So erlebten wir den Ersten Weltkrieg. Martina Winkelhofer

So erlebten wir den Ersten Weltkrieg - Martina Winkelhofer


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steckten sich »Tauglichkeits-Sträußerl« an den Hut – das Zeichen, dass sie bei der Musterung als tauglich in die k. u. k. Armee aufgenommen worden waren – und ließen sich feiern.

      Viele freuten sich auf den bevorstehenden Waffengang – die Einberufungshysterie war ansteckend. Zum Nachdenken blieb nicht viel Zeit: »Die nächsten 24 Stunden vergingen wie in einem Wirbel unklarer, banger Empfindungen, eiligster Vorbereitungen und Ausrüstungen.«9

      An den großen Bahnhöfen wurden die Helden vor der Abfahrt »ins Feld« verabschiedet. Menschenmassen drängten sich vor und in den Bahnhöfen. Laufend wurden weitere Soldatenmassen verschickt. Den Aufmarsch der riesigen Armee machten die Reichsbahnen möglich – ab August 1914 rollten täglich allein 700 Waggons in Richtung russische Front.

      Offiziere mussten für ihre Uniformen und Ausrüstungsgegenstände selbst sorgen. In Wien »herrschte in den Militärrüstungsgeschäften eine ungeheure Tätigkeit, ein fabelhafter Andrang«10 – die Geschäfte und ihre Zulieferbetriebe machten in den ersten beiden Kriegsjahren das Geschäft ihres Lebens. Anders war es bei den Reservisten: Die meisten Soldaten wurden von ihren Zivilberufen wegrekrutiert, nicht für alle gab es adäquate Uniformteile: »Später wurden wir mit allen Uniformteilen beteilt, meine Zivilkleider nähte ich in einen Sack ein, den ich mit meinem Koffer niemals mehr gesehen habe.«11

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       Abschied von Heim und Hof. Auf dem Land war die Kriegseuphorie weit weniger ausgeprägt als in den Städten

      Nach dem Jubel traten die meisten in den nüchternen und in vielen Fällen auch ernüchternden Alltag ein: Viele Soldaten berichteten von schlechten oder falschen Auskünften der Dienststellen. Erst nach einigem Herumfragen und Entziffern ihrer Einberufungsbefehle fanden sie endlich ihre Kompanie. Die meisten Kasernen waren völlig überbelegt, viele Rekruten mussten im Freien schlafen. »Da in der ganzen Kaserne kein Platz war, mussten wir die erste Nacht in einem Garten verbringen.«12

      Jene Männer, die schon einmal eine Grundausbildung durchlaufen hatten, wurden sofort an ihre Einsatzorte geschickt – alle »Neulinge«, die die Kriegserklärung unvorbereitet in die Armee gerufen hatte (schließlich wurden in Friedenszeiten nicht alle Männer eines Jahrganges zum Militärdienst einberufen), erhielten eine mehrwöchige Grundausbildung. Für viele verlief diese Zeit – abgesehen vom Heimweh – recht erträglich, die meisten berichteten in ihren Briefen von der reichlichen und guten »Menage«, wie das Essen in der Armee bezeichnet wurde. Während der militärischen Grundausbildung wurden die Soldaten auch auf Propagandaphrasen eingeschworen: »Und da hat uns unser Leutnant einen Vortrag über die patriotischen Pflichten im Krieg gehalten, und meinte, wenn alle dem Kaiser ›untreu‹ werden, so werde er allein treu bleiben usw. Er ist dann später in den Karpaten von einem Schrapnellstück als Erster getroffen worden und gefallen!«14

       »… betet für mich und den Bruder, dass wir gesund in die Heimat zurückkommen, dann könnt ihr stolz sein; und kommen wir nicht mehr, dann wird’s der schönste Tod sein, den’s auf Erden gibt.«13

       Soldat Engelbert Fischer in einem Brief

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       Kasernenalltag – alles fein säuberlich und nett. Die Wirklichkeit sah anders aus

      Doch einige Soldaten erlebten bereits jetzt Demütigungen und Misshandlungen durch Vorgesetzte, und einigen wurden der Drill und vor allem der scharfe Ton der Ausbildner psychisch zu viel. Ein Soldat in einem Brief über seine Ausbildung auf der Schmelz: »Bei uns hat sich einer vom dritten Stock gestürzt und war sofort tot!«15

      Nach der Grundausbildung wurden die Soldaten an die Front geschickt, viele aber auch erst nur in die Etappe zu den rückwärtigen Diensten.

      Fatale Fehleinschätzung

      Abseits des massiven Säbelrasselns und der steten Drohung von Präventivkriegen der Vorkriegsjahre: Auf einen lang andauernden Krieg war keine Nation vorbereitet, weder militärisch noch politisch. Eine neue Art der Kriegsführung bahnte sich an. Bis 1914 war die gesamte Kriegsführung auf »Entscheidungsschlachten« hin ausgerichtet gewesen. Rasche Aufmärsche und überraschende Angriffe galten bis dahin als entscheidend. Innerhalb weniger Stunden wurde über Sieg oder Niederlage entschieden – dementsprechend wurden die Armeen ausgerüstet und ausgebildet. Auch alle Pläne zur Heeresversorgung gingen von einem kurzen Krieg aus – dass die Soldaten spätestens zu Weihnachten wieder zuhause sein würden, schien den meisten Staaten selbstverständlich.

      Doch es kam alles ganz anders: Bereits zu Beginn des Krieges trat eine militärische Pattsituation ein – konnte man vorher in Kriegen vorstürmen, zurück- oder ausweichen, so grub man sich jetzt ein, es gab kaum ein Vorwärts. Mit Schützengräben, die einen Stellungskrieg erzwangen, und starren Fronten, die den Krieg in die Länge zogen, hatte niemand gerechnet. Der Erste Weltkrieg wurde zu einem Massen- und Abnutzungskrieg. Nur Großbritannien und später die USA hatten auf lange Sicht geplant.

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       Propagandakarte mit Scheinwerfer: Die modernen Waffen wurden vor dem Krieg stolz präsentiert

      Der größte Unterschied zu allen vorherigen Kriegen: Nun war es immer mehr die Feuerkraft der Maschinengewehre und Kanonen und nicht die Tapferkeit der Soldaten, die den Krieg entschied. Nur der ununterbrochene Nachschub an Rüstungsgütern und Soldaten ermöglichte es den Heeren, ihre Stellung zu halten. Kein noch so brillanter militärischer Schachzug konnte das Verbrennen an Menschenmaterial und Munition beeinflussen. Die Vernichtungskapazität erreichte eine Dimension, die vorher unvorstellbar schien. So grausam es klingen mag, am Ende zählte nur eines: Wer hatte den größeren Nachschub an Waffen und Menschen? Was nun zählte, waren die Leistungsfähigkeit der Industrie und das wirtschaftliche Durchhaltevermögen der kriegsteilnehmenden Staaten.

      Keine der Vorkriegsannahmen auf beiden Seiten der Fronten traf ein – alle Modelle erwiesen sich als falsch. Über Jahre hatten die Generalstäbe die immer gleichen Pläne gewälzt, nun kam alles ganz anders: Deutschland konnte Frankreich nicht im ersten Anlauf einnehmen. Russland konnte wider Erwarten die von den Gegnern befürchtete Stärke voll ausspielen. Außerdem gab es sowohl bei den Mittelmächten als auch bei der Entente weder ein gemeinsames Oberkommando noch einen einheitlichen Kriegsplan.

      Österreich-Ungarn hatte noch ein zusätzliches Problem: Die Monarchie verfügte über zu wenig ausgebildete Soldaten. Zwischen 1889 und 1912 hatte (trotz jahrelanger heftiger politischer Agitationen während der Vorkriegszeit) keine Erhöhung des Rekrutenkontingents stattgefunden. Ausgehoben wurden auch jeweils nur geringe Teile der Jahrgänge (meist weniger als 50 Prozent) – es hatten schlicht die finanziellen Mittel für mehr Soldaten gefehlt. Zum Vergleich: Österreich-Ungarns Kriegsgegner Frankreich stellte bei einer geringeren Bevölkerung mehr Divisionen.

      Infolge zu geringer Geldmittel in früheren Jahren hatte die k. u. k. Armee auch keine ausreichende Reserve an Waffen und Munition. Maßnahmen hinsichtlich Produktion und Bereitstellung von Waffen, Gerät, Munition waren ebenfalls nur für eine kurze Kriegsdauer getroffen worden. Es wurde extrem kurzsichtig agiert: Mannschaften und Pferde wurden zu Kriegsbeginn ohne Rücksicht in Schlachten geworfen und verheizt. Auch mit den Lebensmitteln und sonstigen Vorräten glaubte man nicht sparen zu müssen. Das sollte sich später bitter rächen.

      Wer bezahlt den Krieg?

      Jeder Krieg kostet enorm viel Geld. Die ungeheuren Summen, die ein Krieg verschlingt, können auf drei Arten aufgebracht werden: durch Anleihen, Steuern oder mit Hilfe der Notenpresse, sprich: durch Inflation. Österreich-Ungarn finanzierte den Krieg zu drei Fünfteln aus Kriegsanleihen, das heißt, der Staat borgte sich das Geld für die Kriegsführung von


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