Der falsche Friese. Martina Aden
fragte ich misstrauisch. Bei Angeboten von Helena ist Vorsicht geboten, denn meistens führt sie nichts Gutes im Schilde.
Sie zuckte die Achseln. »Mein Chef hat heute Morgen von dir gesprochen. Klang so, als hätte er ein Jobangebot für dich.«
»Und da läufst du mir ganz zufällig über den Weg, um mir diese Nachricht zu überbringen?«
Ich bin bestimmt nicht der schlaueste Mensch auf der Welt, aber in diesem Moment kombinierte ich blitzschnell. Helena hatte ihren Platz in der Warteschlange verlassen, obwohl das für das Foto nicht nötig gewesen wäre. Niemand räumte freiwillig seinen Platz vor Paulis Pommesmobil, manchmal endete das Anstehen sogar in einer handfesten Prügelei. Außerdem konnte diese Frau unmöglich Pommes mögen. Sie war eher klapprig als schlank und wäre ungeschminkt und mit kurzen Haaren als zwölfjähriger Junge durchgegangen. Sie hatte hier auf mich gewartet, weil sie wusste, dass mein Weg mich früher oder später zu Pauli führen würde. Meine Vorliebe für die fettigen Kartoffelstäbchen war ein offenes Geheimnis.
»Um was für einen Job handelt es sich?«, fragte ich.
»Woher soll ich das wissen? Du solltest nicht zu wählerisch sein, jeder weiß, dass du seit Monaten arbeitslos bist.«
»Ich bin immer noch Autorin.« Autorin im Urlaub, um genau zu sein. Nach der Veröffentlichung meines zweiten E-Books »Helden und Mut« hatte ich mir vier Wochen Urlaub verordnet. Drei, um das Buch sacken zu lassen, und eine, um mich von der anstehenden Hochzeit zu erholen.
Helena verzog das Gesicht zu einem falschen Grinsen. »So kann man es natürlich auch nennen.«
Die Sache ist die, dass Helena mir meinen Exfreund Jörg seinerzeit auf schändliche Weise ausgespannt hat, und in meinem ersten Buch »Fremd und Gänger« sind die beiden nicht besonders gut weggekommen. Natürlich hatte ich ihre Namen geändert, aber jeder, der sie und mich kannte, wusste, wer gemeint war. Ich bin eben recht nachtragend, wenn mein Freund mit einer anderen Frau auf unserem Wohnzimmerteppich Salamiversenken spielt.
»Überleg es dir«, sagte Helena. »Du weißt ja, wo sich unsere Redaktionsräume befinden.« Sie wies über die Schulter in Richtung Lilienstraße und trippelte davon.
Diana stieß mich mit dem Ellenbogen an. »Was hältst du davon? Willst du dem Schmierblatt einen Besuch abstatten?«
»Kann ja nicht schaden, finanziell sieht es bei mir zurzeit nicht gerade rosig aus. Mal sehen, um was für ein Angebot es sich handelt.« Ich seufzte. »Und danach bringe ich meiner Mutter schonend bei, dass ihre Hochzeit wahrscheinlich ins Wasser fällt.«
2
Martin Jägers Büro verriet, dass sein Nutzer einen Hang zum Größenwahn hatte. Ein ausladender schwarzer Schreibtisch nahm fast die Hälfte des quadratischen Raumes ein, dahinter befand sich ein ebenfalls schwarzer Aktenschrank, in dem die Ordner dicht an dicht standen. An jedem freien Fleckchen Wand hingen Fotos, auf denen Martin Jäger entweder vor einem weißen Sportboot stand, mit einem über Mund und Nase gezogenen Schlauchtuch mit Totenkopfmuster auf einer Harley saß oder mit weit aufgeknöpftem Hemd am Strand posierte.
Er begrüßte mich mit einem verschwitzten Händedruck. »Setzen Sie sich doch bitte, Frau Vogel. Schön, dass Sie es einrichten konnten.« Er ließ sich in den wuchtigen Ledersessel plumpsen und lehnte sich lässig zurück.
Ich nahm auf einem wesentlich niedrigeren Stuhl ihm gegenüber Platz und wischte seinen Handschweiß unauffällig am Polster ab. Nach ein wenig Small Talk, der sich vor allem um das derzeit für ostfriesische Verhältnisse ungewohnt warme und trockene Wetter drehte, rückte er mit seinem Angebot raus.
»Ich möchte, dass Sie als Gastautorin für den Ostfriesland-Reporter schreiben.« Er setzte ein verbindliches Lächeln, Typ Staubsaugervertreter, auf, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte. »Ich habe Ihre Geschichte im letzten Herbst verfolgt. Ganz schön abgebrüht, sich mit einem Drogenring anzulegen.«
Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, und meine Muskeln versteiften sich. »Ich bin da eher zufällig reingeraten, darauf angelegt habe ich es bestimmt nicht.«
»Umso besser, das ist doch die perfekte Story.«
»Wofür?«
Jäger beugte sich noch ein Stück weiter vor und stierte mich mit funkelnden Augen an. »Für den Ostfriesland-Reporter.« Mit beiden Händen malte er eine imaginäre Schlagzeile in die Luft: »›Elli Vogel packt aus: Das ist damals in der alten Brauerei passiert!‹ Wir machen eine Reihe daraus mit dem Titel: ›So ist mein Freund wirklich gestorben‹.«
Ich schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich glaube, wir sind hier fertig.«
Was damals passierte, als ich mich auf die Suche nach meinem verschwundenen Freund Karl machte und ungewollt einigen wirklich bösen Jungs auf die Spur kam, ist kein Geheimnis. Seriösere Medien als der Ostfriesland-Reporter haben darüber berichtet. Und mein persönlicher Verlust in dieser Sache ist genau das: persönlich. Darüber zu schreiben würde meine quälenden Fragen rund um Karls Tod nicht beantworten. Das könnte höchstens mein früherer Schwarm, Sebastian Beck, der in den Fall verwickelt war. Leider war er seitdem untergetaucht.
Wie betäubt bewegte ich mich in Richtung Bürotür, doch noch bevor ich sie öffnen konnte, war Martin Jäger aufgesprungen, durch den Raum gehechtet und stellte sich mir mit einem entschuldigenden Lächeln in den Weg. »Nicht so schnell, nicht so schnell!« Er machte eine beschwichtigende Geste. »Ich war wohl nicht besonders feinfühlig, entschuldigen Sie. Wir fangen einfach noch einmal von vorne an.«
Er fasste mich an den Schultern und dirigierte mich zu dem niedrigen Stuhl zurück. »Wir bringen einfach eine andere Artikelserie. Ihre Bekanntheit allein wird schon ausreichen, um die Auflage zu erhöhen.«
»Oder potenzielle Leser zu vergraulen.«
Jäger stieß ein übertriebenes Lachen aus, das einem Wiehern glich. »Sie sind witzig, das gefällt mir. Wir planen einige Miniserien zu verschiedenen Themen, ein Artikel pro Woche, jeweils einen Monat lang. Sie würden unseren Lesern doch bestimmt gern aus dem Bereich Sexualität berichten. Man liest ja momentan ständig von diesen SM-Dingen, und im Fernsehen läuft zu jeder Tageszeit Werbung für Sexspielzeug.«
»Und was sind die anderen Themen?« Schlimmer konnte es nach dem ersten Vorschlag kaum werden.
»Ostfriesland hat so viele interessante Persönlichkeiten zu bieten, die oftmals nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten, dass wir diesen Umstand ändern wollen. Wir möchten jede Woche eine andere Person vorstellen. Aus welchen Bereichen die kommen, können Sie entscheiden. Hauptsache, sie haben eine Geschichte zu erzählen.«
Ich konnte mir zusammenreimen, worauf er hinauswollte, schließlich galt der Ostfriesland-Reporter als Sensationsblatt schlechthin. »Lassen Sie mich raten. Diese Geschichten über ›interessante Persönlichkeiten‹ sollen möglichst aufsehenerregend sein?« Mir lag das Wort »reißerisch« auf der Zunge, aber da es sich hier sozusagen um ein Bewerbungsgespräch handelte, mäßigte ich meine Wortwahl.
Jäger legte den Kopf schief. »Schaden kann es jedenfalls nicht.«
»Was bezahlen Sie denn?«
»Bezahlen?« Er räusperte sich krampfhaft. »Sie wollen für diese Miniserie Geld sehen?«
»Werden Sie etwa nicht bezahlt?«
»Schon. Ich dachte nur, weil Sie ja gerade Ihr neues Buch veröffentlicht haben, ist diese klitzekleine Serie doch Werbung für Sie.«
»Und Arbeit. Also?«
Er machte mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Nicht weil es so verlockend war, sondern weil ich meine Miete bezahlen musste.
Jäger wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn. »Dann hätten wir das ja geklärt, Frau Vogel. Wenn Sie mir den ersten Artikel bis Donnerstag liefern, finden Sie ihn in der Wochenendausgabe am Samstag.«
»Und ich kann mit einer bekannten Person meiner Wahl beginnen?«