Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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Berg, der langsam zusammenstürzen und verschwinden wird. Dort hinter uns aber, weit am ganzen Saume des Horizonts der deutschen Küste, hat vor wenigen hundert Jahren noch ein freies und edles Volk gelebt. Sein Land ist von den Fluten verschlungen worden, seine Freiheit ist verloren gegangen, sein Glück und seine Größe lebt nur noch in Sagen und Liedern. Die Reste seiner Kinder aber halten treu und fest an dem mütterlichen Boden; sie kämpfen einen unsäglich furchtbaren Kampf um jede Spanne breit, und selbst diese arme Klippe, auf der nichts wachsen und gedeihen kann, die der Sturm kahl fegt und der Wellenstaub überfliegt, wird immer noch von ihnen festgehalten, bis der letzte Stein zusammenbricht.«

      »Wo liegt Deutschland?« fragte das Fräulein.

      »Dort,« erwiderte er. »Von den achtunddreißig Vaterländern ist nichts zu sehen als Nebel; hier aber,« fügte er lachend hinzu, indem er nach dem Leuchtturm mit der Fahne zurückblickte, »wandeln wir in der Freiheitssonne Alt-Englands.«

      »Schmachvoll genug,« sagte die Dame stolz.

      »Empfinden Sie das?« rief er lebhaft.

      »Wie sollte ich es nicht empfinden,« erwiderte sie. »Diese Insel gehörte einst zu uns; man hat sie uns entrissen. Ein fremdes Volk hat seine Fahne hier aufgepflanzt. Dies hochmütige unersättliche England, das Völker unterdrückt und beraubt, so weit die Sonne reicht, ist immer Gegenstand meines Abscheus gewesen. Könnten sie hinauf und das goldene Licht da oben herunterholen, sie würden es zollweis und pfundweis allen Völkern verkaufen und einen kostbaren Handelsartikel daraus machen.«

      »Aber das Licht der Freiheit leuchtet überall,« rief er mit einem warmen Blick auf seine schöne Gefährtin, »und Gott sei Dank, daß kein Arm hinaufreicht in den ewigen Himmel, um es zu besteuern.«

      »Ist es nicht wohlthuend,« fuhr er dann fort, »hier auf dem letzten Fuß deutscher Erde zu stehen, und alles Leid zu vergessen! Sonne, Luft und Meer atmen Freiheit, sie gehören allen, kein Herr hat Macht über sie, keiner kann sie absperren. Ein Gotteswehen der Liebe geht durch die ganze Natur, dahin reicht kein Haß und keine Verfolgung. Dort liegt das stolze England. Wer mag ein Volk hassen, das so kräftig und so freiheitsmutig ist? Die Völker sind geschaffen wie die Menschen, um glücklich zu sein und sich zu lieben. Haß den Tyrannen und Fluch der Knechtschaft! Wenn ich den Sonnenball so feurig, rein und liebeheiß ins Meer sinken sehe, überkommt es mich wie die Ahnung der Seligkeit. Wie erhaben, wie göttlich ist es! Und hier, wo die Menschen fern sind mit ihrem kleinlichen Streben, mit ihrem Ehrgeiz, ihrer Eitelkeit und dem Ameisengewimmel ihrer selbstsüchtigen Triebe, hier ist der schönste Punkt weit und breit, wo man vergessen kann, daß der Staub sein Recht fordert.«

      Während er sprach, halb für sich, die Arme gekreuzt, die stolze Stirn emporgehoben und wenig zu beachten schien, daß er nicht allein sei, sank die Sonne und färbte Himmel, Meer und Felsen mit wunderbaren Tinten. Die glühende Röte verlief sich im rosigen Schatten, die schwellenden Wogen brannten und glühten, die Wolken tauchten sich in Duft und schwebten leuchtend über den Horizont. Die Blicke flogen in die tiefen Klüfte der Unendlichkeit des Weltalls und überall fanden sich Licht und Leben.

      »O! das ist schön, das ist namenlos schön!« rief die Dame endlich, »noch nie habe ich es so empfunden wie jetzt.«

      Der alte Herr hatte sich auf den Stein gesetzt und seine goldene Dose zwischen den Fingern gedreht. – »Es ist in Wahrheit ein prachtvolles Feuerwerk,« sagte er; »man könnte glauben, daß Gottesleugner dadurch besser bekehrt würden, wie durch Missionspredigten. Aber komm jetzt, Lina, wir müssen zurück. Die Sonne fällt schnell hinter den schwarzen Vorhang, rasch wird das Schauspiel zu Ende sein.«

      Als das Fräulein bei ihm war, sagte er halblaut und in dänischer Sprache: » Wer ist denn der Mensch da eigentlich, der so lächerlich phantasiert?«

      »Ich weiß es nicht,« erwiderte sie.

      »Ein Seemann ist er nicht,« fuhr er fort, »dazu spricht er zu anständig.«

      »Mein Herr,« sagte er zu dem jungen Manne, »wir sind Ihnen sehr verbunden für die Ehre Ihrer Unterhaltung. Der Zufall hat uns hier zusammengeführt, wir sind ihm dankbar dafür; damit wir aber eine bleibende Erinnerung an diese Stunde haben, erlauben Sie mir, Ihnen meinen Namen zu nennen. Ich bin der Staatsrat Baron Hammersteen, und dies meine Tochter Karoline.«

      »Und ich,« sagte der junge Mann lächelnd, indem er sich verbeugte, »bin ein Friese von der Insel Sylt, meines Standes Rechtsanwalt, mein Name ist Jens Lornsen.«

      »Jens Lornsen!« rief der Baron freundlich. »Also ein Friese von der Insel Sylt, das freut mich mehr, wie Sie denken. Ich vermutete einen Deutschen und finde einen Landsmann.«

      »Ich habe nie gehört,« erwiderte Jens, den Kopf hoch aufhebend, »daß unter den Friesen im Norden oder auf den Inseln sich eine Familie Hammersteen befunden hätte.« »So ist es auch nicht gemeint,« sagte der alte Herr. »Wir sind eigentlich in Fühnen angesessen, allein ich besitze ein Gut in Schleswig, gehöre zur Ritterschaft des Herzogtums und mache deswegen meine Landsmannschaft geltend. Lange habe ich dort gelebt, meine Tochter wurde da geboren, auch bin ich öfter in den Marschen und einmal sogar auf den Inseln gewesen. Ich erinnere mich, einen alten Schiffskapitän und Ratsherrn gesehen zu haben, der Lornsen hieß, einen ehrenhaften, verständigen Mann, der viel galt bei seinen Landsleuten.«

      »Das ist mein Vater,« gab Jens zur Antwort.

      »Und Sie haben es anders gemacht, wie er und vermutlich alle Ihre Vorfahren. Sind nicht zur See gegangen, sondern haben studiert?«

      »Das Studieren ist freilich ziemlich ungewöhnlich auf unseren Inseln,« versetzte der junge Mann, »die ihre jungen Leute wie Möwen, sobald sie flügge geworden sind, aufs blaue Wasser hinausschicken; indessen bin ich doch nicht das einzige Beispiel, daß ein Friese auch in die Schule gehen und allerlei gelehrte Künste lernen kann.«

      »Es ist ein anstelliger Stamm, zu allem geschickt,« rief der alte Herr, »aber das Meer ist doch sein Element. Die Holländer und Hamburger wissen, was friesische Kapitäne und Steuerleute bedeuten und unsere besten Matrosen in der Flotte kommen immer von den Inseln, obwohl am Sunde und in den Belten es an tüchtigen Seeleuten auch nicht mangelt.«

      »Waren Sie nie in Kopenhagen?«

      »Nein.« sagte Jens,

      »Wo haben Sie denn studiert?«

      »In Kiel und Jena.«

      »Warum auf einer deutschen Universität?«

      »Weil ich ein Deutscher bin.«

      »Ja so,« sagte der Baron lächelnd. »Da fällt mir eben ein, von einem Friesen gehört zu haben, der in der deutschen Burschenschaft zu Jena eine Rolle spielte.«

      »Wenn er Lornsen hieß, werde ich es wohl sein,« erwiderte Jens lächelnd.

      »Die Regierung in Kopenhagen wurde aufmerksam auf ihn gemacht,« fuhr der Baron fort, »als auf einen besonders fähigen jungen Mann, der aber verderblichen Schwärmereien nachginge. Ich hatte damals im Auswärtigen Amte Geschäfte und Vortrag. Eine Untersuchung wurde gefördert; der König jedoch stimmte mir bei und sprach in seiner einfachen Weise: Jugendstreiche – heiße Köpfe. Werden sich abkühlen und vernünftiger werden ohne Prozesse und Gefängnisse. – Die Friesen sind gute, treue Unterthanen; dummes Zeug der ganze Plunder. Werft ihn ins Feuer.«

      »Daran hat der König sehr recht gethan,« sagte Lornsen, in das Gelächter des Fräuleins einstimmend.

      »Und was sind Sie jetzt, Herr Lornsen?« fragte der Baron.

      »Advokat ohne Prozesse,« versetzte Jens.

      »Sonst wären Sie wahrscheinlich nicht hier, um den Sonnenuntergang auf Helgoland zu sehen und philosophische Betrachtungen


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