Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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Volkes. Ich bin durch Geburt, Sprache und Sitten, durch Denken und Empfinden daran und an sein Schicksal gekettet. Sein Leid ist mein Leid, seine Vergangenheit ist meine Vergangenheit, seine Zukunft ist meine Zukunft. Alles was in Deutschland geschieht, geht uns an, was aus Dänemark kommt, geht fremd an uns hin, denn es kommt von Fremden, die unsere Herren geworden sind, die uns nicht lieben und die wir nicht lieben können. Wir sind die Heloten, die Wasser und Holz in die Küchen tragen, damit am Sunde die Bratspieße sich drehen,« fuhr er fort. – »Ich weiß, daß Jahrhunderte uns zu dem gemacht haben, was wir sind, aber ich kenne auch die Rechte meines Volkes und seltsamerweise stehen sie in alten verbrieften Urkunden und vergilbten Pergamenten, auf welche die Staatskünstler unserer Zeit mehr geben als auf Volkswillen und lebendiges Recht der Gegenwart.« »Lieber junger Freund,« erwiderte Baron Hammersteen mit einem spöttischen Seitenblick, »ich merke wohl, wo es bei Ihnen steckt, und denke, weiter mit Ihnen zu reden, sobald es sich paßt. Sie haben einen klaren Blick und wie ich denke, auch einen klaren Geist, Nur das eine sage ich Ihnen jetzt: alle die alten Pergamente sind wertloser Plunder, wenn man die Macht nicht hat, sie geltend zu machen. Ein kluger Mann wird sich nicht damit abgeben, um so weniger, wenn neue Pergamente und Rechte jenen entgegentreten. Ein kluger Mann wird seine Kräfte nicht vergeuden, um Buchstaben zu deuteln und zu drehen, er wird um sich schauen, die Verhältnisse erwägen und den Stier nie bei den Hörnern fassen wollen. Doch da sind wir bei unserem hölzernen Palast. Also morgen um sechs Uhr, Herr Lornsen; Sie sollen uns pünktlich an der Thür finden. Lina wird Ihnen beweisen, daß gutes dänisches Blut in ihren Adern ist. Von Seekrankheit weiß sie nichts, und wenn es das Meer nicht allzu arg macht, fahren wir unter dem Schutze des heiligen Olaf sicher davon.«

      Nach einigen scherzenden Abschiedsworten empfahl sich Lornsen. »Ich wollte,« sagte er halblaut, »daß diese Dänen mir nicht in den Weg gekommen wären. Doch was hilft es. Es ist ein Ritterdienst für ein schönes Mädchen. Sie soll in ihren Gesellschaften erzählen, daß Jens Lornsen, der starrköpfige friesische Bauer, so glatt und galant sein kann, als wäre er in Kopenhagen geboren.«

      Zweites Kapitel

      Am nächsten Morgen schaukelte dicht unter der Klippe eine zierliche Schlupp, die sich möglichst nahe ans Land gelegt hatte. Zwei rasche junge Seeleute waren geschäftig, das große Gaffelsegel zu kürzen, die Klüver aufzurollen und das Tauwerk in Ordnung zu bringen. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, die schnell ihren Flug gen Südost fortsetzten, bald brach Sonnenschein zwischen ihren Spalten hervor, bald wieder verschwand er unter den dunklen Massen.

      Die Flut drang mit Macht durch den schmalen Meeresarm, der die Insel von der Düne trennt und wälzte mächtige Wogen herein, die donnernd ihren Schwall an das Felsenufer schickten und am Pfahlwert aufstäubten. – Eine Menge müßiger Fischer und Lotsen standen dort in der gewöhnlichen Trägheit beisammen, die dem Seevolk eigentümlich ist, so lange es zum Handanlegen weder Gelegenheit noch Gewinn sieht. – Alte und junge Leute aus kurzen Pfeifen rauchend, die Reste eines Dinges auf den Köpfen, das eingedrückt, verbogen, ohne Krempen und zerrissen, von ihnen Hut genannt wurde, in ungeheueren Wasserstiefeln und grauen weiten Zwillichhosen, plauderten gemeinsam, indem sie die Arbeiten auf der Schlupp und den Himmel betrachteten.

      Dann und wann kam mehr Leben in diese Gesellen, wenn unter dem dumpfen Rollen der Brandung eine der höchsten Wogen weit über die Pfählung flog und die neugierigsten mit einem Sprühregen schwerer Tropfen zurückscheuchte. Ein allgemeines Gelächter begleitete ihre Flucht, die so eilig war, als sei die Durchnässung ihnen so unangenehm, wie den ehrsamen Spießbürgern des Binnenlandes.

      Endlich kam ein Mann, dem das Haar zu grauen begann und dessen Gesicht Redlichkeit und Verstand ausdrückte. Er richtete seine klugen Augen auf die Schlupp und sagte dann mit einer gewissen warnenden Betonung: »Will denn Jens Lornsen wirklich diesen Morgen fort?«

      »Ja, Andersen Simens, er will fort, du siehst es.« erwiderte ein alter Mann.

      Der andere schüttelte den Kopf. »Habt ihr nichts dazu gesagt?« fragte er weiter.

      »Wir haben mit ihm gesprochen,« war die Antwort, »aber er meint, die Schlupp hält es aus.«

      In diesem Augenblick kam Lornsen mit dem Staatsrat und seiner Tochter die Treppe herunter, die von der Höhe des Felsens an den unteren Strand, den einzigen Landungsplatz, führt, und näherte sich nach wenigen Minuten der Stelle. – Zwei Männer trugen das Gepäck der Reisenden, die munter und guter Dinge waren. Das Fräulein lachte über ihres Vaters Stoßseufzer wegen der zahllosen spitzen Steine und des fauligen Geruchs, den die Haufen Seetang verbreiten, welche die Wellen ausgeworfen hatten, ohne daß einer der vielen müßigen Schelme, die hier umherlungerten, wie er sagte, es der Mühe wert hielt, etwas zur Verbesserung des Weges zu thun. Jens trug den Mantel der Dame samt ihrer Kappe von schwarzem Wachstaffet über dem Arm und stimmte in ihre Fröhlichkeit ein, während seine Augen Segel und Tauwerk der Schlupp musterten und nichts seiner Aufmerksamkeit zu entgehen schien.

      »Bringt die Jolle heran,« rief er den beiden Männern zu, die, als sie ihn erblickten und seinen Befehl hörten, sogleich in das kleine Boot sprangen. Plötzlich aber fühlte er sich am Arm ergriffen und sah, daß es Andersen Simens war.

      »Guten Morgen und Lebewohl zu gleicher Zeit, mein wackerer Freund,« sprach er, »Ich war gewiß, dich hier zu finden.«

      Er redete in friesischer Sprache, die keine Unterschiede der dritten Person kennt, »Jens Uve,« erwiderte der Freund, seine Hand fest haltend, »du sollst uns heut nicht verlassen. Siehst du dort unten die schwarzen Hände des Himmels und vor dir die weißen Köpfe in der See?«

      »Ich sehe alles,« rief Jens unbesorgt lachend; »ich sehe was vorgeht über mir und neben mir, weiß auch, was ich unter mir habe.«

      »Ein wackeres Schiffchen, dicht und drall, Hanf und Leinen in bester Ordnung, Ballast unten und jeder Kloben fest. Aber Menschenkräften und Menschenwerk ist ein Ziel gesetzt, darüber hinaus kommen beide nicht; auch dem besten kann es zu viel werden.«

      »Höre, Andersen,« fiel der junge Mann lebhaft ein, »du weißt gewiß, daß ich nicht die geringste Lust habe, mich von Haien auffressen zu lassen, aber ebensowenig habe ich Lust, deine Klagetöne anzuhören, als läge im Hause eine Leiche und die Klageweiber säßen auf der Schwelle. So gut es auch gemeint ist, ich sage dir, ich will heut abend in Sylt an meines Vaters Herd sitzen und das erste Glas auf dein Wohl leeren.«

      »Wärst du ein anderer, der du bist,« sprach Andersen, ohne sich irre machen zu lassen und auf den lustigen Ton einzugehen, »wärst du ein tollköpfiger Junge, der heraus will, um den hungrigen Wolf kennen zu lernen, der ihm die weißen Zähne zeigt, so würde ich sagen: ›Fahre hin und sieh zu, daß er dich nicht beißt.‹ Aber deines Vaters Sohn hat mehr zu verlieren als sein armseliges Leben. Auf dir ruhen die Blicke deines Volkes, die Hoffnungen deiner Freunde. Du Hast viel zu verantworten, Jens Uve, wenn du nicht, wie ein Mann, klug überlegst, ehe du handelst.«

      »Nun, bei allen Geistern und Hexen, die jemals über Wiesen und Deiche um Mitternacht tanzten,« rief Jens lachend, »was soll ein kluger Mann nicht alles thun. – Sieh den alten Herrn dort, Andersen, er hat mir gestern gesagt, was klug sei, aber daß ich hier bleiben soll, davon sagte er nichts, und er ist ein Staatsmann, ein Baron und ein Däne, drei Dinge, die sich zu den weisesten in der ganzen Welt zählen. Seinetwegen und wohl mehr noch des schönen Mädchens wegen, die so viel Mut wie der beste Mann hat, will ich's wagen und wenn der Wind aus meiner Mutter Schürze bliese.«

      Währenddessen war die Jolle ans Land gerudert und hatte das Gepäck der beiden Reisenden aufgenommen. Der Baron bezahlte die Träger und hatte ihnen sicher reichlich gegeben, denn sie machten frohe Gesichter.

      »So sind wir denn zu Ihren Diensten,« rief er dem jungen Manne zu, »und haben, Gott sei Dank! hier nichts weiter zu schaffen.«

      »Wenn du es nicht um deiner selbst wegen thust,« sagte Andersen mit lauter Stimme und in deutscher Sprache, »so thue


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