Der Vogt von Sylt. Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt - Theodor Mügge


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er; »allerliebst, wie ein leibhaftiges Strandvogtmädchen aus Amron oder Sylt. Bei meiner Ehre! Du hast dich nicht zu schämen! zu der nächsten Maskerade in Kopenhagen mußt du in solchem Anzuge erscheinen. – Kammerherr Branden, der von den italienischen Fischerinnen solch Aufhebens macht, wird entzückt sein, und unser Vetter Holt – muß ein Sonett darauf dichten und friesische Röcke in die Mode bringen. Ich sehe es kommen, es wird Mode werden, nach den Halligen zu reisen, um romantische Episoden dort zu erleben.«

      »Davor möge der Herr uns bewahren,« sagte Jens.

      »Warum, Herr Lornsen, warum?« rief der alte Herr.

      »Weil den romantischen Damen und Herren aus Kopenhagen doch zuletzt unsere friesischen Röcke und unsere derbe Romantik ebensowenig gefallen würden, wie uns das dänische feine Wesen.«

      »Ja, das ist wahr,« sprach der Baron. – »Sieh dir das Paradies an, Lina, es ist zum Erstaunen, wie Menschen hier leben können. Und dabei sagte mir die Besitzerin dieses kostbaren Grundstücks soeben, daß sie um keinen Preis wo anders wohnen möchte – Komm, Mädchen, komm,« rief er lachend, »zeige dich deinen neuen Landsleuten, sie sind ganz glücklich, dich im roten Rock zu besitzen! vor Spitzen und Kanten aus Brüssel würden sie weniger Respekt haben. – Und ich wette beinahe, es geht unserem Freund Lornsen hier ziemlich eben so,« fuhr er fort. »Er betrachtet dich mit wahrem Entzücken und möchte nichts lieber wünschen, als dich immer so zu sehen. Ist es nicht so, Herr Lornsen?«

      »Gewiß, es ist so,« erwiderte Jens, indem er dem Baron folgte.

      In dem großen, hellen Raume des Wohnhauses war die Familie der Halligbewohner beisammen, welche treuherzig die Spöttereien des Barons belachte und die junge Dame in ihrer friesischen Sonntagstracht mit kindlichem Entzücken empfing. Ihre Augen leuchteten vor Freude über die schöne Kleidsamkeit ihrer Jacken und Röcke; sie waren stolz darauf, wie Fürsten auf Purpurmäntel, und bewunderten sich eigentlich selbst in dem Gedanken, daß sich nichts in der Welt damit vergleichen lasse.

      Lina wurde herumgeführt und mußte alles sehen. Die großen Kisten mit blanken Messingschildern enthielten, was Mutter und Großmutter an Leinen gespart; auf zierlichen Brettern standen wohlgeordnet Gläser und Tassen, und über dem großen Herdstein prangten Kupfer und Zinn. An den Wänden aber hing ein halbes Dutzend vergilbter Landschaften, Schiffe im Meer und Brustbilder in schwarzen Rahmen, und an der anderen Seite stand das wertvollste Stück des Hausrats, eine alte Gehäuseuhr. Ein mächtiger Tisch von weiß gescheuertem Fichtenholz füllte die Mitte des Zimmers und viele schwere Stühle, mit Kissen von Seegras belegt, waren in die Ecken geschoben.

      Alles aber glänzte in Reinlichkeit. Die Dielen waren weiß, die Holzbekleidung des Zimmers grünlich angestrichen, jede Scheibe, jede Tasse war sauber geputzt, das kleinste Ding an seinem Ort. Der Geist der Ordnung, der diesem Volke angestammt ist wie den Holländern, die einst ihre Nachbarn waren, und von Geschlecht zu Geschlecht vererbt, duldet nirgend Unrat und Verwirrung! selbst hier auf dieser armen kleinen Hallig, umgeben von Nässe, Stürmen und graublauem Meerschlamm, hielt er wohlthuend seine Hände ausgestreckt und wehrte die bittersten Feinde des Elends ab.

      Als alles besehen und alles belobt war, wurde Lina hinausgeführt, das Haus und die Hallig zu betrachten. Auf dem festen Hügel von Lehm lag es, stattlich und seltsam anzuschauen. Der schmale Raum, welcher es umgab, enthielt die wenigen Blumen und Halme, welche im Schutz eines dichten Gitters blühten. Dann senkte sich der Hügel kahl hinab in einen ebenen Grund von einigen hundert Schritt, der nach und nach ins Meer verlief. – Jetzt, wo Ebbe war, hatte sich dies weit zurück gezogen und einen schwarzen Schlammgrund bloßgelegt, von tiefen Rinnen gefurcht, in denen sich das zurückgebliebene Wasser sammelte. – Die Kinder des Halligbewohners liefen darin umher, um Fische oder Muscheln zu suchen, aber die warnende Stimme ihrer Mutter rief sie zurück und während das junge Mädchen ihre neugierigen Blicke über den schauerlichen Grund und über das fernwogende unermeßliche Meer schweifen ließ, wurden die Schafe herbeigetrieben, die Hausgenossen und hilfreichen Gefährten dieser einsamen Familien, deren größter und einziger Schatz sie sind.

      Die Sonne lag mit ihrer roten Kugel auf den Wellen und schickte ihren letzten blendenden Glanz herüber. Die Winde schwiegen, es fächelte mild in den langen Schilfhalmen; das Haus auf der Höhe lag im rötlichen Lichte, wie im Frieden Gottes, und die frischen blondhaarigen Buben, im Grase spielend, und die nackten Arme um die geduldig wartenden Tiere geschlungen, konnten einem Maler für das gelungenste Bild eines idyllischen Stilllebens dienen. – Lina hatte lange auf der Bank am Hause gesessen und träumerisch diesen Spielen zugeschaut. Zuweilen wandte sie ihre Blicke zur Seite, wo die Schlupp noch immer bewegungslos lag, als könnte sie nie wieder mutig ihre Flügel entfalten. In weiter Ferne stieg ein Streifen Land aus dem Wasser empor, sie wußte, daß es die Insel Pelworm war. Eine Hallig schwamm wie ein dunkler Punkt zwischen leuchtenden Wellen, und in dem Herzen des einsamen Mädchens weckte dies Bild der Ruhe und Abgeschiedenheit sehnsüchtige und wehmütige Gefühle auf.

      Sie blickte sinnend in die rote Glut des Abends; in die endlose Stille, die auf Flügeln der Ewigkeit die Schöpfung einwiegte. Es war ihr, als müßte sie immer hier wohnen; als liege diese kleine Insel fern in dem unermeßlichen Ocean, und wer den Fuß darauf gesetzt, müsse bleiben und leben und sterben, ohne je von der Welt und ihren Sorgen wieder zu hören. Sie lächelte mit gefalteten Händen diesem Gedanken nach, der sich vor ihr ausdehnte und sonderbare Bilder gestaltete; plötzlich aber hörte sie Lornsens klingende tiefe Stimme, und sie wandte die Augen von der Sonne ab zu ihm, ihre Blicke und Gedanken fanden ein bestimmtes Ziel.

      Lornsen stand auf der Hallig und sprach scherzend mit den Kindern, die an ihm aufstrebten. Sein heiteres Lachen und seine Scherze drangen zu ihr hin; das Abendlicht rötete sein edles Gesicht, sein Haar flatterte frei um die hohe Stirn. Es war lieblich zu sehen, wie er Liebe und Freude weckte und wie diese Kinder sowohl wie die alten Leute so großes Vertrauen zu ihm hatten, daß Augen und Herzen aufgingen, wenn er zu ihnen sprach.

      Das ist ein Mann, der keinem weicht! hatte die Frau auf der Hallig von ihm gesagt, und leise flüsterte Lina diese Worte, als sie ihn betrachtete. Nach einigen Minuten kam er herauf und grüßte sie, indem er sich neben sie setzte und teilnehmende Fragen an sie richtete.

      »Ich fühle mich wieder ganz wohl,« sagte sie, »und möchte länger hier verweilen, als mir vermutlich gestattet sein wird.«

      »In vier Stunden wird es dazu Zeit sein,« erwiderte Lornsen, »Die Flut kommt bald, der Grund wird schon naß.«

      »Aber die Nacht kommt auch,« fiel sie ein.

      »Der Mond wird uns leuchten,« sagte er. »Mit der ersten Morgenfrühe werden wir vor Husum liegen, und nichts bleibt dann von allem Erlebten übrig als die Erinnerung.«

      »Glauben Sie, daß ich sie festhalten werde,« gab Lina zur Antwort.

      »Ich zweifle nicht daran,« erwiderte Jens. »In Kopenhagen wird unter anderen Erinnerungen auch diese stürmische Fahrt Sie zuweilen beschäftigen.«

      »Herr Lornsen,« sagte sie errötend und stolz, »ich glaube nicht, daß Sie so gering von mir denken, mich zu verspotten.«

      »O nein!« rief er, mit größerer Teilnahme sie anblickend, »aber welches Recht habe ich denn, um unter Ihren Erinnerungen bevorzugt zu werden?«

      »Giebt es Ihnen kein Recht,« fragte Lina vorwurfsvoll, »daß ich Ihnen wahrscheinlich das Leben danke? Oder wenn Sie das ablehnen, giebt Ihre Sorge für mich, Ihre Freundlichkeit, Ihre Mühe um zwei Ihnen ganz unbekannte Fremde Ihnen nicht das Recht, dauernde Dankbarkeit zu begehren?«

      »Dauernde Dankbarkeit,« sagte Jens, »ist etwas, was kein Mensch begehren darf. Aber lassen Sie uns Freundschaft schließen und lassen Sie mir das Recht dankbarer Gegenseitigkeit. – Wenn Ihr Ruf mich nicht warnte, hätte die Sturzwelle mich unfehlbar ins Meer geschleudert. Daß ich hier sitzen, Ihre Hand fassen, meine Augen auf Sie richten und an meine irdische Zukunft noch glauben kann, danke ich Ihnen. So wollen wir beide


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