Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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der Segel folgte ein zweiter Stoß, der das kleine Fahrzeug noch tiefer hinabdrückte.

      »Was giebt es denn?« rief der Baron, »Warum sperrt man uns ein und was soll ich mit Flasche und Glas anfangen?« Jens steckte den Kopf zur Thür herein. Mit einem Blick sah er, was geschehen war, und indem er rasch die Scherben aufhob und beseitigte, nahm er Flasche und Glas und setzte sie in die festen Ringe, wo sie nicht fallen konnten. – »Sie werden am besten thun,« sagte er dann, »wenn Sie sich legen. Wir sind sogleich an der Dünenspitze und haben dann das Wetter zu bestehen.«

      »Am liebsten wäre es mir, auf das Deck zu steigen,« sagte der alte Herr.

      »Das ist kein Aufenthalt für Sie,« erwiderte der junge Mann höflich, aber Entschieden. »Die Schlupp hat keinen hohen Bord, ihre Gaffel geht tief nach unten, überdies aber wird bald ein Regen von Spritzwasser und Wellenschaum darüber hinfliegen.«

      »Das sind üble Aussichten,« rief der Baron, »aber hören Sie, Herr Lornsen, könnten wir nicht dennoch –«

      »Sie können nichts,« fiel Lornsen ein, »als sich einige Stunden lang ruhig und still verhalten, und wenn es Ihnen möglich ist, schlafen, bis wir die Dünen von St. Peter hinter uns haben.«

      Ein rauher Schrei auf dem Deck bewirkte, daß Lornsen rasch aus der Kajüte sprang. – »Wie der Wind heult,« rief der alte Herr, »das ist eine liebliche Schlafmusik. Was machst du denn, Lina? – Es kommt mir vor, als hatten wir besser gethan, auf dem verwünschten Felsen zu bleiben.«

      Die junge Dame hatte Lornsens Rat befolgt und eines der Betten zum Lager benutzt. Sie lud ihren Vater ein, ihrem Beispiele zu folgen, aber der Baron zögerte. – »Es wird hoffentlich so arg nicht werden,« sagte er. »Die Stühle sind festgebunden, der Tisch ist angeschraubt, und wenn ich hier sitzen bleibe, kann ich zuweilen aufstehen, und Hilfe leisten, wo es nötig ist.«

      Aber in der nächsten Minute schon ward er inne, daß Aufstehen und Hilfe leisten ganz außer seiner Macht war. – Eine ungeheuere Gewalt hob plötzlich die kleine Schlupp im Fluge auf und schien sie in die Wolken führen zu wollen, dann aber stürzte sie pfeilschnell wieder hinunter und fiel in einen unermeßlichen Abgrund. – Der alte Herr rutschte von dem Stuhl auf den Teppich nieder und hielt sich mit beiden Händen an der Armlehne fest. Er hatte sich ziemlich wehe gethan und stieß einen Seufzer aus, indem er sich aufzuheben versuchte; ehe er jedoch damit fertig war, flog die Schlupp von neuem empor. Ein fürchterlicher Schlag schmetterte an ihre Planken; eine Welle fiel dumpf und schwer darüber hin. Das Schiff bäumte und schüttelte sich, seine Nähte ächzten und knarrten, und mit dem losgerissenen Stuhl rollte der Baron wie ein Ball über den Boden fort.

      »Kommt mir zu Hilfe!« schrie er kläglich, als er sich hin und her geworfen fühlte, ohne sich selbst helfen zu können. »Ich werde krank, ich kann nicht in die Höhe.« – Das Fräulein reichte ihm die Hand aus dem Bett und unterstützte ihn. Mit größter Mühe und in stetem Fallen ergriff er endlich den Rand des Sofas und nach einigen vergeblichen Anstrengungen gelang es ihm, sein Lager zu erreichen.

      »Es ist eine Narrheit gewesen, in solchem Wetter zu fahren,« rief er ärgerlich und erschöpft, »und es wird immer toller und fürchterlicher. – Ich sehe nichts mehr, ich weiß nichts mehr. Gott steh uns bei! – Herr Lornsen, Jens Lornsen! Kehren Sie um, zurück nach Helgoland. Der verwünschte Wagehals ist imstande, uns ersaufen zu lassen, aus bloßer Eitelkeit, weil er nicht umkehren will. Er thut es aus Rache und Hohn. Er haßt uns, weil wir seine verrückte Gesinnung nicht haben, weil wir Dänen sind. – Himmlischer Vater! sei uns gnädig. – Es läuft Wasser herein von oben, wir gehen unter, in unseren Sünden kommen wir um. – Jens Lornsen! Es ist ein Tier. Alle diese Friesen und Schleswiger sind zähe, eigensinnig, deutsche Tiere, die nicht sehen und nicht hören, keine Vernunft annehmen, und alles ertrotzen wollen mit ihren rohen Fäusten. Er sieht und hört nicht. – Sie lachen oben, die verdammten Burschen. Ist es möglich, sie lachen, sie verspotten uns! – Ich will hinauf, Lina, ich kann den Kopf nicht aufheben, welch fürchterlicher Zustand! – Nur dies eine Mal erbarme dich, Herr, ich will nie wieder so dumm sein und zu Wasser gehen. Entsetzlich! entsetzlich!«

      Hier wurde der alte Mann von einem heftigen Anfall der Seekrankheit unterbrochen, und in der nächstfolgenden Zeit war es ihm unmöglich, den Mund anders zu öffnen als zu schweren Seufzern und Stöhnen. Lina hatte ihm keine Antwort gegeben, sie glaubte am besten zu thun, ein tiefes Schweigen zu befolgen. Nach einiger Zeit wurde oben über die Fensterwölbung ein Teertuch geworfen. Lina fand dies sehr erklärlich und vernünftig. Denn durch die Fugen der Scheiben drang das Wasser ein und durch den Druck der Sturzwellen konnte leicht eine Beschädigung entstehen. – Nun aber herrschte völlige Dunkelheit in dem kleinen Raume, und ließ der Phantasie des jungen Mädchens freies Spiel. Sie lag mit wachen Sinnen und hörte auf jeden Ton, der durch das Brausen des Wetters herunterscholl. – Die wilden und unregelmäßigen Bewegungen des Schiffes ließen auf zunehmende Schwere des Wetters schließen. Fürchterliche Stöße schüttelten die Schlupp immer schneller und gewaltsamer, das Pfeifen und Heulen des Windes schien zu wachsen, das Krachen und Knarren der Planken und des Holzwerkes immer wehklagender zu werden. Zuweilen war es ihr, als läge ein Sterbender an ihrer Seite, dann wieder klang es wie Hohnlachen und grauenvolles Ächzen, aber mitten durch diese Töne und Stimmen, die so unheilvoll bange, ewig lange Stunden füllten, hörte sie oben die tiefen markigen Kommandoworte Jens Lornsens, welche eine wunderbare Beruhigung auf sie übten.

      Sie konnte lächeln, wenn die Schlupp unter den Schlägen, die sie jeden Augenblick erhielt, zitterte und still zu stehen schien; sie streckte die Arme aus, wenn sie aufwärts gerissen wurde und mit donnerähnlichem Krachen dann in den Wogenschwall niederschoß. – Wieder und immer wieder hörte sie seine ruhige, gebietende Stimme und mit fest geschlossenen Augen konnte sie ihn sehen, wie er am Steuer stand, als sei er aus Erz geformt, wie sein männlich-stolzes Gesicht hinaus sah in die Wasserwüste, wie der kochende Gischt von seinem Haar niedertropfte, und wie er dazu lachte und sein unerschrockener Blick den Himmel durchforschte. Es kam ihr vor, als sähe er zuweilen niederwärts zu ihr hin und nickte ihr tröstend zu,

      Plötzlich aber fuhr sie auf und stützte sich auf den Arm, – Jens Lornsens Stimme war heftig geworden, seine Befehle folgten schnell und wurden mit großer Gewalt gegeben; der Ruf seiner Matrosen antwortete in fast ängstlich klingender Weise.

      Sie hörten die Segel schlagen, das Schiff schien weniger zu schwanken. Plötzlich aber folgte ein Pfeifen und Brausen in der Luft, der krachende Fall eines schweren Körpers schmetterte über ihrem Kopf auf dem Deck, das zusammenzubrechen schien, und diesem Falle folgte ein wildes Geschrei, das Unglück und Verderben ankündigte.

      Mit einem raschen Sprunge war das junge Mädchen mitten im Raume, und ohne sich zu bedenken, eilte sie auf die Thür los, erreichte diese glücklich und drückte mit aller Kraft das Schloß auf.

      Ein Strom kalter und feuchter Luft brach mit dem düsteren Lichte des Tages herein. Sie stieg einige Stufen der Treppe hinauf und warf ihre Blicke nicht ohne Schrecken auf Himmel, Schiff und Meer, auf den Kampf der Elemente, die auf diesem unermeßlichen Tummelplatz sich mit wütendem Gebrüll anfielen.

      Aller Sonnenschein war ausgelöscht, der letzte blaue Streif verschwunden. Ungeheuere Wolken, schwarz und zackig übereinander geworfen, lagen in einer langen Linie gewitterhaft ausgestreckt über dem nordwestlichen Horizont, Ein fahles Licht drang darunter hervor, zitterte über die düsteren Massen, die losgerissen von der schwarzen Wand in rasender Eile vorüberflogen und verlor sich in die Schleier von Dunst und Nebel, welche bis aufs Meer sich herabsenkten. – Ein stoßweises heulendes Wehen des Sturmes trieb die Wellen zu schaumbedeckten Bergen auf und ließ den erstarrten Blick durch ebenso tiefe, schreckliche Thäler irren, die mit einer gärenden, gelbgrünen Masse gefüllt waren. – Nichts war zu sehen als diese flutenden, schäumenden Köpfe, deren weiße Kämme sich grimmig sträubten, die kämpfend sich aufbäumten und verschlangen, um sich wieder zu gebären und mit doppelter Wut und Gewalt über alles hinzustürzen, was sie erreichen konnten.

      Im nächsten Augenblick aber richtete das junge


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