Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


Скачать книгу
die meinem Vater gehört, die Fahrt von Sylt hierher gemacht zu haben.«

      »Das Seemannsblut will seinen Ausweg haben,« lachte der Baron. »Wann wollen Sie zurück?«

      »Morgen, wenn es sein kann,« erwiderte Lornsen, einen Blick auf den Himmel werfend.

      »Sie scheinen aber daran zu zweifeln,« fiel das Fräulein ein, das bisher still dem Gespräch zugehört hatte.

      »Ich sehe die gelbroten krausen Wolken über uns hinfliegen und sonderbare Gesichter machen.«

      »Das würde mir sehr unlieb sein,« rief der alte Herr. »Ich habe schon ein paar Tage zugegeben und keine Zeit, länger zu warten.«

      »Haben Sie eine Schlupp gemietet?« fragte Jens.

      »Es ist nichts da als die schmutzigen, jämmerlichen, offenen Fischerboote. Ich erwarte heut noch von Husum einen bedeckten Kutter, der mich hinüber bringen soll.«

      »Wenn er heut nicht kommt, wird er es morgen schwerlich wagen,« sagte der Advokat. »Was wollen Sie dann thun?«

      »Dann wird nichts übrig bleiben, als mit einem Lotsen Accord zu machen und unser Heil zu versuchen.«

      »Sie werden geprellt werden, sobald man sieht, daß Sie fort wollen oder müssen,« fiel Jens ein, indem er still stand und nochmals Wolkenzug und Meer betrachtete. »Der Wind wird weiter nördlich gehen, und dann werden sie es allerdings wagen, mit Ihnen auszulaufen, weil sie sicher sind, die Insel wieder zu erreichen. Nach zwei Stunden, wenn das Boot halb voll Wasser ist, die Spritzwellen darüber hinfliegen und Sie naß und mürbe genug geworden sind, wird die Mannschaft umlegen und Ihnen die Unmöglichkeit erklären, weiter fortzukommen. Sie werden gern zu allem Ja sagen, und am Abend werden Sie, wie ich hoffe und wünsche, wiederum hier zwischen Erdtoffelfeldern und Hammeln umherspazieren.«

      So leicht und launig er seine Prophezeiung machte, so verfinsterte sich dennoch das Gesicht des alten Herrn. »Zum Henker!« rief er, »das sind schlechte Aussichten. Wenn es aber irgend möglich ist, will ich fort von diesem verdammten, langweiligen Felsen.«

      »Glauben Sie, Herr Lornsen, daß Gefahr dabei ist?« fragte das Fräulein, vertrauensvoll zu ihm aufblickend.

      »Nein,« erwiderte er. »Ein Fischerboot hält selbst einen harten Sturm aus, und diese Männer verstehen ihr Handwerk. – Dennoch will ich nicht sagen,« fuhr er fort, »daß keine Gefahr dabei wäre. Es schlagen jährlich Boote um. Viele Witwen klagen hier um ihre Männer, viele Kinder suchen den Vater, der niemals wiederkehren will. Es kommt darauf an, welche Hand das Steuer führt und welches Glück das scharfe Auge begleitet.«

      »Ein wenig Gefahr wird uns nicht abschrecken,« rief das Fräulein, »und einen Steuermann, der unser Vertrauen besitzt, werden wir zu finden suchen.«

      »Haben Sie Vertrauen zu mir?« fragte Jens.

      Sie sah ihn freundlich lächelnd an. »Ein Friese von der Insel Sylt, der Sohn eines berühmten Kapitäns, muß Vertrauen erwecken,« erwiderte sie.

      »So will ich Ihnen einen Vorschlag machen,« fuhr er fort. »Wenn Ihr Kutter aus Husum nicht kommt, und ich vermute es fast, denn es hat ziemlich stark aus Südwest geweht, dann biete ich Ihnen mein eigenes kleines Fahrzeug an. Wenn es mir möglich scheint, morgen See zu halten, führe ich Sie nach Husum hinüber; was ein Mann dafür thun kann, soll gewiß geschehen.«

      »Ich glaube, daß ich in meines Vaters Namen Ihr Anerbieten annehmen kann,« sagte das Fräulein, und indem sie sich zu dem Baron wandte, fügte sie hinzu: »Wenn wir nicht denken müssen, daß die Last, welche Sie sich aufbürden, uns zu große Verpflichtungen auferlegt.«

      »Es ist in der That ein Dienst, den ich nicht vergelten, also nicht annehmen kann,« rief der alte Herr sichtlich erfreut und mit der Absicht, ihn anzunehmen, in allen seinen Mienen.

      Jens ließ sich dadurch nicht irre machen. – »Ich hoffe,« sagte er, »daß, wenn wir um sechs Uhr abfahren können, wir um zwei oder drei Uhr nachmittags in Husum sind. Der Umweg ist für mich gering; es macht mir Freude, wenn ich Ihnen meine Dienste bieten kann. Schlagen Sie diese ab, so versprechen Sie mir wenigstens, die Fahrt im offenen Boote nicht zu wagen, ehe Sie meinen Rat gehört haben.«

      »Herzlichen Dank, mein junger Freund,« erwiderte der Baron. »Lina hat recht, Sie haben etwas in Ihrem Wesen, was Vertrauen und Überzeugung erweckt und mir sagt, daß Sie ein Advokat sind, der seine Prozesse glücklich zu Ende führt. So lassen Sie uns denn sehen, wie der Prozeß mit Wellen und Wind abläuft. Um sechs Uhr wollen wir bereit sein, und früher oder später giebt sich wohl die Gelegenheit, wo ich wieder dienen kann.«

      So war das Übereinkommen geschlossen. Der Baron schüttelte ihm die Hand und eben gingen sie an dem Leuchtturm vorüber, wo der Lampenkranz angezündet wurde, der sein glänzendes, warnendes Licht in die finster fallende Nacht schickte.

      »Ich habe gehört, was Sie von der englischen Flagge da oben sagten,« sprach der Baron, »auch mir ist es ein Stich ins Herz, sie hier zu sehen. Helgoland ist wichtiger, wie man denkt. Während des Krieges hatten die Engländer oft ganze Flotten hier, sie beherrschten die Elbe und Weser und türmten ungeheuere Warenvorräte aller Art auf, die eingeschmuggelt wurden, trotz aller Wachsamkeit der Franzosen. – Das war die goldene Zeit für diese Fischer, über welche die sieben fetten Kühe des Königs Pharaonis kamen, nach denen dann freilich die mageren gekommen sind. – Es geht den Leuten jetzt schlecht, denn sie sollen Fische fangen und arbeiten, das schmeckt ihnen nicht. Die Hamburger haben das Fahrwasser verbessert, ihre Feuerschiffe weit hinausgelegt, Seebacken ausgeworfen, genaue Karten zeichnen lassen; so werden die Schiffbrüche immer seltener, und Lotsen von Helgoland nimmt kaum ein Schiffer noch, zumal die kühnen Seeleute von Blankenese und Glückstadt ihnen den Rang ablaufen. – Die Schiffe halten sich möglichst entfernt von der gefährlichen Insel, sie kennen die unverschämten Prellereien ihrer Bewohner zu gut, die nichts im Sinne haben, als Strandgut erobern und lächerliche Forderungen zu machen. Aber es geschieht ihnen recht. An die alten Zeiten denken sie nicht mehr; von Treue und Anhänglichkeit wissen sie nichts. Sie danken Gott, daß sie Engländer geworden sind und aus der alten Tyrannei erlöst wurden. Das gab mir einer zur Antwort, der hier zum Rate gehört und den ich gestern über die Verhältnisse befragte.«

      »Es ist kein Wunder,« erwiderte Lornsen, »denn die Vaterlandsliebe ist nie in ihnen geweckt worden. Die Vögte haben sie hart behandelt, die alte Freiheit ist verloren gegangen; die meisten wissen kaum mehr, zu welchem Volke sie eigentlich zählen.«

      »Nach Ihrer Meinung doch jedenfalls zum deutschen Volke,« sagte der Baron.

      »Ich glaube nicht, daß es überhaupt eine andere Meinung geben kann,« sprach Lornsen mit erhöhtem Tone.

      »Nun immerhin,« fuhr der alte Herr fort. »Zum deutschen Volke oder deutschen Stamme mag man sich rechnen, hier sowohl wie in Schleswig, nur nicht zum Deutschen Reiche, zu Deutschland schlechtweg. Das ist eine Frage von anderer Bedeutung.«

      Der Advokat aus Schleswig schwieg, aber der Unmut färbte seine Stirn; er schien nur mit Mühe eine Antwort zurückzuhalten.

      »Ich sehe wohl, Herr Lornsen,« sprach der Baron, »daß Sie nicht so ganz meiner Meinung sind. Es würde mich auch gewundert haben; denn ich weiß, daß die jungen Herren in Schleswig zum allergrößten Teil für ihr deutsches Vaterland schwärmen und von einem dänischen Gesamtstaat nichts wissen wollen, zu dem sie doch seit vier Jahrhunderten beinahe gehören und sich wohl dabei befinden.«

      »Gott weiß es, wie wohl wir uns befinden,« versetzte Jens.

      »Wir wollen nicht streiten über Dinge, die wir nicht entscheiden können,« rief der alte Herr, »aber mit eurer Deutschtümelei und eurem Geschrei nach dem deutschen Vaterlande ist es nichts. Was hättet ihr denn davon, wenn ihr den buntscheckigen Haufen vermehrtet?


Скачать книгу