlichen Moment, den furchtbarsten, den ein Mensch überhaupt erleben kann, zu erblicken.
Denn wie wäre sie sonst von hier nach dem Bett gekommen?! Laufen hatte sie doch nicht mehr können ...
Er schluchzte wild auf bei der Vorstellung, wie sein Weib, sein alles auf der Welt, zusammenbricht unter dem Dolchstoß des Mörders.
... Aber gelitten hatte sie auch nicht mehr, Gott sei Dank! Das hatte der Arzt ausdrücklich gesagt. Und das sah man auch an ihrem lieben Gesicht, das so friedlich leuchtete und keine Spur von Todesangst und Furcht erkennen ließ.
Also mußte er, er selber sie doch aufs Bett getragen haben, wiewohl er sich absolut nicht darauf besinnen konnte ... Der Mörder wird das doch nicht tun! ... Und die Beamten sicher auch nicht.
Er sah wieder auf die ungeheuren Blutflecke und stellte die Lampe auf den kleinen Bauerntisch. Dann brachte er, erst widerstrebend, seine Finger an die dunklen Stellen des Teppichs ... er war noch ganz feucht ... seine Finger wurden rot ...
Da weinte er hell auf und ging zurück und küßte seine Tote. Kam aber gleich wieder herein, als hätte er noch etwas vergessen. Was, fiel ihm nicht ein. Aber seine Blicke suchten, suchten überall an den bekannten Möbeln umher ... nichts ... nichts war zu finden ...
Neben dem Tisch war der eine der vier Nußbaumstühle etwas schief gerückt. Ordentlich wie immer stellte ihn Heinz Marquardt gerade.
Da! ... Was war denn da? ... Ganz unten in dem Rohrgeflecht der Rückenlehne hing etwas. Aha, eine Schlipsnadel! ... Eines der kleinen silbernen Zwanzigpfennigstücke, die längst nicht mehr im Kurs sind, aufgelötet und mit einem Namenszug graviert ... E. Z. ...
E. Z.? ... Des Büroschreibers Gesicht spannte sich in allen Muskeln.
Wer war »E. Z.« ...
Die kleine Uhr verkündete mit sechs hurtigen Schlägen den Anbruch der Morgenstunde, da erwachte Heinz Marquardt, den seine Gewohnheit, um diese Zeit aufzustehen, nicht länger schlafen ließ, aus schwerem Traum.
Vornübergesunken auf dem Stuhl neben dem Totenbett, hatte er mit dem Kopf neben dem grellweißen Gesicht der Leiche gelegen.
Ihm war gewesen, als stände er unten auf dem Hausflur und seine Frau beugte sich über das Geländer hinab und bat ihn, doch heute gleich nach Hause zu kommen. Er wollte nicht, und während sie noch miteinander hin und her sprachen, kam es ihm vor, als stürze sie plötzlich herunter, als breite er seine Arme aus, um sie noch aufzufangen – da erwachte er mit einem Angstruf.
Die Lampe schwelte, ein matter Schein fiel ins Fenster, den die erblaßte Nacht hineinwarf.
Heinz Marquardt durchschritt ruhelos ein paarmal die Wohnung; sein Gehirn bemühte sich, der widerstrebenden Eindrücke Herr zu werden, die dieses furchtbare Ereignis hatte auf ihn eindringen lassen, aber es gelang ihm noch nicht so recht, sich zu sammeln.
Jetzt hatte er das Bedürfnis, hinauszugehen, frische Luft zu schöpfen. Ihn fror. Wie er wieder zurückkam in das Schlafzimmer zu der Toten, strich er zärtlich und mitleidsvoll über das starre Antlitz und flüsterte so leise, daß nur die Tote ihn verstand, wenn, wie man sagt, die Toten hören können.
Es war eine merkwürdige Veränderung mit dem jungen Beamten in den wenigen Stunden vor sich gegangen. Sein immer schon ernstes, auf ein festes Ziel gerichtetes Wesen schien jetzt finster und versteinert, seine Bewegungen waren hastig und von einer wilden Leidenschaft erfüllt. Und die schwarzen, eng beieinander stehenden Augen hatten einen harten, mitleidslosen Schein bekommen.
Er zog seinen Paletot an, setzte sich den Hut auf und wollte die Wohnung verlassen. Wie er an der Korridortür war, merkte er, daß man ihn eingeschlossen hatte ... Warum? Sollte er etwa gefangen werden? Wer durfte es wagen, ihn seiner Freiheit zu berauben? Wahrhaftig, er hatte nicht übel Lust, mit den Fäusten gegen die Tür zu donnern, sie einzutreten, um hinauszukommen.
Doch