Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
den Rollstuhl gefesselt gewesen war.
Ob sie jemals so beschwingt durch das Leben gehen würde wie andere Mädchen ihres Alters, blieb fraglich. Ihr Wesen war verinnerlicht. Manchmal fragte sich Anne auch voller Angst, ob Katjas Zuneigung, sie weigerte sich, es Liebe zu nennen, für David Delorme neuen Schmerz in das Leben ihres einzigen Kindes bringen würde.
»Wann kommt Isabel?« fragte Katja plötzlich.
»Morgen«, erwiderte Anne.
»Ich freue mich. Sie kommt so weit herum und kann so phantastisch erzählen. Ich höre ihr gern zu.«
»Wenn du dich langweilst, könntest du dich nützlich machen«, sagte Anne.
Katja sah sie irritiert an. Durch ihre Behinderung war sie gewohnt gewesen, daß sich alles um sie drehte und sich jeder um sie bemühte. Vor allem ihre Mutter. Ihre Worte trafen sie jetzt wie ein Vorwurf.
»Was soll ich denn tun, Mutti?« fragte sie.
»Etwas, was dir Freude macht und dich auf andere Gedanken bringt«, erwiderte Anne.
Katja stand auf. »Ich gehe zu Henriette und helfe ihr«, sagte sie.
Es klang nicht nachgiebig, sondern eher trotzig, aber Anne machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten. Sie fühlte sich Dr. Cornelius zutiefst zu Dank verpflichtet, weil er nicht nur sie, sondern auch Katja aufgenommen hatte, aber es war ihr peinlich, daß Katja dies als ganz selbstverständlich zu betrachten schien und ganz ihren Neigungen lebte.
Leichte Schritte nahten. Fee erschien. »Nanu, Anne, was ist denn mit Katja los?« fragte sie.
»Ich habe eben gehört, wie sie zu Henriette sagte, daß sie sich eine Stellung suchen würde. Gefällt es ihr bei uns nicht mehr?«
»Ich habe ihr gesagt, daß sie sich nützlich machen könnte«, erwiderte Anne ruhig. »Sie geht wie eine Traumwandlerin durch den Tag, und ihre Gedanken wandern durch die Welt. Es geht doch nicht an, daß ihr uns beide durchfüttert.«
»Na, hör mal, du arbeitest doch wahrhaftig genug. Von Durchfüttern kann keine Rede sein. Gut, daß Paps es nicht hört. Und was Katja anbetrifft, sollte man ihr noch Zeit lassen.«
»Sie denkt nur an David«, sagte Anne leise. »Sie träumt davon, daß er kommen und sie mitnehmen wird. Sie stellt sich alles so wunderbar vor und ahnt gar nicht, welche Opfer der Gefährtin eines Künstlers abverlangt werden, wenn es dazu überhaupt käme.«
»Beschwer dir doch damit nicht den Kopf«, sagte Fee. »Du weißt doch, daß man seinem Schicksal nicht davonlaufen kann. Es läuft einem nach. Katja steht am Anfang eines neuen Lebens. Das alte ist unter der Lawine begraben, und es ist gut, daß sie darüber hinweggekommen ist. Laß ihr Zeit, sich in dem jetzigen Leben zurechtzufinden, und denke nicht solchen Unsinn. Du bist Paps doch unentbehrlich. Ich finde es wunderbar, daß er einen Menschen um sich hat, dem er so vertraut und mit dem er sich so gut versteht. Und ich habe dich sehr gern, das muß ich dir doch einmal sagen.«
»Du bist lieb, Fee«, flüsterte Anne.
»Du auch. So, jetzt muß ich wieder zu Mr. Docker.«
*
Indessen hatte Dr. Cornelius den Parkplatz unterhalb der Riefler-Alm erreicht. Eine gute halbe Stunde mußte er noch bergan steigen, aber es gefiel ihm, daß man nicht bis vor die Haustür fahren konnte, wie es bei Ausflugszielen allgemein üblich geworden war.
Hier brauchte man keine Autoabgase mehr aufzuschnaufen, hier war noch ganz herrliche Natur und urwüchsige Berglandschaft.
Ein munteres Bächlein sprang über die blankgewaschenen Steine, und die Vögel jubilierten.
Von weitem sah er schon die Riefler-Alm, das große Haus mit hellen Mauern und dunklem Holz, Blumenkästen auf dem Balkon und einer großen Terrasse.
Er wunderte sich, daß niemand zu sehen war, und kein einziger Wanderer war ihm begegnet.
Zwei kleine Buben in Lederhosen und karierten Hemden tauchten plötzlich hinter Latschen vor ihm auf. Die blonden Köpfe lugten aus dem tiefdunklen Grün heraus.
»Willst du auf die Alm?« fragte der größere, der etwa fünf Jahre sein mochte. »Es ist Ruhetag.«
Deswegen also war alles so leer, aber Dr. Cornelius konnte das nur willkommen sein, sofern die Besitzer anwesend waren.
»Wohnt ihr dort?« fragte er freundlich.
»Freili«, erwiderte der Bub. »I heiß Flori, und das ist der Hannes.«
»Das ist aber nett. Ich heiße auch Johannes«, erwiderte Dr. Cornelius.
»Und da kommt die Mami«, rief Flori.
Eine junge Frau im hellen Dirndl nahte. Ein wenig mißtrauisch fühlte sich Dr. Cornelius gemustert, aber ihre Züge hellten sich schnell auf.
Johannes Cornelius stellte sich vor, und da trat ein Staunen in ihre Augen. Ein Lächeln legte sich um den vollen Mund.
Trotz des Dirndlkleides wirkte sie exotisch. Ihr Haar war blauschwarz, und auch ihre Augen wirkten so, mandelförmig geschnitten, von einem Kranz dichter, langer Wimpern umgeben, in dem bräunlichen Gesicht.
»Ich bin Milli Woldan«, sagte sie in fremdländisch klingendem Deutsch. »Sie sind der Doc von der Insel. Wie sagen die Leute: Insel der Hoffnung.«
Dr. Cornelius nickte. Er konnte sich kaum konzentrieren. Seine Gedanken überstürzten sich.
»Wir haben von Ihnen gehört. Ins Tal kommen wir selten«, sagte die junge Frau. »Heute ist zwar Ruhetag, aber eine Brotzeit können Sie schon bei uns bekommen, Herr Doktor.«
Jetzt sagte sie Doktor, vorhin hatte sie Doc gesagt, wie es in Amerika üblich war.
»Sag dem Papi Bescheid, daß wir Besuch haben, Flori«, forderte sie den Jungen auf. »Mein Mann ist gerade bei den Kühen.«
Es klang mit dem Akzent alles drollig, und sie selbst war wie ein fremder Vogel, der sich hierher verirrt hatte und doch heimisch geworden war.
Ihre Bewegungen waren flink und anmutig. Der Kleine folgte ihr auf Schritt und Tritt. Nur wenige Minuten hatte Dr. Cornelius Zeit zur Besinnung, als auch schon eine große Holzplatte mit köstlichem Schinken, Eiern und Gurken vor ihn hingestellt wurde, serviert von der Hausfrau persönlich, und bald darauf kam auch der Hausherr in Bundhosen und ebenfalls kariertem Hemd wie seine Söhne.
Er war groß und breitschultrig, hatte ein wettergegerbtes, flächiges Gesicht, helle Augen und strohblondes Haar. Er hieß Dr. Cornelius herzlich willkommen und servierte ihm zur Begrüßung einen aromatischen Enzianschnaps.
»Ich muß noch Auto fahren«, sagte Dr. Cornelius lächelnd.
»Bis Sie drunten sind, hat er sich schon verflüchtigt«, sagte Robert Woldan, der von seiner Frau Bob genannt wurde.
Dr. Cornelius erinnerte sich gar nicht gern daran, daß seine Anwesenheit einen triftigen Grund hatte. Er überlegte angestrengt, wie diese beiden Menschen eine Einmischung in sehr persönliche Dinge verstehen würden, nachdem ihm nun auch der Mann versichert hatte, wie sehr sie sich freuten, seine Bekanntschaft zu machen.
Die beiden Buben wurden auch schon zutraulicher. Sie wichen nicht vom Tisch, und in ihre Ohren hinein wollte Dr. Cornelius nicht sagen, was er auf dem Herzen hatte.
»Schön haben Sie es hier«, sagte er, »wunderschön.«
»Was für Sie die Insel ist, ist für uns die Alm, nicht wahr, Mildred?« meinte Bob Woldan.
Mildred hieß sie also, Milli hatte sie sich selbst genannt.
»Ich hoffe sehr, daß Sie uns auch einmal besuchen«, sagte Dr. Cornelius.
»Es ist schon viel Betrieb drunten, haben wir gehört«, sagte Bob.
»Geruhsamer Betrieb. Wir haben eine ganze Anzahl Patienten, aber sie verlaufen sich auf der Insel. Es ist nicht wie in einem Hotel. Sie werden manchmal auch viele