So erlebten wir den Ersten Weltkrieg. Martina Winkelhofer

So erlebten wir den Ersten Weltkrieg - Martina Winkelhofer


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k. Armee ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. Die Vorwürfe lauteten meist »Spionage«, »Russophilie«, »Kollaboration mit dem Feind« – meist reichte es aber, als »verdächtig« eingestuft zu werden. Das Denunzianten-Unwesen blühte, und auf beiden Seiten herrschte Spionagehysterie.

       Ein Soldat über ein Erlebnis in Galizien: »Als wir über Stock und Stein, über Wiesen und Felder marschierten, sahen wir unsere Infanterie vorbeiziehen. Und es ging auch ein kleiner Junge, zirka 16 Jahre alt, und hat uns noch angelacht. Wir kamen dann auf die Straße, und wie wir die ersten Häuser sahen, sahen wir auch, dass der junge Bursche schon auf dem ersten Baum aufgehängt war. Er sollte angeblich die Russen von Lemberg bis hierher geführt haben. Zwei Tage waren wir in der eroberten Ortschaft und sahen noch einen Zivilisten erschossen auf einem Strohhaufen liegen. Sein rechter Arm war bloß, und die Tätowierung verriet, dass er ein Angehöriger eines galizischen Regiments war. … Ich sah so manchen Juden auf einem Baum hängen, und die Angst vor den Spionen war so groß.«16

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       Während des Krieges kam es zu Übergriffen gegen die Bevölkerung

       Die Westfront

      Die Westfront war der Hauptkriegsschauplatz des deutschen Bündnispartners. Aus deutscher Sicht war von Anfang an klar, wer in einem kommenden Krieg der zentrale Gegner des wilhelminischen Kaiserreiches sein würde: Frankreich, der Erzfeind im Westen. Für den kommenden Zweifrontenkrieg – schließlich galt es noch, Russland im Osten zu besiegen – glaubte die deutsche Heeresleitung einen Trumpf in der Hand zu haben: den berühmten »Schlieffen-Plan«.

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       Eine deutsche Propagandakarte beschwört den Opferwillen der Soldaten

      Dieser nach dem Generalstabschef Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen entwickelte, streng geheime Aufmarschplan sah vor, dass Deutschland in einer Blitzaktion das neutrale Belgien überrennen würde, um damit die starken französischen Festungsanlagen an der deutsch-französischen Grenze zu umgehen. Der französische Feind würde umklammert und in einer raschen Entscheidungsschlacht niedergerungen werden. Nach dem schnellen Sieg über Frankreich würde die deutsche Armee zum österreichischen Bündnispartner an der Ostfront stoßen. Russland, so hatten die deutschen Experten errechnet, würde 40 Tage für seine Mobilisierung brauchen, so lange könnte die k. u. k. Armee alleine an der Ostfront zurechtkommen. Und mit vereinten Kräften würden Deutschland und Österreich dann schließlich auch noch Russland niederringen.

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       Bildpostkarte: Schwere Straßenkämpfe in der belgischen Stadt Löwen

      Der »Schlieffen-Plan« war jahrzehntelang das Dogma des deutschen Generalstabes gewesen. Den Praxistest bestand er nun aber nicht. Auch im Osten ging die deutsche Strategie nicht auf. Russland konnte seine Armee wesentlich schneller als in den berechneten 40 Tagen mobilisieren und setzte die k. u. k. Armee unter Generalstabschef Feldmarschall Conrad von Hötzendorf gleich zu Beginn der Kämpfe unter massiven Druck. Bald musste Hötzendorf starke deutsche Unterstützung im Osten anfordern. Im Ergebnis löste der »Schlieffen-Plan« – die so viel beschworene Garantie der Deutschen auf einen raschen Sieg – eine verhängnisvolle Spirale aus. Er setzte die deutsche Politik unter den massiven Druck des Militärs, schnell und früh loszuschlagen, um den engen Zeitplan einhalten zu können.

      Der Aufmarsch der gegnerischen Armeen an der Westfront war gewaltig. Über rund 750 Kilometer Länge verlief die Front vom Ärmelkanal im Norden bis an die Schweizer Grenze im Süden. Belgien wurde fast vollständig von den deutschen Armeen überrannt, wobei es – aus Angst vor Übergriffen belgischer Freischärler – zu Übergriffen gegen die Bevölkerung kam. Diese Ereignisse prägten in der Berichterstattung der Alliierten das Bild von den deutschen Soldaten als unmenschliche »Hunnen«, die mordend und plündernd über Europa herfielen.

      Aus militärischer Sicht entsprach die Anfangsphase vom August und September 1914 noch am ehesten jenem Bild des Krieges, das sich vor allem die deutschen Strategen gemacht hatten: ein offensiver Bewegungskrieg mit raschen Gebietsgewinnen und begeistert nach vorne stürmenden Infanteristen in schneidigen Uniformen. Aber rasch stellte sich heraus, dass dieser Krieg mit anderen Mitteln geführt werden würde. Maschinengewehre und Artilleriebeschuss mit Splittergeschossen führten zu enormen Verlusten und erzwangen eine neue Taktik. Ein weiteres Problem: Eine zentrale Koordinierung der Kämpfe über die extreme Länge der Front war für das deutsche Oberkommando unmöglich. Selbst die Ausrüstung und Uniformen der Soldaten, die prächtigen roten Hosen der Franzosen oder die charakteristischen Pickelhauben der Deutschen, erwiesen sich für den modernen Krieg als völlig untauglich und wurden rasch durch Tarnanzüge und später Stahlhelme ersetzt.

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       Von den Einsätzen an der Westfront kursierten unzählige Propagandakarten

       Das »Wunder an der Marne«

       Anfang September 1914 kam es am Fluss Marne zu einer ersten Entscheidungsschlacht im Westen. Die deutschen Truppen waren 20 Kilometer vor Paris – deutsche Patrouillen konnten bereits den Eiffelturm sehen. Die Soldaten waren aber durch den anstrengenden, verlustreichen Vormarsch bereits geschwächt und durch ihre langen Nachschublinien und fehlende Eisenbahnen im Nachteil. Aus Paris wurden Soldaten sogar mit Taxis an die Front gebracht.

       Durch ganz Frankreich tobten die Kämpfe vier Tage lang hin und her. Zwischen der 1. und der 2. deutschen Armee entstand eine Lücke, in die englische Expeditionskorps vorstoßen konnten. Der Überraschungsangriff gelang. Daraufhin verloren die Deutschen die Nerven und zogen sich – wie sich später herausstellte, wohl vorschnell – zurück. Das »Wunder an der Marne« war für die Franzosen ein gigantischer Propagandaerfolg.

      Durch das »Wunder an der Marne« gelang es Franzosen und Engländern, den Frontverlauf zu stabilisieren. Der deutsche Vormarsch kam zum Stehen. Aber auch die Versuche der Engländer und Franzosen, die deutschen Armeen in einem »Wettlauf zum Meer« von Reims bis zur Kanalküste zu umfassen, scheiterten. Der für den Ersten Weltkrieg so typische Stellungskrieg begann. Von nun an sollte sich bis zum Ende des Krieges am Frontverlauf im Westen nur mehr wenig ändern.

      Was folgte, war ein mörderisches Ringen um jeden Meter Boden – der berühmte Stellungskrieg begann. Ziel beider Seiten war es, ohne neue strategische Überlegungen die Linien des Feindes an möglichst breiter Front zu durchbrechen. Die Artillerie gewann enorm an Bedeutung – immer mehr Geschütze mit immer größeren Kalibern und Reichweiten wurden eingesetzt. Zum Schutz davor baute man die Stellungssysteme immer tiefer und besser aus, errichtete kilometerlange Laufgräben, Unterstände und Stacheldrahtverhaue. Mit Handgranaten, Minenwerfern und Flammenwerfern, aber auch Feldspaten, Hacken und Knüppeln versuchte die Infanterie nach oft tagelangem Artilleriebeschuss die feindlichen Grabensysteme zu erobern.

      Während der Kämpfe um Verdun starteten die Alliierten im Juni 1916 unter britischer Führung eine Gegenoffensive am Fluss Somme, die bis in den November dauern sollte. Doch auch ihnen gelang es nicht, die Linien des Feindes zu durchbrechen, auch hier lautete die Devise schließlich Zermürbungskrieg. Während der Kämpfe an der Somme errichteten die deutschen Truppen hinter der Front eine ganze Reihe stark ausgebauter Verteidigungsstellungen – die »Siegfried-Linie«. Hierhin zogen sie sich im Februar 1917 zurück und überließen den Alliierten kampflos ein verwüstetes Land, in dem es kein Leben mehr gab. Auch in den folgenden Angriffen konnten die Alliierten die deutsche Verteidigung nicht aufbrechen. Bis 1918 gruben sich die Soldaten immer tiefer in ihre Schützengräben ein. Mit jedem Kriegsjahr wurden die Schützengräben stärker ausgebaut. Es entstand ein Grabensystem, das einer Stadt glich; Logistik und Versorgungssystem innerhalb der Gräben wurden


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