Ich bin ein Zebra. Erwin Javor

Ich bin ein Zebra - Erwin Javor


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ist sie schwanger. Das ganze Schtetl spricht darüber. »Was meinst du? Ist das sein Kind?« Die Theorien zu dieser Frage überschlagen sich an Vielfalt. Rabbi Rosenberg bringt es schließlich auf den Punkt: »Wenn es von ihm ist, dann ist es ein Wunder! Und wenn es nicht von ihm ist – ist es ein Wunder?«

      Die zweite Möglichkeit, Jude zu sein, ist schon aufwendiger. Konvertieren ist zwar möglich, aber ein mit Hürden gepflasterter Weg. Das Judentum ist keine missionierende Religion, das ist sogar verboten. Ergo bringen wir auch niemanden um, der nicht an unseren Gott glaubt. Das hat nichts damit zu tun, dass Juden arrogant darauf beharren, das auserwählte Volk zu sein, und es möglichst elitär halten wollten, sondern damit, dass jedem Interessenten die volle Tragweite eines Übertritts ins Judentum bewusst sein sollte. Rabbiner lassen daher Konvertiten mindestens dreimal und manche sogar bis zu siebenmal vergeblich den Antrag zur Aufnahme ins Judentum stellen, bevor sie überhaupt in Betracht ziehen, ihn ernst zu nehmen.

      Ich würde im Übrigen jedem davon abraten, zum Judentum überzutreten, weil es ist schwer, zu sein a Jid. Es ist schon alleine deshalb nicht zu empfehlen, sich darum zu reißen, weil Nicht-Juden es leichter haben, ins Paradies zu kommen – falls sie dran glauben. Ein Nicht-Jude muss nämlich laut der Halacha wesentlich weniger Regeln und Gesetze einhalten.

      Wird man als Jude geboren, gehen die Spielregeln im Lebenszyklus so:

      Etwas mulmig wird vor allem männlichen Konvertiten unter Umständen beim Gedanken an den Brauch der Beschneidung im Judentum. Im religiösen Verständnis besiegelt die Beschneidung den Bund mit Gott und gilt als zentral in der Identität eines jüdischen Mannes. Ein wahrlich einschneidender Brauch. Normalerweise wird das am achten Lebenstag eines neu geborenen jüdischen Buben gemacht. In dem Alter weiß man noch nicht, wie einem geschieht, und es ist erledigt, bevor man sich fürchten kann.

      Den einschlägigen Profi, der diese heikle Operation durchführen darf, nennt man Mohel, der aus gutem Grunde eine gründliche Ausbildung durchläuft, bevor man ihn an das beste Stück eines neu geborenen Sohnes heranlässt. Ist er einmal so weit, genießt der Mohel auch höchsten Respekt.

      imageEin Jude reist in eine andere Stadt und besucht dort das jüdische Viertel. Er geht an der Synagoge vorbei, beim jüdischen Bäcker, beim koscheren Metzger, zwei koscheren Restaurants und stutzt plötzlich vor einer Auslage, in der eine Kuckucksuhr hängt. Etwas irritiert fühlt er sich aus der bislang so heimelig jüdischen Stimmung herausgerissen und fragt den Besitzer des Geschäftes: »Sind Sie Uhrmacher?« – »Nein, ich bin ein Mohel.« Der Reisende ist verblüfft. »Warum hängen Sie dann eine Kuckucksuhr in Ihr Schaufenster?« Der Mohel verdreht ungeduldig die Augen: »Was soll ich denn sonst heraushängen?!«

      Was die Firmung bei Katholiken ist, ist die Bar Mitzwa für junge Juden, wenn sie dreizehn werden. In moderneren Zeiten wurde dann auch das Äquivalent für zwölfjährige Mädchen üblich, die Bat Mitzwa. Aber schon seit vielen Jahrhunderten vergisst ein jüdischer Mann seine Bar Mitzwa nicht, selbst wenn er, wie es sich gehört, 120 Jahre alt wird. Er muss sich ein ganzes Jahr lang darauf vorbereiten, einen ziemlich langen hebräischen Text lernen und ihn dann vor der ganzen Gemeinde nach einer uralten Melodie vortragen. Jede Note entspricht einem Wort, dadurch entsteht die Melodie. Welcher Abschnitt der Torah das sein wird, entscheidet sich durch das Geburtsdatum.

      Nach dem nervenzerfetzenden Auftritt in der Synagoge, den ein junger Jude auf dem Weg ins Erwachsenenalter zu absolvieren hat, folgt am Abend ein rauschendes Fest. Dort muss das Jingele allerdings noch einmal auftreten und – frei sprechend – eine Rede halten. Die hat natürlich auch möglichst komplexe religiöse Elemente zu thematisieren. Je weniger man sich als Zuhörer dabei auskennt, desto größer fällt der Applaus für den nun erwachsenen Juden aus.

      Auch für die Eltern ist eine Bar oder Bat Mitzwa inzwischen zu einer Herausforderung geworden, bei der es um nichts Geringeres als das Prestige der ganzen Familie geht. Jede Bar oder Bat Mitzwa übertrifft die vorhergehende an Aufwand. Man will sich ja nichts nachsagen lassen und vor der ganzen Gemeinde auf unvergessliche Weise glänzen:

      imageTrifft der Grün den Blau. »Warst du nicht auf der Bar Mitzwa von dem jungen Levy? Ich hab’ gehört, die Location für die Feier war wirklich etwas ganz Besonderes, angeblich am Mond!« – »Ja, stimmt.« – »Und?« – »Was soll ich sagen. Das Essen war hervorragend. Koscheres Essen vom Ritz in Paris, eine Musikkapelle, zwanzig Mann hoch. Die besten Künstler sind aufgetreten. Alles, was Rang und Namen hat, war da.« – »Aha. Und wie war die Stimmung?« – »Was soll ich dir sagen? Keine Atmosphäre.«

      Und das ist von der Wirklichkeit der konkurrierenden Eltern nicht allzu weit entfernt, auch wenn sich nicht alle so aufführen:

      Als der Sohn eines Bekannten, eines besonders reichen Juden, langsam auf seine Bar Mitzwa zusteuerte, fragte ich ihn provokant, aber durchaus ehrlich interessiert: »Auf der Bar Mitzwa von deinem David lastet ja ein besonderer Druck. Du musst ja etwas Besonderes, am besten etwas noch nie Dagewesenes machen. Wie wirst du das anstellen?« Er zuckte entspannt mit den Schultern: »Darüber habe ich schon nachgedacht. Ich werde eine Trompete mehr engagieren.«

      Ich selbst hatte meine Bar Mitzwa 1960 und wurde wie alle anderen auch ein ganzes Jahr lang darauf vorbereitet. Meine Familie hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht viel Geld. Die Feier fand in einem koscheren Restaurant statt, ohne Musik und sonstigen Pomp, und die Geschenke waren hauptsächlich religiöse Bücher, die mich schon damals nicht wirklich interessiert haben. Deshalb erinnere ich mich bis heute nur an das eine Geschenk, das mir diesen Anlass wirklich unvergesslich und mich nebenbei auch noch in der Schule zum Star machte: richtige Fußballschuhe!

      Im passenden Alter wurde man zu Schtetl-Zeiten für den Schadchen, den Heiratsvermittler, interessant. Der Schadchen war ein wichtiger Mann, um dessen Mühen und Wirken sich schon viele Geschichten rankten, lange bevor die Zunft zu den Musicals »Anatevka« und »Hello, Dolly« oder zu Internetplattformen mutierte. So wichtig war er, dass Schadchen auch ein besonders begehrter Beruf war. Junge Anwärter rissen sich geradezu darum, als Lehrling bei einem bekannten Schadchen aufgenommen zu werden:

      imageBenjumin wollte unbedingt Schadchen werden. Davon hatte er schon immer geträumt. Kaum war er alt genug, bekniete er den alteingesessenen Schadchen Jakov Schmiel, ihn als Lehrling zu nehmen. Der freute sich und brachte ihm die ersten Grundzüge des Kupplerhandwerks bei. »Also, mein Sohn, merk dir: Du musst loben, loben, loben. Und lügen, lügen, lügen. Wir gehen jetzt zu den Eltern vom Moische und reden ihm die Rebecca aus Krakau ein. Wann immer ich etwas über sie sage, wirst du noch einen draufsetzen. Das ist deine heutige Übung.«

      Die beiden zogen los zu Moisches Eltern. »Oj, hab’ ich ein Mädl für deinen Moische«, begann Jakov die Verhandlungen. »So was von einem anständigen Mädl …« Benjumin fiel ihm eifrig ins Wort und steigerte das Lob, wie ihm geheißen wurde: »Was heißt ›anständig‹?! A Bsile, eine Jungfrau, ist sie, fromm und bescheiden. Und schweigsam!« Jakov ließ seinem Lehrling einen zufriedenen Seitenblick zukommen.

      Die Eltern des potenziellen Bräutigams warfen gleich eine kritische Frage ein: »Wie schaut sie denn aus?« Jakov fuhr fort: »Was soll ich dir sagen? Schön ist sie, so eine Schönheit hast du noch nicht gesehen!« Benjumin beobachtete seinen Lehrmeister aufmerksam und setzte umgehend fort: »Was heißt ›schön‹?! Schöner als Ester Malke, die Königin aus der Purim-Geschichte!« Jakov lächelte noch ein bisschen mehr. Mit diesem Lehrling hatte er einen guten Griff getan, der hatte wirklich schnell verstanden, worum es in dem Geschäft ging.

      Als Nächstes kam eine etwas heiklere Frage von dem potenziellen Schwiegervater: »Und aus was für einer Familie kommt sie?« Jakov schüttelte den Kopf: »Da musst du dir wirklich keine Sorgen machen. Die Familie stammt aus einem Rabbinergeschlecht und


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