Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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war Helgoland noch nicht der Zielpunkt der Meerspazierfahrten des reichen Hamburgs, es war noch nicht im Ruf als Seebad, zu welchem Dampfschiffe aus der Elbe und Weser fast täglich die feine Welt des deutschen Binnenlandes führen. Die armen Fischer und Lotsen von Helgoland waren noch kein Gegenstand für die deutsche Romantik geworden, ja nicht einmal ein ordentliches Seebad war eingerichtet, sondern nur spärlich kam eine kleine Anzahl Gäste herüber, die meist kurze Zeit verweilten und zu Haus dann von der roten Klippe und ihren Bewohnern, von der stürmischen Seefahrt, der seltsamen Düne und den wunderbaren Höhlen und Pfeilern der Insel abenteuerliche Beschreibungen machten.

      Der Tag war heiter; über die tiefe Bläue des Himmels spannten sich da und dort krause und langgezogene Windstreifen aus, am fernen Rande des Horizonts lagerte eine zackige dunkle Wolkenmasse, und in der Tiefe rollte das bewegte Meer schaumsprühend über kahle rote Felsenlager, die es in seinem ewigen Wogentanze glatt gewaschen hatte.

      Lange Zeit überblickte der junge Mann Meer und Land. Er stand wohl hundert Fuß hoch auf dem letzten Stein der Klippe, unter sich den Abgrund, über welchem der Felsen hing, nichts vor sich als die endlose Wasserwüste. Dürftige Erdtoffelfelder und einige große Schafe mit schwarzen Köpfen, die auf den Grasplätzen festgebunden waren, zeigten sich ihm, wenn er rückwärts sah. – Aus der Mitte der Insel stieg der Leuchtturm auf, von dessen Spitze eine Fahne mit den englischen Farben flatterte. Er warf einen finsteren Blick zu ihr empor und wendete sich ab, indem er sich auf eine grüne Stelle am Rande niedersetzte und den Arm auf einen großen Stein gelegt, den Kopf in seine Hand gestützt, die fernen Segel und die sinkende Sonne verfolgte.

      In dieser einsamen und wilden Umgebung, überglänzt von dem roten Lichte, war die Gestalt des jungen Mannes wohl geeignet, ein vermehrtes Interesse zu erwecken. – Sein athletischer Körper hatte nichts von der plumpen Festigkeit und Derbheit, die Seeleuten eigen ist, und doch trug er einen dunkelblauen kurzen Seerock mit Hornknöpfen. Weite grauzwilchene Beinkleider, Halbstiefel, die fest an seine Füße gebunden waren, ein buntes seidenes Tuch, das lose seinen Hals umschlang, ein Hemdkragen, der weit darüber hinfiel und ein Hut mit niedrigem Kopf und breiter Krämpe, der neben ihm lag, das alles konnte einem jungen Schiffer oder Lotsen gehören, der in träger Ruhe hier auf den nächsten Sturm wartet.

      Aber die schlanken, beweglichen Formen und noch weit mehr das stolze, unruhige Gesicht widersprachen dieser Annahme. Braunes Haar fiel ihm in reichen Ringen auf Stirn und Nacken, große blaue Augen blickten feurig in die Ferne. Es war ein Bild der üppigsten Jugendkraft, alles an ihm war wohl gemacht; stark, fest und kühn trug es den Stempel der Vollkommenheit. Wie er auf dem Steine lag, der Wind mit seinem Haar spielte, die Sonne ihn in rote Schimmer hüllte, konnte man glauben, einer jener alten Seekönige sei wieder aufgewacht, die einst aus Klippen und Inselbuchten über die Meere schwärmten und denen kein Sterblicher widerstehen konnte.

      Es ist wohl möglich, daß die beiden Personen, welche in diesem Augenblick in der Nähe des jungen Mannes erschienen, etwas Ähnliches gedacht haben. Sie waren auf dem schmalen Pfade an der Südseite des Felsens langsam herbeigekommen. Eine junge Dame, deren Kopf in einem Helgoländer Hut von schwarzem Glanztaffet verborgen war, schritt voran, in einiger Entfernung folgte ein alter Herr, der sich auf seinen Stock stützte. – Plötzlich stand die Dame still, denn kaum zehn Schritt von dem Liegenden bemerkte sie ihn erst hinter der Senkung des Klippenrandes und neugierig forschend musterte sie den Fremdling, dessen Gesicht ihr abgewandt war. »Was giebt es da, Lina?« rief der alte Herr, der ihr Stillstehen bemerkte. In demselben Augenblick wandte sich bei dem Schall der Stimme der junge Mann um und mit einer leichten Bewegung war er auf seinen Füßen.

      »Ich habe Sie erschreckt,« sagte er, sich verbeugend.

      »Keineswegs,« erwiderte die Dame errötend, »aber wir haben Sie in Ihren Betrachtungen gestört.«

      »Meine Betrachtungen,« sprach er lächelnd, »sind schwerlich so ernster Art, um eine solche Störung nicht gern zuzulassen. Ich bin hier heraufgekommen, um Alltägliches zu sehen: das Sinken der Sonne, das Meer mit seinen ewigen Wellen, und hatte höchstens ein paar Fragen an den Himmel zu thun, der plötzlich in ganz anderer Weise mir geantwortet hat.«

      »Darf ich wissen,« sagte die Dame, ihn freundlich anblickend, »welche Fragen Sie dem Himmel zu stellen hatten?«

      »Ich fragte ihn, was für Wetter er mir zunächst schenken würde.«

      »Und was hat er geantwortet?«

      »O! er hat mir jedenfalls das schönste in Aussicht gestellt.«

      Mit einer gewissen Verwirrung, die genügend andeutete, daß die Antwort sie hervorgerufen, aber mit einem kalten und messenden Blick wandte sich die Dame zu ihrem Begleiter um, der jetzt nahe bei ihr war. – »Hier ist ein Herr, lieber Vater,« sagte sie, »der uns für morgen zu unserer Reise das beste Wetter verspricht.«

      Der alte Herr zog den Hut und musterte scharf den Fremden, der sich verbeugte. – »Nun,« sagte er, »Sie scheinen ein Seemann zu sein, und aus solchem Munde hat ein Urteil über Wind und Wetter Gewicht. Glauben Sie, daß das Meer ruhig sein wird?«

      »Ich glaube wenigstens nicht, daß es morgen allzu böse bläst. Die Wand dort im Westen und die Windstreifen über uns deuten jedoch an, daß es leicht etwas unruhiger hergehen kann als heut.«

      »Und doch verkündigen Sie gutes Wetter?« rief der alte Herr.

      »Gutes Wetter nach meinem Geschmack,« erwiderte der junge Mann. »Ich liebe es nicht, wenn die Segel schlaff an den Masten hängen. Es geht dem Meere so wie dem Leben. Dem einen gefällt das ruhige, stille Dahingleiten, dem anderen der Sturm, der auf seinen Flügeln ihn davonführt.«

      »Zum Schiffbruch,« sagte der alte Herr, ironisch lachend.

      »Man kann Schiffbruch leiden im stillsten Wasser,« erwiderte der junge Mann, »oder in idyllischer Ruhe mitten im Sumpf stecken bleiben und umkommen.« »Geh zurück, Lina,« rief der alte Herr, als das Fräulein einige Schritt gegen den Rand der Klippe that. »Es ist unsicher dort, der rote Thon bröckelt ab. Dies ganze Paradies mit seinen Erdtoffeln und Hammeln wird in einigen hundert Jahren von Wellen und Stürmen verschlungen sein.«

      »So werden wir es schwerlich erleben,« erwiderte das Fräulein scherzend.

      »Und was du nicht zu erleben glaubst, ficht dich nicht an. – Das heißt gesprochen, wie eine echte Tochter Evas.«

      »Oder wie ein Minister der auswärtigen Angelegenheiten eines absoluten Königs,« fiel der junge Mann ein.

      Die Dame lachte lebhaft auf, der alte Herr aber machte ein abweisend ernsthaftes Gesicht, und musterte den Sprecher nochmals von Kopf zu Fuß.

      »Wenn Sie Mut haben,« sagte dieser zu dem Fräulein, »und mir die Hand geben wollen, so können Sie dreist auf den äußersten Rand der Klippe treten. Ihr Vater hat recht, es ist ein falscher Boden, falsch wie Glück und Größe des Volks, das hier einst wohnte, oder wie Glück und Freiheit aller Völker. Aber an dieser Stelle ist der Felsen fest; die Säule reicht fast bis hinunter ans Meer, das eben mit der Flutwelle in die Kluft stürzt, die es unten eingewühlt hat. Fühlen Sie, wie der Boden zittert? Die Geister der Vernichtung sind geschäftig, Hamlets alter Maulwurf wühlt überall. Doch, was will das sagen. Die Spanne Zeit, die uns gegeben ist, sollte eigentlich keine Furcht vor der Möglichkeit einer Abkürzung aufkommen lassen.«

      Er hatte dem Fräulein die Hand geboten, die sie annahm und sich willig bis auf den äußersten Stein führen ließ. Da standen sie beide dicht an dem senkrechten Abgrund und hinter ihnen hielt der alte Herr den Atem an und stampfte nur leise mit dem Stocke auf den Boden, aus Furcht, sein Schelten und seine Heftigkeit könnten ein Unglück herbeiführen. Der schöne stolze Mann mit dem kühnen Gesicht streckte den Arm aus und wies auf die abgeschliffenen Felsenlager, welche auf eine halbe Meile weit in mächtigen Riffen um die rote Klippe liegen, »Sie fragen mich,« sagte er, »was ich mit dem Vergleich über die Nichtigkeit


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