Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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war von einem Windstoße gebrochen, die große Spiere war hinunter aufs Deck geschleudert und hatte den Schlag verursacht, den sie gehört hatte. – Lornsen mit einem der Matrosen war in voller Arbeit aufzuräumen und eben beschäftigt, das große Segel noch mehr zu kürzen. – Der zweite Mann stand am Steuer. Die fragenden Worte, welche Lina an ihn richtete, verhallten in dem Brausen des Windes, in dem Pfeifen und Wimmern des Takelwerks. Der Mann warf einen ernsten durchdringenden Blick auf sie und sah dann wieder hinaus auf den Wellentanz und auf seine Arbeit am Steuer, das unter seinen nervigen Händen ruckte. – Unter seiner Kappe von ölgetränktem Segeltuch flatterten die nassen, langen blondroten Haare. Schaum und Wasser trieften von seiner Teerjacke, dann und wann wischte er mit der harten, braunen Hand die salzige Flut aus Augen und Bart und rollte mit unerschütterlichem Gleichmut den Kautabak aus einer Backe in die andere.

      Die Schlupp war in Wolken von Wasserstaub gehüllt. So oft sie niederrauschte in die Tiefe, flogen von ihren Bugen unzählige Tropfen auf, aber mehr wie einmal waren es ganze Wasserströme, die über das Deck hinstürzten und wieder abflossen. – Der Mantel von dichtem Kamelott und der Helgoländer Hut von Wachstaffet bewahrten das junge Mädchen ebensowohl ziemlich gut vor der Nässe wie ihre geschützte Stellung dicht hinter dem Kajütenhause auf der Treppe. Als ihr Auge sich an den schwarzen Himmel, an das Heulen des Sturmes und an den schrecklichen Blick auf die Herde der schäumenden Ungeheuer gewöhnt hatte, kehrte ein Lächeln in ihr Gesicht zurück. – Die unerschrockenen Männer, welche das Schiff leiteten, fürchteten nichts; der Schaden konnte kein bedeutender sein, in wenigen Minuten war er ganz beseitigt und vor ihren Augen kniete Lornsen dort, so ruhig arbeitend und so heiter um sich schauend, als sei er gänzlich unbesorgt.

      Plötzlich aber stieß sie einen gellenden Schrei der Angst aus. Die Schlupp fiel von der Höhe einer Woge in ein unermeßliches Thal, und vor ihr bäumte sich ein Wasserberg auf, der die Spitze des abgebrochenen Mastes weit überragte. Sie konnte nichts sehen als die gelbe, mit Schaumstreifen durchfurchte Wand des rollenden entsetzlichen Gebirges, über ihr war nur ein Stück Wolke sichtbar, die der Deckel eines Sarges zu sein schien, unter ihr die ausgehöhlte Tiefe, welche bis auf den Grund des Meeres zu reichen schien. Rundumher stiegen steile bewegliche Massen empor, die wie geschmolzenes kochendes Metall sich ausdehnten und hoch oben Reihen glänzender Zähne wetzten. Der Sturm, der über ihren Kamm fegte, hob diesen ab und schleuderte ihn weit voraus; mit rasender Gewalt trieb er den ungeheueren Wasserberg der Schlupp entgegen, und diese lag ihm preisgegeben, vom Winde verlassen, in der Tiefe des Thales und schien, wie das gebundene Opfer an der Schlachtbank, den Todesstoß zu erwarten.

      Instinktmäßig klammerte Lina sich an dem Eisengitter fest, das zum Hinaufsteigen an der Treppe diente. Ihr flehendes Auge traf den Mann am Steuer, der mit äußerster Gewalt das Rad hielt und in dessen Zügen sich ein wildes Entsetzen malte. Wie trunken oder ergriffen von einem lähmenden Zauber, taumelte die Schlupp hinunter und schlingerte mit ihrem Bug zur Seite. In wirrer Angst wandte das junge Mädchen den Blick nach dem Deck zurück. Noch immer lag Jens dort und knüpfte mit der eiligsten Hast die Reefbänder zusammen. Bestürzung und Besorgnis schienen ihn zu erfüllen, aber über ihm rollte die ungeheuere Woge, um ihn lag eine Nacht des Schreckens und er schien es nicht zu bemerken.

      In diesem Augenblick stieß das junge Mädchen den Schrei der Verzweiflung aus, der schnell erstickte. Sie wollte ihm zuwinken; sie streckte den Arm nach ihm aus und deutete auf das Gespenst des Todes, das tausend Arme nach ihm ausstreckte, aber ihre Lippen schlossen sich. Sie sah nichts mehr als eine undurchdringliche Masse, die schwarz wie die Nacht sich über dem Schiff aufbäumte. Sie fühlte den Druck der Luft schneidend scharf ihr Gesicht wie mit Nadelstichen durchbohren. Die Bänder ihres Hutes rissen, er wurde in die Höhe gewirbelt, ihr Haar flatterte wild ihm nach; dann folgte ein Schlag, der donnernd und knirschend die Seite der Schlupp traf. Der Boden zitterte und wankte unter ihren Füßen, eine dichte Wassermasse stürzte über sie hin und begrub sie. Es war, als würde sie aufgehoben und getragen, als würde sie fortgerissen in unermeßliche Fernen. Ihre Finger öffneten sich, sie wollte um sich fassen, sich halten und verlor das Bewußtsein.

      Drittes Kapitel.

      Als Lina die Augen zuerst wieder öffnete, war sie zweifelhaft, ob ihr Erwachen in einer anderen Welt erfolgt sei, oder ob sie noch auf der Erde atme und lebe. Sie fühlte kein Schwanken und Rollen des Schiffes, und doch lag sie auf einem Lager, das dem Bett sehr ähnlich war, auf welches sie Lornsen gewiesen hatte. In der Wand war es eingelassen, ringsumher Holzwerk, dessen offene Seite durch kleine blumige Vorhänge von Baumwollenzeug bedeckt wurde. Sie selbst lag auf Matratzen mit Wolle dick ausgestopft, in weiße Wollendecken fest eingehüllt. Es war ein Traum, den sie furchtbar geträumt hatte, aber sie war entkleidet. Wo war ihr Mantel, ihr Hut, ihre Schuhe? Ihre verstörten Blicke flogen durch den Spalt der Vorhänge und sie errötete über die Folgerungen ihrer Gedanken, die sich verwirrten, je mehr sie sich nachzudenken bemühte. Endlich war ihr so viel gewiß, daß sie in einem schmalen Kämmerchen sich befand. Ein Fenster ließ die warmen Sonnenstrahlen herein, aber die Sonne stand tief, als wollte sie untergehen; ihr rötlicher Schimmer überzitterte die gelben glänzenden Wände, welche, mit Ölfarbe gestrichen, ungemein sauber aussahen.

      Die Wände der Kajüte in der Schlupp waren braun, sie erinnerte sich deutlich daran; das Licht fiel dort von oben herein. – Sie war nicht mehr auf dem Schiffe; aber, gütiger Gott! wo war sie und was war aus ihrem Vater, aus Lornsen, aus ihren unglücklichen Gefährten geworden?

      Ein entsetzlicher Schmerz begleitete diesen Gedanken, ihr Herz fing heftig an zu schlagen. Sie versuchte, sich aufzurichten und griff nach ihrem Kopf, der mit einem Tuche umwunden war. – Mit zitternder Hand in immer größerer Aufregung zog sie ein Stückchen des Vorhanges fort: aber glühend lief die Freude durch ihr Blut, als sie ihren Vater dicht an ihrer Seite erblickte.

      Der alte Herr saß in einem großen Sessel mit hoher Lehne. Er schlief den ruhigen Schlaf der Gerechten; ganz behaglich und friedlich hatte er sich dazu ausgestreckt, Kissen von Seegras bildeten die Polster, an welche er den Kopf lehnte; seine Hände lagen auf den Seitenstützen und vor ihm stand ein kleiner Tisch, der gerade so aussah, als habe er vor nicht langer Zeit zur Befriedigung sehr irdischer Bedürfnisse gedient. – Ein großes Brot lag dort, daneben stand ein blauer Napf mit Butler, auf einem Teller zeigten sich deutlich die Reste eines gebratenen Fisches, und seitwärts stand ein halbgefülltes Glas und eine Flasche.

      »Ich bin nicht tot,« flüsterte Lina, »und was ich erlebte, war kein Traum. Ich lebe,« rief sie mit stärkerer Stimme. »O Gott! mein Vater, was ist mit mir vorgegangen?«

      »Haltet mich fest! ganz fest!« rief der Baron, sich ermunternd, und die Augen groß aufmachend, faßte er mit den Händen umher, als wollte er etwas ergreifen. »O Lina!« fuhr er dann fort, »das ist eine schreckliche Begebenheit, all meine Tage will ich daran denken. Hast du dich erholt, mein armes Kind? Du bist blaß, entsetzlich blaß, ich werde dich immer so sehen. Aber, was das beste ist, wir sitzen jetzt im Trocknen, obwohl ich es noch immer nicht recht begreifen kann. Es schaukelt mir noch alles vor den Augen, ich schwanke, wenn ich gehen will, und mein Magen hat sich umgekehrt, vollkommen umgekehrt, denn wir haben sämtlich Kopf gestanden: das Schiff, ich, du! Es ist ein Wunder, wie es möglich war.«

      »Und Lornsen?« fragte Lina, »wo ist er?«

      »Das ist ein fürchterlicher Mensch,« sagte der alte Herr. – »Das Leben sind wir ihm schuldig, ich gebe es zu, aber wenn wir umgekommen wären, er hätte uns doch auf seinem Gewissen.«

      »Er ist also nicht umgekommen!« rief sie, lebhafter sich aufrichtend.

      »Niemand ist umgekommen,« sagte der Baron. – »Da liegt die Schlupp hinter der kleinen Insel – ich habe in meinem Leben nicht solch erbärmliches Ding von Insel gesehen – der verwetterte Bursche ist mit seinen beiden Gehilfen und den Hausleuten eben dabei, den Schaden auszubessern, den Mast zu flicken und neue Taue einzuziehen.«

      »Aber wo bin ich und was ist mit mir vorgegangen?« fragte sie erstaunt.

      »Du hörst es ja, Kind,«


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