Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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in der Mitte, die Warften genannt werden, tragen die Häuser; auf solcher Warft und in solchem Hause sind wir nun. Es ist jammervoll anzusehen.«

      »Und wie sind wir hierher gekommen?«

      »Durch Gottes Wunder!« rief der Baron. »Eine Welle ging über das Schiff fort in halber Masthöhe. Die Segel wurden heruntergeschlagen, alles brach und fiel. Lornsen kam kaum mit dem Leben davon. – Ich hätte Lust, dich tüchtig auszuschelten,« fuhr er fort, »wenn ich nicht weit mehr noch zu preisen und zu segnen hätte. – Was hattest du in dem wilden Wetter zu thun; Lornsen erreichte dich, wie du niederstürztest; blutend und halb tot brachte er dich auf dein Lager, das Wasser stand mehrere Fuß hoch unten in der Kajüte, und ich konnte mich nicht rühren, nicht schreien, nicht fragen, ich war zu krank und erwartete mein Ende.«

      »Und dann, und dann!« sagte das junge Mädchen.

      »Er lief wieder hinaus ans Steuer und seltsamerweise wurde, wie er sagt, der Wind gleich darauf etwas günstiger. Unter furchtbaren Anstrengungen gelang es endlich, in die Hever zu kommen und hier hinter der Hallig Schutz zu suchen. Du warst wie tot, Lina! ich konnte es nicht fassen, ich war empfindungslos und sah zu, wie er sich mit dir beschäftigte. Decken über dich warf, deinen Kopf betrachtete, ein Tuch darum wand und nichts unversucht ließ, dir Hilfe zu leisten. Als wir endlich fest lagen, wurdest du in ein Boot geschafft und der Obhut der Frauen hier überliefert. Die haben dich ins Bett gelegt und mich erquickt. Ich bin zerschlagen am ganzen Körper, und dann die Angst um dich, mein teures Kind. Aber das ist ein Teufelskerl, der Lornsen, von Eisen und Stahl, und das ganze Volk hier ist ein rohes, unempfindliches Volk, ohne Gemüt und Gefühl.«

      »Was sagte Lornsen?« fragte Lina.

      »Ich glaube fast, er hat mich ausgelacht mit meinen Klagen,« erwiderte der Baron. »Hartes Wetter sei es gewesen. Das einzige, was er bedaure, sei dein Unfall, aber auch der habe nichts auf sich. – Das Loch im Kopfe bedeute nicht viel, es sei eine bloße Schramme, weiter nichts, du würdest bald wieder aufstehen und die Reise fortsetzen können. Aber ich will verdammt sein, wenn ich sie fortsetze. Nicht einen Schritt will ich wieder auf dies schreckliche Meer thun.«

      »Du wirst doch nicht hier das Ende deiner Tage erwarten wollen?« antwortete Lina lächelnd.

      »Fort so schnell wir können!« rief der alte Herr, »aber nicht wieder auf die entsetzliche Schlupp.«

      Die Thür wurde geöffnet, eine Frau in weiten Röcken und großer Mütze steckte den Kopf herein und schob langsam den starken Körper nach, als sie sah, daß ihr Pflegling aufrecht saß. – In ihren groben Zügen schimmerte die Freude, sie reichte dem dänischen Fräulein die rauhe große Hand, eilte dann hinaus und kam mit einer anderen jüngeren Frau zurück, die Thee und Milch herbeibrachte, Glück wünschte und teilnehmende Fragen an sie richtete. – Die natürliche Einfalt und Einfachheit der Halligbewohner verstand es nicht, viele Worte zu machen; ihr Leben, das so vielen Gefahren Trotz bot, sah in dem, was die beiden Reisenden bestanden hatten, nichts sehr Besonderes.

      Ein Schiff, das von einer Sturzwelle getroffen wurde, welche allerlei Verheerung anrichtete, einen Mann über Bord schleuderte oder ihn verwundete, waren zu alltägliche Dinge, um große Verwunderung zu erregen. Aber die schöne junge Dame, welche mit dem Tuch um die geschwollene Stirn mutig lachen und scherzen konnte, die so freundlich und zutraulich sprach, so wenig verweichlicht schien und nicht einmal seekrank geworden war, flößte ihnen doch eine gewisse höhere Teilnahme ein.

      Als Lina ihren Willen äußerte, aufzustehen und sich anzukleiden, erfuhr sie, daß alles, was sie getragen, noch durchnäßt an der Luft zum Trocknen hänge, aber es wurde schnell Rat geschafft. Die junge Frau bot ihre Feiertagskleider dem Fräulein an; der alte Herr mußte hinaus, und nun ging es an ein Schmücken und Putzen, das von Scherzen und Gelächter begleitet wurde. – Der weite rote Rock mit gelben Säumen ließ sich so eng zusammenziehen, daß er zum schlanken Wuchse der Dame paßte, ein schwarzes feines Jäckchen, mit vielen silberblanken Knöpfen besetzt, wurde mit Hilfe der Schnuren passend gemacht, das weiße Busentuch darüber gesteckt, das faltige glänzende Schürzchen von seinem Linnen mit einer roten Schnur gebunden, und als sie nun endlich auch ihr Haar gekämmt und in zwei Zöpfe geflochten hatte, die weit über den Rücken fielen, waren die Zuschauerinnen entzückt über das schöne Friesenmädchen, die auf den Halligen und Inseln nicht zum zweitenmal so gefunden werde.

      Mit dem schmalen weißen Tuche als Verband um den Kopf trat Lina vor den kleinen Wandspiegel, zufrieden lächelnd über die unfreiwillige Metamorphose, aber ihr blasses Gesicht rötete sich, als sie den Blick durch das Fenster warf.

      Ein engbegrenztes Gartengehege, wenige Schritt breit, zog sich bis an den Rand der Warft, von welcher das Haus auf die kleine Hallig hinabschaute. – Unten wogte langes, schilfiges Gras im Winde; wohl zwei Dutzend hochbeiniger Friesenschafe wandelten darin umher und leckten das Salz von den harten Halmen. Seitwärts aber in einer Bucht lag die Schlupp fest auf dem schwarzen Schlamm, denn die Ebbe hatte sie fast trocken gelegt, und weit konnte Linas Auge über die gelben Wellen schweifen, die aus dem Heverstrom in wilder Hast dem Meere zugetrieben wurden.

      Doch sie sah von dem allem fast nichts, sie sah nur zwischen dem kleinen Beete an der Wandseite Jens Lornsen, der von der Hallig eben heraufstieg und plötzlich stehen blieb, weil er sie erkannte.

      Durch seine ernsten Züge lief es wie der heiterste Sonnenschein. Seine klaren großen Augen hefteten sich mit einem unaussprechlichen Ausdruck auf sie, und nie ist ein Schweigen beredter gewesen, nie haben Empfindungen sich mächtiger auszudrücken vermocht, als durch die Blicke voll Rührung, Dank und Freude, mit denen er sie betrachtete. – Die stolze Kälte seines Wesens schien vor dem Feuer, das seine Seele erglühen machte, zu schmelzen, und ohne Bedenken schwang er sich durch das Fenster und stand, ehe sie es ahnte, vor Lina, deren Hände er ergriff und so heftig drückte, daß sie Schmerzen davon empfand.

      »Ja, so bin ich,« rief Lornsen mit froher Stimme, »trotz meiner dreißig Jahre immer noch ungestüm wie ein junger Mensch, wenn mir das Herz warm wird, – Verzeihen Sie es ihm, verzeihen Sie mir, wenn ich in diesem Augenblick an nichts denke als an mich selbst. – Ich war so unruhig, so sorgenvoll, so voll Bangen, und plötzlich sehe ich allen meinen Kummer geheilt. Ich sehe Sie, wie ich Sie nie zu sehen hoffen durfte.«

      »In der friesischen Landestracht,« sagte Lina.

      »Die Ihnen so schön steht, daß Sie sie immer tragen müßten,« rief Jens, »Mit der Binde um die Stirn sehen Sie aus wie eine der weisen Prophetinnen meines Volkes, die untergegangen sind mit ihm, aber nächtlich noch immer aus den Fluten steigen, um eine bessere Zukunft zu offenbaren.«

      »Ich glaube,« erwiderte das junge Mädchen, »daß ich froh sein darf, nicht zu den Untergegangenen zu gehören und meines Vaters Glauben teilen muß, mich diesem fürchterlichen Meere nie wieder anzuvertrauen.«

      »Muß ich fürchten,« sagte er, »daß Ihr Vertrauen auch zu mir wankend geworden ist?«

      »O, nein!« versetzte sie, ihn anblickend, »Mein Vertrauen wankt so leicht nicht zu dem, dem ich es geschenkt habe und« – fügte sie lächelnd hinzu – »auch diese Kinder der See, selbst diese Frauen hier haben mir gesagt, daß Jens Lornsen der kühnste Mann weit und breit sei, auf welchen jeder Bedrängte fest bauen könne.«

      »Ich denke, daß ich dies Lob nicht zurückweisen darf,« sprach Lornsen. »Niemand in der Welt soll je an mir zweifeln; aber,« fuhr er sanfter fort, indem er Lina von neuem die Hand reichte, »dennoch habe ich mir heut gelobt, immer auf guten Rat zu hören und niemals die warnende Stimme eines Freundes zurückzuweisen.«

      »Der Freund in Helgoland hatte also doch recht,« sagte sie.

      »Wenn ein Unglück geschehen wäre, an welches ich mit Schaudern denke,« gab er zur Antwort, indem seine Blicke innig auf ihr ruhten, »ich würde die Ruhe meines Lebens für immer verloren haben.«

      Ein lautes Gelächter


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