Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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Winkel der Erde so prächtige Dinge anzutreffen.«

      »Sie könnten leicht in noch größeres Erstaunen geraten,« Herr Staatsrat,« sagte Lornsen lächelnd, »wenn Sie einmal nach Sylt kämen zur Zeit, wo die friesischen Kapitäne aus Hamburg, Bremen und Holland zurückkehren, um den Winter bei ihren Familien zu verleben. Da wimmelt es von Raritäten und Köstlichkeiten aller Art aus aller Herren Länder. Der eine ist aus Indien wiedergekehrt, der andere aus Chile, dieser aus Afrika, jener aus Jamaika, und jeder hat mitgebracht, was er zumeist für schön, selten oder behaglich hielt.«

      »Das muß ein lustiges und merkwürdiges Leben sein,« rief der alte Herr.

      »Ein Leben, das den Menschen immer wieder hinaustreibt auf die wilden Wellen und auf das hölzerne Roß, auf dem er rastlos die Erde umreitet, ist allerdings oft merkwürdig genug; lustiger und schöner ist es jedenfalls, sein Haus zu bestellen, im Schatten seiner Bäume zu sitzen und in Frieden zu wohnen mit der Natur und den Menschen.«

      »Lieber junger Freund,« rief Baron Hammersteen, »ich halte von den Deutschen nicht viel. Es ist ein sentimentales, träumerisches, zu allen Schwärmereien und unpraktischen luftigen Faseleien geneigtes Volk, das in Kunst und Wissenschaft zwar einiges geleistet hat, aber es auch darin nie zum Gediegenen und Vollendeten bringen kann, – Ja, spotten Sie immerhin,« fuhr er fort, als er sah, daß Lornsens Lippen zuckten. »Die Deutschen haben ebensowenig einen Thorwaldsen, wie sie einen Öhlenschläger, Baggesen oder einen Heiberg haben. Sie haben nur den Goethe, der allerdings artige Sachen geschrieben hat und der einzige ist, den ich goutieren kann. Eines schickt sich nicht für alle, sagte Goethe – ich nenne Ihnen Goethe, weil ich denke, Sie werden ihn in Jena selbst wohl gesehen haben und ihn verehren.«

      »Als Dichter gewiß,« fiel Jens ein. »Der Minister geht mich nichts an. Daß er nichts für sein Volk gethan, nichts für sein Volk gefühlt hat, seinem gnädigen Herrn immer aufwartete, wie und wo er konnte, und sich das Herz gewaltsam verknöcherte, um seine olympische Ruhe nicht an das Leid der Menschheit zu setzen, ist freilich traurig genug.«

      »Sehe jeder, wie er's treibe, sehe jeder, wo er bleibe!« rief der Baron lachend. »Das ist der einzige deutsche Dichter, der mit der Schärfe und Klarheit eines Staatsmannes das Leben untersucht und große Wahrheiten mit wenigen Worten sagt. – So sage ich Ihnen denn, Herr Lornsen, daß ich wirklich erstaunt bin, Sie in so großen Irrtümern befangen zu finden. – Eines paßt sich nicht für alle. Für diese Inselleute paßt das Fischer- und Schifferleben mit seinen unruhigen und gefahrvollen Mühseligkeiten. Wer hier geboren ist und hier leben will, muß mit Flut und Sturm kämpfen, im Schlick umherwaten, Krabben und Dorsche fangen, Möwen und Strandvögel jagen. Wer das nicht will, sehe wo er bleibe. – Die Welt ist groß, Herr Lornsen. Höhere Naturen sind immer Kosmopoliten; und Fische fangen, den Acker bestellen, Schafen ein feineres Fell verschaffen oder die beste Butter im Lande machen, genügt denen nicht, die den Drang in sich fühlen, lieber Hammer als Amboß zu sein. – Im übrigen ist diese Seezunge vortrefflich; bitte, nehmen Sie noch ein Stück. Ich bin überzeugt, daß man in Sylt ganz angenehm leben kann, und verdenke es Ihnen keineswegs, Herr Lornsen, wenn Sie mit Begeisterung von der tiefen Anhänglichkeit sprechen, welche alle Friesen zu ihrem Vaterlande haben.«

      »Diese Anhänglichkeit, Herr Staatsrat, haben alle Völker,« erwiderte der junge Mann. »Die Dänen lieben ihr Vaterland nicht weniger wie die Deutschen.«

      »Ja so, die Friesen und mit ihnen die Schleswiger sind Deutsche,« rief der Baron, »Sie erinnern mich immer wieder daran und ich vergesse es ebenso oft, weil ich die praktische Überzeugung habe, daß dies Land hier ein Teil Dänemarks ist und hoffentlich bleiben wird. Sagen Sie mir aber doch, lieber Herr Lornsen, wodurch würde diese arme Familie glücklicher werden, wenn plötzlich proklamiert würde, daß ihr Hallig und rundumher, die Insel und meinetwegen ganz Schleswig bis an die Königsau deutsch geworden wäre? Würden ihre Schafe darum doppelt so viel Milch geben und dreimal im Jahre Junge gebären? Oder würden die Fische häufiger, die Stürme geringer? Oder verwandelten sich die Dünen und Sümpfe in fruchtbares Land? Würde Schleswig zum Paradies mit Feigenbäumen und paradiesischer Unschuld?«

      »Wenn Schleswig aufhört, sein Geld und seine Kinder an den Sund zu schicken,« versetzte Jens, »so kann es allerdings die schweren Lasten und Abgaben, welche jetzt auf uns drücken, bedeutend ermäßigen, zumal wenn eine gerechte Besteuerung erfolgt, die Privilegien und Vorzüge gewisser Klassen aufhören und diejenigen das Meiste zahlen, die das Meiste besitzen.«

      »Ah so!« rief der Staatsrat lachend, »nun das ist doch ein praktisches Ziel der Demagogen und heißt nicht ins Blaue hinein phantasieren. Aber lassen Sie das ja nicht die patriotischen Ritter und reichen Leute hören, mein junger Freund, deren deutschtümelnde Vaterlandsliebe gewaltig dadurch abgekühlt würde.«

      »Ich führe es nur an,« sagte Lornsen, »um Ihre Frage zu beantworten, im übrigen aber lassen sich die Empfindungen eines Volkes, das sich losgerissen weiß von seinem wahren Vaterlande, nicht mit der Krämerelle messen. Ich würde nur zurückfragen, was denn die Dänen sagen würden, wenn sie von Holstein und Schleswig regiert würden; wenn man ihnen erklärte, ihr seid deutsche Provinzen unseres deutschen Staates. Eure verbrieften Rechte kümmern uns nichts, eure Schiffe sind deutsches Eigentum, eure Sprache und Sitten schafft ab, lernt deutsch, kommt nach Kiel und macht dort Examen, wenn ihr Anstellung haben wollt. Bezahlt unsere Schulden, bemannt unsere Flotte, Rechenschaft bekommt ihr nicht; verwenden wollen wir euer Geld, wie es uns beliebt und euch Gehorsam lehren, wenn ihr Widerspruch wagt.«

      »Dänemark würde sich nie einer solchen Schmach fügen!« rief das Fräulein, als Lornsen endete.

      »O! Possen,« fiel der Baron ein. »Wenn die Dänen wirklich in der Lage wären, wie die Herzogtümer und namentlich Schleswig; wenn sie vierhundert Jahre lang zu ihnen gehörten und 1721 inkorporiert wurden, wie dies wirklich geschehen ist, so würden sie ihrem Schicksale folgen. Das schlimmste sind die Übertreibungen der Übel, die bestehen sollen, und willige Ohren bei denen finden, die fern sind und vom Parteistandpunkte aus sich blenden lassen. – Es wäre an der Zeit, daß verständige Männer sich besser unterrichteten und statt das Feuer zu schüren, in vernünftiger Weise zu versöhnen suchten, nicht aber Irrtümer und leidenschaftliche Entstellungen der Wahrheit verbreiten hülfen.«

      Mit einem scharfen Blick, aber ohne die höfliche Freundlichkeit aufzugeben, sah er Lornsen an. Die Bewohner der Hallig hatten sich um den Tisch gesammelt und hörten mit vieler Teilnahme zu. Ihre Augen ruhten auf dem Vertreter ihres Stammes, sie betrachteten ihn mit Stolz, wie er dem dänischen Herrn furchtlos gegenüber stand und für ihr gutes Recht seine Stimme erhob, und sie erwarteten von ihm, daß er auch jetzt nicht schweigen werde.

      »Unsere Sache ist so einfach, Herr Staatsrat,« sagte Lornsen, »daß Entstellungen der Wahrheit nicht von uns ausgehen können. Im Jahre 1460 haben wir durch freie Wahl den König von Dänemark, Christian I., zu unserem Landesherrn und Herzog angenommen, unter der feierlich beschworenen Bedingung, daß die Herzogtümer nie zu Dänemark gehören und ewig zusammen bleiben sollten, ungeteilt. Das hat man uns so wenig gehalten, wie man Schwedens und Norwegens Freiheiten und Rechte geachtet hat, die zu ihrer Zeit auch den dänischen König zu ihrem Könige gewählt hatten. Der Absolutismus warf sich auf uns und erdrückte unsere Selbständigkeit. Schweden riß sich los, Norwegen hat später seine Freiheit erzwungen, wir sind geblieben.«

      »Und inkorporiert worden,« rief der Baron, »Schleswig hat nie zu Deutschland gehört.«

      »Aber ebensowenig zu Dänemark,« erwiderte Lornsen. »Es war ein freies Herzogtum, ein Fahnenlehen, um dessen Besitz lange und blutige Kämpfe geführt wurden. Schon im Jahre 1326 ward aber der Graf von Holstein mit Schleswig belehnt und durch die Waldemarische Konstitution beider Länder verbunden.«

      »Diese Konstitution ist eine Erfindung,« rief der Staatsrat.

      »So sagen die Dänen seit 1815, weil das Original beiseite geschafft wurde,« erwiderte Jens. »Aber was man nicht beseitigen konnte, ist das Dokument von 1460 – Graf Gerhard von Holstein


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