Ich bin ein Zebra. Erwin Javor
pralle Kraft in geradezu perfekte Position, einen Vorderhuf links, einen rechts, Becken nach vor, aber die Kuh – wollte nicht. Sie wackelte nur einmal, gewusst wie, mit ihren begehrten Körperteilen und der Stier rutschte unverrichteter Dinge wieder von ihr ab. Der Stier sprang, und sprang, und die Kuh reagierte immer gleich mit immer unmutiger werdenden Abwehrbewegungen. Man versuchte, die beiden mit allen möglichen Hilfsmitteln und gutem Zureden zur erwünschten Intimität zu inspirieren, aber nichts half.
Die beiden Zuschauer waren fasziniert. »Die Kuh ist aus Minsk«, stellte schließlich einer der beiden fest. – »Woher weißt du das?«, frage der andere erstaunt. – »Meine Frau kommt auch aus Minsk.«
Familie – Mischpoche
Nehmen wir mal an, der Schadchen war erfolgreich, ein passendes Paar hatte sich durch ihn gefunden und geheiratet, dann kam im Schtetl-Leben ganz geordnet die vorgesehene nächste Lebensphase: die Familie. Die jüdische Familie besteht aus ihrem Zentrum, der Mamme, dem – wie man ja auch an mir sieht – eher unauffälligen Ehemann des Zentrums und deren Kindern, welche ausnahmslos Genies sind.
Auftritt: Die Mamme! Die jüdische Mutter hatte immer schon alle Eigenschaften einer ganz normalen Mutter, aber mehr davon, viel mehr davon. Sie ist per Definition eifersüchtig, bestimmend, besitzergreifend, weiß alles besser, klammert, macht sich immer Sorgen, stopft ihre Kinder ständig mit Lebensmitteln voll und opfert sich auf. Außerdem kann sie besonders gut nachhaltige Schuldgefühle vor allem in ihren Söhnen erzeugen. Bekanntlich gehen die meisten erwachsenen männlichen Juden deshalb früher oder später zum Psychiater oder werden welche.
… alle Fejgl fun dejm Bojm sennen sich zerflojgn … sug ech zu der Mammen, her, sollst mir nor nisch schterrn, will ech, Mamme, ejns und zwej, bald a Fojgl werrn … Itzik krojn, nemm um Gottes Wiln, nemm chotzsch mit a Schalilkl, sollst sich nischt farkiln. Di Galaoschn nemm dir mit, s’gejt a scharfer Winter un die Kutschme tu dir on, wej is mir un Wind, und doss Winterlejbl nemm, tu es on du Schojte, … Ech hojb di Fliegl, s’is mir schwer, ziviel, ziiel Sachn hot die Mamme ongeton, ihr Fejgele de schwachn kuk’ch trojrig mir arajn in der Mammes Ojgn. S’hot in Liebschaft nischt gelosst werrn mir a Foigl. | … alle Vögel in dem Baum sind davongeflogen … ich sag’ zur Mutter, lass mich ziehen. Bald, ganz bald, will auch ich ein Vogel sein. … Mein geliebtes Kind, um Gottes Willen, nimm doch deinen Mantel und den Schal, du sollst dich nicht verkühlen. Die warmen Schuhe nimm dir auch, so harsch ist doch der Winter, und die Mütze zieh dir an, weil es geht der Wind, und das warme Unterhemd. … Ich heb’ die Flügel, und sie sind mir viel zu schwer, zu viele Sachen hat die Mutter auf ihr Vögelchen geladen. Traurig seh’ ich in der Mutter Augen. Ihre Liebe ließ mich nicht zum Vogel werden. |
(Volkslied, Text Itzik Manger, deutsche Übersetzung vom Autor)
Zum Job der archetypischen Mamme gehört es, sich aufzuopfern und manchmal – nur ganz selten und auch sehr subtil – anklingen zu lassen, dass sie es tut:
In Wirklichkeit sind jüdische Mütter natürlich starke Frauen, die nicht nur als Mütter alles im Griff haben und nichts übersehen:
Blitz und Donner zucken durch den Nachmittagshimmel, und eine weitere Riesenwelle schwemmt das Kind wieder vor die Füße der verzweifelten Mutter. Überglücklich schließt sie es in die Arme, überzeugt sich von seinem Zustand und freut sich, dass es unverletzt ist.
Doch plötzlich hält sie inne, erstarrt, schaut mit vorwurfsvoller Miene zum Himmel und schüttelt die Faust nach oben: »Und wo ist seine Mütze?«
Jüdische Mütter sind nicht zuletzt auch für ihre ganz außerordentliche Zähigkeit bekannt, die sie geradezu zu übermenschlicher Kraft auflaufen lässt:
Die verantwortungsvolle Angestellte gab auf, buchte, was die Kundin wollte, und Frau Morgenstern flog nach Delhi, reiste ebenso beschwerlich wie unbeirrt weiter nach Goa und fragte an der Rezeption ihres Ein-Sterne-Hotels: »Ich will zum berühmtesten Guru von Goa.« – »Ha!«, lachte der leidgeprüfte Concierge. »Das wollen viele, aber so einfach ist das nicht. Da gibt es Wartezeiten, lange, sehr lange Wartezeiten!«– Frau Morgenstern meinte gelassen: »Das macht gar nichts. Ich warte.« – »Das kann aber gute drei Tage dauern, bis sie eine Audienz bekommen.« Frau Morgenstern verzog keine Miene, drei Tage lang nicht. Ohne zu klagen.
Am vierten Tag, die Kunde von der entschlossenen Frau hatte sich herumgesprochen, kam ein Abgesandter des Gurus ins Hotel und ließ Frau Morgenstern ausrichten: »Sie kann mitkommen. Aber sie muss sich anstellen.« So zogen sie gemeinsam Richtung Guru und Frau Morgenstern sah schon von Weitem eine lange, sehr lange Warteschlange. Geduldig stellte sie sich hinten an, rückte im Zeitlupentempo nach und nach vor und kam näher und näher Richtung Guru.
Zwölf Stunden später, als die Schlange immer kürzer wurde und der Guru schon sichtbar war, kam wieder ein Adlatus und wies Frau Morgenstern streng an: »Sie dürfen nur drei Worte zu ihm sagen. Haben Sie das verstanden? Nur drei Worte!« Die alte Frau nickte.
Endlich war sie dran. Der Guru saß mit geschlossenen Augen direkt vor ihr, vertieft in wichtige Gedanken, und schwieg. Frau Morgenstern wartete geduldig. Nach nur drei Minuten kehrte der Guru aus seiner Trance zurück, riss die Augen erstaunt weit auf und erstarrte. Frau Morgenstern sagte ihre drei Worte: »Moischele, komm heim!«
Wenn ein jüdisches Kind vorhat, erwachsen zu werden, und an ein eigenes Leben oder gar eigene Familiengründung denkt – oj!
Am nächsten Tag fragte er verschmitzt seine Mutter: »Nu? Welche werde ich heiraten?« – »Natürlich die Rothaarige!!« Mordechai war sprachlos. »Woher hast du das gewusst??!« Die Mutter wirft ihrem Spross einen mitleidigen Blick zu.