Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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schwiegen und sahen in die falbe Ferne, die sich duftig verschleierte, Nebelmassen stiegen mit wunderbarer Schnelle plötzlich überall auf. Man konnte nicht sagen, woher sie kamen, aber wenige Minuten reichten hin, um rund um die Hallig dichte Wolken zu legen, welche sich übereinander wälzten und immer näher rückend ihre nassen dunklen Arme nach den einsamen Menschen ausstreckten.

      »Und werden wir uns wiederfinden?« fragte sie leise.

      »Die Geister der Tiefe sind aufgewacht,« sagte Lornsen, »und geben uns Antwort. Ich sehe Sie kaum mehr. Ich, ein Sohn des Nebels und der Stürme, die ewig um diese Inseln streifen, wo soll ich Sie wiederfinden, teure Freundin, denn mit diesem Namen will ich Sie nennen, – Ich, der ich hier geboren bin, und hier zu leben und zu sterben denke, wie kann ich hoffen, jemals wieder in Schmerzen oder in Freuden einen Tag zu erleben, der dem gleicht, den ich jetzt enden sehe? – Die Menschen hier im Lande haben aber jeder irgend etwas Wunderbares erlebt! fast jedem ist einst einsam in der Nacht auf den Dünen oder auf der See im wilden Kampfe mit den Elementen ein wohlthätiger Geist erschienen, der ihnen seine Hand bot in großen Gefahren, den sie dafür segnen, von dem sie erzählen und dessen Gestalt und Wesen ihnen vorschwebt, bis sie sterben, – So ist auch mir geschehen, so will ich Ihrer gedenken. Lina, und wenn Sie glücklich sind in Ihrer fernen Heimat, wenn Ihnen Tage der Freude kommen und Tage des Sturms, dann denken Sie an Jens Lornsen, von dem Sie wenigstens hören sollen, daß er Ihre Achtung verdient.«

      »Holla, Lina!« rief der Baron vor der Thür, »wo bist du, Mädchen?«

      »Ich bin hier, Vater,« erwiderte sie.

      »In dem dichten nassen Qualm!« schrie der alte Herr. »Welche Thorheit und welch verwünschtes Klima, In einem Augenblick Sonnen- und Sternenschein, in der nächsten Minute Nacht und Schrecken. – Wo ist Herr Lornsen« Ist er hier?« »Ich weiß nichts von ihm,« gab sie zur Antwort, während Lornsen noch immer ihre Hand fest hielt.

      »So muß er auf der Schlupp sein, die in drei Stunden mit der Flut wieder flott werden wird, wie mir die Leute versichern. Gott erbarm, sich über dies elende Dasein, zwischen Schlamm, Salzwasser und Nebel, aber zehn Gebete mehr, wenn wir aus den Händen des tollkühnen Burschen sind, der uns hierher geführt hat. Was sollen wir nun thun, um uns unserseits erkenntlich zu beweisen?«

      Der Baron war bis auf wenige Schritt herangetreten, Lina stand auf, hinter ihr blieb Lornsen sitzen, Nebel und Dunkelheit waren so dicht, daß der alte Herr nichts unterscheiden konnte.

      »Wir können, wie ich denke, nichts thun,« erwiderte das Fräulein, »als ihn zum Besuch nach Kopenhagen einladen,«

      »Um ihn als friesische Rarität dort zu zeigen,« rief der Baron lachend. »Für Kammerherr Branden wäre er ein allerliebster Gegenstand der Belustigung.«

      »Lieber Vater,« sagte Lina, »ich halte dafür, daß Herr Lornsen alle diese Dutzendmännchen der Kopenhagener Salons zu Schanden macht, und ihnen ebensowohl Achtung abnötigt wie diesen armen Halligleuten.«

      »Haha! Potz Wetter!« lachte der alte Herr, »du scheinst dich sehr für ihn zu interessieren.«

      »Wie er es verdient,« erwiderte sie. »Ich leugne es nicht, aber ich weiß, daß auch du viel Wohlwollen für ihn hegst.«

      »Es kommt darauf an, ob der Bär sich putzen lassen und tanzen lernen will,« sagte der Baron; »aber komm jetzt herein, ich bin wahrhaftig schon bis auf die Haut naß und ganz kalt. Sie backen uns einen Eierkuchen von Möweneiern und haben den Theekessel frisch aufgesetzt mit Wasser aus der Lehmpfütze, die ihre Cisterne bildet. Es ist ein gesegnetes Land und gesegnete Leute. Wenn ich im Kasino erzähle, was ich erlebt und genossen habe, wird es kein Mensch glauben wollen.«

      Lornsen drückte seine Lippen wiederholt auf die weiche, warme Hand, welche in seiner Rechten ruhte. Er fühlte den leisen Gegendruck, und als er endlich seine Finger öffnen mußte, weil Lina mit dem alten Herrn ins Haus ging, hörte er mit Entzücken noch die letzten Laute ihrer klangvollen Stimme.

      »Wie ist mir denn geschehen?« sagte er, die Arme durch den dichten Nebel ausstreckend, als wolle er sie halten. – »Wäre es möglich, daß sie mich liebt?! Es muß so sein. – O, was fragt die Liebe danach, daß ich ein Friese bin, sie eine Dänin ist, daß ich Lornsen heiße, meine Wiege ein Seegraskissen war, die ihrige Seidenbetten und Spitzen hatte!«

      »Traum! Leerer Traum!« rief er dann lauter, »was habe ich mit solchen seltsamen Launen des Lebens zu schaffen. – Ich darf nichts mit ihr zu schaffen haben,« setzte er ernsthaft dann hinzu, »und es ist gut, daß es so ist, – Morgen fährt sie an den Öresund, ich nach Sylt. Wir werden sehr gute Freunde bleiben – gewiß sehr gute Freunde – aber diese Minute wird nicht auszulöschen sein in mir, ich werde bald wieder einmal auf dieser Bank sitzen und weiter träumen.«

      Nach einiger Zeit folgte er seinen Schützlingen und er fand den alten Herrn in einem großen Polstersessel am Tische sitzen und neben ihm Lina, die aus den friesischen Röcken und Schürzen sich ausgeschält und, wie Baron Hammersteen sagte, wieder ein vernünftiges Ansehen gewonnen hatte.

      »Ich liebe die Verkleidung nicht,« sprach der Staatsrat, einen lächelnden Blick auf Lornsen werfend, »und so bin ich froh, meine Tochter in der Tracht zu sehen, die ihr gehört. Das Fischermädchen kann kein langes Seidenkleid brauchen, aber das Fräulein muß ebensowenig den kurzen Friesrock anziehen. – Es ist damit gerade so, Herr Lornsen, als wenn Staatsmänner sich herablassen, mit der Jugend zu schwärmen und volksbeglückende Tiraden zu heucheln. Jeder in seiner Weise. So werde ich aber auch erfreut sein, Sie selbst einmal in Frack und Handschuhen zu erblicken und statt des nackten Halses und des bunten Tuches, der weißen Binde ihr Recht widerfahren zu sehen.«

      »Ich hoffe,« erwiderte Jens höflich, doch nicht ohne Spott, »daß meine seemännische Ungezwungenheit, die eine üble Angewohnheit sein mag, mir Ihre Nachsicht nicht entziehen wird.«

      »Gewiß nicht, lieber junger Freund,« rief der alte Herr, »auf Reisen muß man tolerant sein. Man macht ja überhaupt dabei Bekanntschaften und schließt Verträge, die fast noch weniger Dauer und Inhalt haben wie mancher diplomatische Vertrag.«

      »Sie haben nur zu sehr recht,« erwiderte Lornsen, Lina anblickend.

      »So habe ich denn auch mit unserem wackeren Halligwirt hier eine sehr intime Freundschaft geschlossen,« fuhr der Baron fort, »und mir von ihm schöne Dinge erzählen lassen. Er hat mir unter anderen gesagt, daß die Friesen und Schleswiger den Teufel nach dem dänischen Könige fragen, der nichts als ihr Herzog, und wenn es nach rechten Dingen hergehe, müsse Schleswig sich von Dänemark trennen, sobald kein männlicher Erbe mehr vorhanden sei. Als ich den Mann belehrte und ihn fragte, wer ihm das aufgebunden habe, gab er zur Antwort: Hört, Jens Lornsen sagt es, und was der sagt, ist wahr.«

      »Dann muß ich ihm für dies Vertrauen danken,« versetzte Lornsen, den spottenden Blick des Barons ruhig aushaltend.

      »Nun, lassen wir das auf sich beruhen,« sagte der alte Herr. »Da kommt die Möweneierpastete und hier der dampfende Theekessel. Ich bin begierig, zu erfahren, ob die Kochkunst mehr wahren Inhalt hat und nach meinem Geschmack ist als die Politik.«

      Der Baron aber war wirklich bald mit der Kochkunst in hohem Grade ausgesöhnt. Der Eierkuchen von Möweneiern war so locker, daß er auf sein Wort versicherte, er könne in Kopenhagen nicht besser gemacht werden, und als ein paar frischgeschossene Waldschnepfen auf dem Tisch erschienen, die auf ihren Wanderzügen weit über alle Inseln streifen, endlich aber ein halbes Dutzend der köstlichsten Seezungen den Schluß machten, fand er, daß es doch gar nicht übel sei, auf kurze Zeit in dem Hause eines Friesen auf den Halligen zu leben.

      Dabei fehlte es nicht an gutem Wein, den Lornsen aus der Schlupp holen ließ, und am Schluß des Mahles erschien sogar eine Büchse mit vortrefflichen eingemachten westindischen Früchten, welche der Halligbewohner von einem Kapitän erhalten hatte, dessen Schiff er jüngst durch


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