Ich bin ein Zebra. Erwin Javor

Ich bin ein Zebra - Erwin Javor


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recht gewesen wäre, er lebte viel zu lange zu Hause, und die Mamme war fest davon überzeugt, dass ihr Sohn Gott sei.

      Auftritt: Der Tatte!

      Im Vergleich zur prototypischen Mamme verblasst der Tatte, der jüdische Vater, zum Nebendarsteller. In wichtigen Dingen sind die Mamme und der Tatte aber oft überraschend im Widerstand vereint:

      imageSchmuel ging zum Rabbiner und fragte ihn um Rat. »Reb Schloime, was soll ich tun? Wie komme ich zu einer Frau, die mir die Mamme nicht ablehnt?« – »Hm. Hmm!!« Reb Schloime war sich der Herausforderung bewusst. Nach langer, reiflicher Überlegung blitzte es schließlich in seinen Augen auf, er hatte die Lösung: »Such dir ein Mädchen, das deiner Mutter ähnlich ist, gegen so eine kann sie nichts sagen.«

      Schmuel gefiel der Gedanke, und er machte sich auf die Suche. Reb Schloime war gespannt. Wochen und Wochen hörte er kein Wort mehr von Schmuel, also bestellte er ihn schließlich zu sich: »Nu? Was is?!«

      Schmuel seufzte tief. Sehr tief. Und erzählte. »Ich habe genau das gemacht, was der Rebbe geraten hat. Ich habe mir eine Frau gesucht, die fast genauso wie meine Mutter aussieht. Die redet wie sie. Die sich anzieht wie sie. Die sich bewegt wie sie. Die sogar kocht wie sie. Die mich herumkommandiert wie sie!« – »Nu? Nu? Was ist geschehen? Hat sie der Mamme denn nicht gefallen?!« – »Oh, doch«, seufzte Schmuel, »aber der Tatte mag sie nicht.«

      Es gibt, was die Schwiegertochterwahl angeht, weitere Komplikationen, vor allem dann, wenn es um nicht-jüdische Frauen, also um Schicksen, geht:

      imageAbrahams Eltern machten sich Sorgen. Er wollte und wollte nicht heiraten. Sie drängten ihn wieder und wieder, doch endlich zur Vernunft zu kommen. Sie schämten sich schon vor all ihren Freunden, deren Söhne da schon weit voraus waren und sogar schon die ersten Enkel geliefert hatten. Sollte ausgerechnet ihr Sohn ein ewiger Junggeselle bleiben?

      Dann schienen die Zores vorbei zu sein. Abraham kam mit der Nachricht, dass er sich in ein sehr nettes und hübsches Mädchen verliebt hatte und auch heiraten wollte! Die Auserwählte hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler. Helga war keine Jüdin. Abrahams Eltern gefror das Blut in den Adern. Verzweifelt schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen: »Um Gottes Willen! Du willst doch nicht, dass unsere Enkel keine Juden sind!«

      Um ihren Liebsten glücklich zu machen, entschloss sich Helga schweren Herzens zu konvertieren und nahm alles auf sich, was dazu erforderlich war. Sie studierte Hunderte und Aberhunderte Seiten der heiligen Schriften, lernte einen koscheren Haushalt zu führen, zu Jom Kippur zu fasten, wirklich köstliche Gefilte Fisch herzustellen und ließ sich, der Vorschrift entsprechend, siebenmal vom Rabbiner abweisen. Helga erschütterte das aber nicht, im Gegenteil, sie wurde immer emsiger. Sie bestand alle Prüfungen mit ausgezeichnetem Erfolg, konnte den Rabbiner schlussendlich überzeugen und wurde Jüdin. Endlich konnten sie und Abraham heiraten und lebten fortan ein ordentliches jüdisches Leben.

      Eines Tages läutete das Telefon. »Abraham, wo bist du?«, fragte der Vater ganz aufgeregt. »Wieso bist du nicht im Geschäft? Wir machen Inventur!« Abraham war sich keiner Schuld bewusst und entgegnete wahrheitsgemäß: »Aber, Papa, heute ist doch Schabbes!« – »Bist du meschigge? Schabbes hin, Schabbes her, ich brauch’ dich im Geschäft! Ich kann ohne dich keine Inventur machen!« – »Was soll ich denn tun?«, fragte Abraham verzweifelt. »Helga lässt mich doch am Schabbes nicht ins Geschäft gehen!« Der Vater war sprachlos und seufzte nur noch aus der Tiefe seiner Seele: »Ich hab’ dir immer schon gesagt, du sollst keine Schickse heiraten!«

      Zwar war es im Schtetl und auch noch lange nachher völlig undenkbar, eine Schickse zur Frau zu nehmen. Aber mit dem Gedanken hat so manch einer schon gespielt.

      Für Philip Roth schaute beim Schielen zu den Schicksen und bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage sogar eine literarische Karriere heraus. Von Portnoys Beschwerden bis zu seinem Spätwerk ließ ihn das Thema nie los.

      Gerhard Bronner, die Wiener Kabarett-Legende, über Jahrzehnte an der Seite hochgewachsener blonder Weiblichkeit zu sehen, erklärte seinen Widerstand gegen jüdische Frauen in Kurzform: »Die durchschauen einen viel zu schnell«, wähnte er sich an der Seite nicht-jüdischer Weiblichkeit auf der sicheren Seite. Durchaus zu Unrecht.

      Als ob es das Schlimmste für einen jüdischen Vater wäre, wenn die Schwiegertochter keine Jüdin ist:

      imageEin verzweifelter jüdischer Vater beschwerte sich bitter bei Gott: »Wie konntest du das zulassen? Mein Sohn hat sich taufen lassen und ist Christ geworden.« Gottes Stimme hallte tröstend aus den Wolken: »Mir ist es genauso ergangen.« Ein Funken Hoffnung regte sich in dem unglücklichen Vater: »Und was hast du dann gemacht?« – »Was werde ich schon gemacht haben?«, tönte die Stimme aus dem Off. »Ein neues Testament.«

      Was jüdische Eltern, nicht nur die Mütter, vor allem auszeichnet, ist ihre unerschütterliche Überzeugung, dass ihre Kinder Genies sowie schön sind und nichts und niemand gut genug für sie ist. Alle jüdischen Kinder sind Genies. Wieso? Die Mamme hat es gesagt, aber der Tatte weiß das natürlich auch.

      Was das mit den kleinen Genies macht, ist unterschiedlich. Manche Kinder glauben es einfach, auch wenn dieser Glaube trotz aller Bemühungen auf Mamme, Tatte und Kind beschränkt bleibt. Manche der so gestärkten jüdischen Kinder schöpfen daraus allerdings nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch das Vertrauen und den Mut, aus eigener Kraft Großes zu schaffen.

      Aber alles beginnt mit der Mamme und ihrer Theorie und Praxis der angewandten Geniekunde:

      imageFrau Rosenberg geht mit ihren zwei kleinen Söhnen im Park spazieren und läuft Frau Goldstein über den Weg, die gar nicht genug Begeisterung über die kleinen Rosenbergs zeigen kann: »Das sind ja so süße Kinder! Wie alt sind sie denn?« – Frau Rosenberg kwellt fin Naches, quillt über vor Freude, und stellt die beiden näher vor: »Hier, der Anwalt ist vier und der Neurochirurg ist zwei.«

      Je mehr jüdische Mütter zur selben Zeit im selben Raum zusammentreffen, desto intensiver wird die Mütterolympiade:

      imageTreffen sich gleich drei jüdische Mammes im Kaffeehaus und schwärmen von ihren Söhnen. »Mein Isaac ruft mich täglich zweimal an und fragt, wie es mir geht!« – »Das ist nichts!«, fuhr die zweite dazwischen. »Mein Moischele schickt mir jeden Tag Blumen!« – Die dritte zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Tss. Das ist doch gar nichts! Mein Simon, mein Sießer, geht jeden Tag zum Psychiater.« – »Und was macht er dort?« – Triumphierend antwortet die stolze Mamme nach einer bedeutsamen Pause: »Er redet nur von mir!«

      Auch Frau Grün und Frau Blau treffen sich zum mütterlichen Erfahrungsaustausch. Sie haben Wichtiges zu besprechen:

      image»Mein Sohn, ich sag’s Ihnen«, berichtet Frau Grün, »der verdient so viel Geld und hört nicht auf Geld zu verdienen, es wird schon langsam unheimlich. Die Banken rollen schon den roten Teppich aus, wenn er nur in der Nähe ist. Ganz Warschau könnte er kaufen, wenn er wollte!« – »Ganz Warschau? Sehr beeindruckend«, gibt Frau Blau zu. »Aber wissen Sie, es tät ihm nichts helfen: Mein Sohn verkauft nämlich nicht!«

      Der Fairness halber sei erwähnt, die jüdischen Väter stehen den Müttern in ihrem Stolz auf die Kinder um nichts nach:

      imageEin Tatte erzählt im Freundeskreis von seinen Kindern. »Hab’ ich euch schon erzählt, dass mein Ältester jetzt Professor an der Warschauer Uni geworden ist? Er hat den höchsten Wissenschaftspreis für die Erforschung der südpazifischen Ureinwohner bekommen. Und meine Judith? Nicht nur, dass sie


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