Ich bin ein Zebra. Erwin Javor
Zeiten, hat übrigens Irving Berlin geschrieben, der eigentlich Israel Isidore Beilin hieß.
Also gut, ich gebe auf. Es gibt kein drittes Thema.
Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an meine verstorbenen Eltern und ganz besonders an meinen Vater, weil ich dank ihm noch Zeuge der Reste einer heute verlorenen Welt bin. Ich möchte die Erinnerung an die untergegangene Welt der Ostjuden, die ich noch in mir trage, am Leben erhalten. Sie setzt sich in meinem Leben auf meine Weise und im Leben meiner Kinder auf ihre Weise fort.
Was gibt es hier zu lesen? Jüdische Witze? Ja, auch, aber nicht nur. Der jüdische Witz gilt als etwas Besonderes. Die Bibliotheken sind voll mit Erklärungen, warum das so ist. Sogar Sigmund Freud hat über den »Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« geschrieben. Der hohe Anteil an Juden unter Komikern ist vermutlich auch kein Zufall.
Für mich sind die essenziellen Elemente, die den jüdischen Witz zu dem machen, was er ist, zunächst einmal seine Kraft als Vehikel des Widerstands gegen Antisemitismus und Verfolgung, aber auch gegen alle anderen widrigen Umstände des Lebens. Gegen übermächtige Gegner und Umstände lässt es sich nur gewitzt kämpfen – das wissen wir schon seit David und Goliath. Typische Facetten dieses Humors sind Selbstironie, aber auch Selbstzweifel, Selbstkritik und kreative Lösungen.
Hier gibt es aber nicht nur Witze zu lesen, sondern auch wahre, vor allem persönliche Geschichten über deren Nährboden. Jüdische Geschichte ist der Hintergrund des jüdischen Witzes, der ohne sie nicht so entstanden und geworden wäre. Deshalb entwickelt er sich auch immer weiter. Dieselben Geschichten, die mir mein Vater erzählt hat, gibt es in Varianten meiner Generation und in wieder neuen Varianten der Generation meiner Kinder und in europäischen, amerikanischen oder israelischen Abwandlungen. Es besteht wenig Gefahr, dass der jüdische Witz aussterben wird. Erst wenn die jüdische Erzähltradition humorlos wird, geht es den Juden vielleicht endgültig und überall gut, dann erst wird der jüdische Witz aussterben. Damit könnte ich gut leben.
Wer soll dieses Buch lesen? Ich stelle mir ganz unterschiedliche Leser vor, die Freude daran haben könnten: Nicht-Juden, die sich für die jüdische Kultur interessieren und wenig Gelegenheit haben, Juden kennenzulernen. Ich gehe auch davon aus, dass Juden sich für dieses Buch interessieren, obwohl ich schon ein mulmiges Gefühl habe, wenn ich an ihre Reaktion denke. Zuerst werden sie behaupten, sie kennen viel bessere Witze, Anekdoten und Typen. Ich höre sie schon: »Den hättest du schreiben sollen!« Dann werden sie mir erklären, was ich alles falsch erzählt habe. Aber was soll’s? Juden sind sowieso schwer zu unterhalten:
Im Übrigen ist es das beste Buch, das ich je geschrieben habe, aber Yehudi Menuhin bin ich keiner.
Oj! Vom Schtetl nach Budapest
Das Schtetl ist, mit Sehnsucht verklärt, im kollektiven jüdischen Gedächtnis immer noch präsent. Auch und besonders jene, die es verdrängen wollen, als Ballast empfinden und über lange Strecken hinweg vergessen, tragen es weiter in sich. Mein Vater konnte mir noch davon erzählen. Durch die Sprache, Jiddisch, durch seine Geschichte und seine Geschichten, durch die Art, wie diese mich geprägt haben, ist und bleibt ein Teil von mir dort verhaftet. Wie bei den Generationen vor mir werden diese alten Geschichten durch mein eigenes Leben gefiltert und entstehen so immer wieder neu.
Also, reden wir einmal kurz über die Juden.
Die versunkene Welt des Schtetl war eine harte, erbarmungslose Lebenswelt. Aber gerade daraus entstand, was heute zahllose Wälzer über den jüdischen Humor füllt. Wieso ist gerade der so lustig? Weil hinter jeder guten Pointe wie bei jeder guten Komödie eine Tragödie steht.
Ein Blick zurück, und ich bin in Tarnopol und Jablonica. Ich bin 1947 in Budapest zur Welt gekommen und habe das Schtetl nicht mehr selbst erlebt. Auch meine Mutter ist bereits in der Großstadt, in Budapest, geboren. Aber ich fühle das Leben im Schtetl, sehe es vor mir, höre die Geräusche und Stimmen, die Muttersprache, die Mameloschn, rieche den Scholet, den schweren Bohneneintopf, schmecke die trockenen Mazzes, spüre die bittere Not, die Starre der Angst ums nackte Leben und die Kälte der Mörder, die immer nah waren. Ich spüre aber auch den Zusammenhalt, den Überlebenskampf, das Gottvertrauen, den Bildungshunger und die Hoffnung auf ein besseres Leben für die Kinder. Immer.
Markus Mordechai Engelstein, wurde als Sohn von Dvora und Eli Engelstein, Forstwirt und Holzhändler, am 23. Juni 1911 in Jablonica in Ostgalizien geboren – sofern das überhaupt stimmt. Es war im Schtetl nämlich vorausschauend üblich, genau zu überlegen und zu diskutieren, wann Geburten eines Sohnes den lokalen Behörden gemeldet werden sollten, um dem Buben eine Zukunft beim Militär und somit den drohenden Verlust der jüdischen Identität und Traditionen zu ersparen:
Als Eli Engelstein in der niederösterreichischen Kaserne Wöllersdorf zum k. u. k. Soldaten in kaiserlichen Diensten ausgebildet wurde, war Ostgalizien noch Teil Österreich-Ungarns und gehörte später zu Polen. Sein Sohn Markus wurde allen elterlichen Bemühungen zum Trotz als polnischer Ulan einberufen. Man hatte ihn wie alle anderen Burschen im Schtetl vor der Musterung angehalten, sich zu »plagen«, also nichts zu essen und einige Nächte lang nicht zu schlafen, um möglichst überzeugend krank zu erscheinen und dem Militärdienst entgehen zu können. Aber das gelang nicht. Markus Engelstein war tauglich, und es gefiel ihm sogar beim Militär. Die Pferde, der Kraftsport beim Drill, eine eher untypische Alltagsbeschäftigung für einen jungen, unverheirateten Juden, einen Bocher, fingen an, ihm Freude zu machen. Zur Überraschung des ganzen Schtetls verlängerte er sogar freiwillig seinen Dienst um ein weiteres Jahr. Markus war nicht nur der Größte und Kräftigste in der Familie, sondern auch im Vergleich zur nicht-jüdischen Dorfbevölkerung eine stattliche Erscheinung. Also hieß er »der Lange«.
Sein Bruder Pinkas war das schwarze Schaf der Familie. Er wollte aus der Starre der religiösen Traditionen ausbrechen, ging mit nicht-jüdischen Mädchen aus, feierte öfter, als er betete, und war selbstbewusst genug, um vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit gefälschten christlichen Papieren zur polnischen Armee zu gehen und einen Nicht-Juden zu spielen.
Der dritte Bruder, Max, war in seiner Jugend ein talentierter Fußballer und stand im Tor einer Regionalmannschaft. Er war der Begabteste der Familie, schrieb Gedichte und war hochmusikalisch. Zunächst ging er nach Wien, um Medizin zu studieren, wurde später aber ein beliebter Kantor in Warschau.
Karol, der jüngste der Engelstein-Brüder, sollte mit seinem Bruder Markus noch mehr gemeinsam haben, als sie sich in ihren schlimmsten Albträumen ausdenken hätten können.
Bis zu Hitlers Machtübernahme führte die Familie Engelstein ein fast normales jüdisches Leben. Markus, seine drei Schwestern und drei Brüder gingen Seite an Seite mit den Kindern polnischer und huzulisch-ukrainischer Nachbarn in die Dorfschule, die Buben gleichzeitig in die religiöse Schule, den Cheder, und danach kam das Militär für die Buben und der Heiratsvermittler, der Schadchen, für die Mädchen.
Zwei der Töchter wurden schon in den 1920er-Jahren nach Amerika geschickt, um ihre Chancen zu verbessern, eine gute Partie zu machen und ein besseres Leben zu finden. Die dritte Tochter wurde von den Nazis ermordet.