La Oculta. Héctor Abad
eigentlichen Berufung nicht gefolgt ist.
An der Eafit, einer damals gerade neu gegründeten privaten Wirtschaftsuniversität, gefiel es ihr jedenfalls sehr gut, da bin ich mir sicher. Ständig war sie umringt von irgendwelchen Freunden, die ihr Komplimente machten. Alle Professoren, Mitstudenten, auch die aus anderen Fächern, ja selbst die Busfahrer und Hausmeister verliebten sich in sie. Es gab einen sehr bekannten Professor aus Frankreich, der sich niemals auf die für Antioquia so typische Abirrung einlassen wollte, schon im Morgengrauen mit dem Unterricht zu beginnen. Und doch ließ er sich irgendwann tatsächlich breitschlagen, einen Kurs abzuhalten, der um sechs Uhr morgens anfing, »weil ich mir den Anblick von Eva Ángel, die frisch geduscht über den Campus spaziert, nicht entgehen lassen will«, wie er zur Erklärung verkündete. Jedes Wochenende ließen zwei, drei Verehrer bezahlte Musikanten vor Evas Haus aufspielen, und unter ihren Freunden kursierte der Spruch: »Lass Eva Eva sein, die lädt dich eh nie ein.« Ich dagegen hatte bloß einen Verehrer, der Musikanten zu mir schickte: Alberto. Das mit der Schönheit ist eine zweischneidige Sache: Sie öffnet dir ebenso viele Türen, wie sie dir verschließt. Was mich angeht, ich war nicht hässlich, und ich hätte durchaus mehr Verehrer haben können, wenn ich gewollt hätte. Ich war also nicht hässlich, aber vor allem war ich treu. Treu wie ein Hund, ein Leben lang. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass ich einen besseren Mann finden könnte, im Gegenteil, seit ich Alberto zum ersten Mal gesehen hatte, wusste ich, dass ich ihn heiraten würde. Und als wir dann heirateten, war ich achtzehn und er einundzwanzig.
Antonio
Meinen Schwestern ist das alles egal, aber mir war es wichtig zu wissen, wie La Oculta einst entstanden ist. Jahrelang habe ich Bücher und alte Unterlagen aus dem Besitz der Familie durchforstet und Katasterämter, Notariate und Gemeindearchive aufgesucht, mich mit Historikern und Pfarrern unterhalten, meine ältesten Verwandten befragt, die Schwestern meines Vaters, meine Vettern und Kusinen, Onkel und Tanten, und natürlich meinen Vater und meinen Großvater, als sie noch am Leben waren.
Es ist ganz einfach. Fast das gesamte Land hier am Westufer des Río Cauca, sagen wir zwischen der Mündung des Río San Juan in der Nähe von Bolombolo und des Río Cartama gleich unterhalb von La Pintada bis hinauf in das baumlose Citará-Hochland, gehörte früher zwei Familien: den Echeverris und den Santamarías. Sie hatten diese bergigen Länder von den Republikanern erhalten, weil sie Verbündete und Unterstützer der Truppen gewesen waren, die Kolumbien von der Herrschaft des spanischen Königs befreiten.
Ich glaube, meinen Schwestern ist auch das egal, aber mir bedeutet es sehr wohl etwas, dass das Land um La Oculta niemals von irgendwelchen spanischen Monarchen an irgendwelche zweitoder drittrangigen Adligen verschenkt worden ist, die man nicht zuletzt deshalb in die Neue Welt entsandt hatte, um sich wenigstens eines Teils der Unmenge bittstellerischer und streitsüchtiger Tagediebe zu entledigen, die sich bei Hofe tummelten. Ebenso wenig ist La Oculta aber aus einer Mission, einem Kloster oder einem Priesterseminar hervorgegangen wie so viele andere Siedlungen in Amerika. Die ersten Bewohner von Jericó waren einfache Leute, die sich einer wenn auch nicht völlig gleichen, so doch sehr ähnlichen Sprache wie auch Kleidung bedienten. Einer von ihnen, Don Gabriel Echeverri, stammte aus dem Baskenland, der andere, Don Alejo Santamaría, war jüdischer Herkunft. Sie beide verbanden familiäre und geschäftliche Beziehungen. Sie waren Kaufleute wie schon ihre Väter und hatten es als solche zu eigenen Läden an der Plaza Mayor von Medellín gebracht. Unter anderem handelten sie mit Goldstaub, den sie den Goldsuchern in sorgfältig abgewogenen Mengen abkauften. Es hieß, sie seien konvertierte Juden. Vor allem Santamaría wurde dies nachgesagt, der ohne Zweifel von Marranen abstammte. Nicht auszuschließen ist, dass sie sich, vor allem zu Beginn, auch als Schmuggler betätigten und hinter dem Rücken der Steuerbehörden eingeschmolzenes Gold nach Curação transportierten, von wo sie mit Waren zurückkehrten, die sie hierzulande verkauften, wobei sie wiederum nur die Hälfte der Importe angaben, die sie auf dem Rücken einer ersten Herde Maultiere ins Land brachten, um den zweiten Teil anschließend mit den Papieren der ersten Lieferung, aber auf anderem Weg und mit einer zweiten Maultierherde, über die Grenze zu schaffen. Was ihren Landerwerb im Südwesten von Antioquia angeht, so spielte ihre Geschäftstüchtigkeit auch hier wahrscheinlich eine wichtige Rolle, und dennoch ging es dabei nicht um Betrügereien, sondern vor allem um Weitsicht und geschickten Umgang mit Zahlen.
Echeverri und Santamaría hatten nämlich allen Unwägbarkeiten des Schicksals zum Trotz – hätten die Spanier den Krieg gewonnen, hätten die beiden Kaufleute alles verloren – auf die Aufständischen und gegen die verfluchten Unterdrücker von der Iberischen Halbinsel gesetzt und Erstere im Tausch für die von ihnen unterzeichneten Quittungen mit Reis, Rohrzucker, Mais, Tabak, Hüten, Munition, Zaumzeug, Hufeisen, Nägeln, kräftigem Leinen und mit Kautschuk wasserfest gemachtem Segeltuch, Stiefeln, Seilen und Stricken versorgt. Diese Quittungen waren mit der Zeit zu einem veritablen Papierberg scheinbar ohne jeden Gegenwert angewachsen, den die beiden Kaufleute jedoch sorgfältig in einem englischen Geldschrank verwahrten, der im Hinterzimmer eines ihrer Läden stand. In Medellín spottete damals alle Welt über »die Schuldscheine der Herren Echeverri &Santamaría«, die nach allseits geteilter Ansicht nicht mehr wert waren als ein Stapel vergilbter Zeitungen, mit denen man bestenfalls unreife Avocados einwickeln oder das Herdfeuer entzünden kann.
Die beiden Alten jedoch hüteten ungerührt ihren Papierschatz und sagten sich: »Wer zuletzt lacht, lacht am besten.« Die Zeit schien ihnen recht zu geben, als sich die endgültig besiegten Spanier mit eingezogenem Schwanz davonmachten und in Bogotá die Republik ausgerufen wurde. Wie immer nach einer Revolution lag die Wirtschaft des Landes jedoch zunächst am Boden und die Verhältnisse waren schlecht und unübersichtlich. Der neuen Regierung fehlten die Mittel, um der frisch geborenen Nation ein festes Gebäude zu verschaffen. Nach langem Antichambrieren, Vorsprechen und Drängen der beiden bei den Gouverneuren der Provinz Antioquia und mehreren aufeinander folgenden Finanzministern beschloss die Zentralregierung irgendwann, sich die zwei alten Kaufleute vom Hals zu schaffen, indem man ihnen für die Schuldscheine ein weitab im tiefsten Urwald gelegenes, unwirtliches und scheinbar völlig wertloses Land am linken Ufer des Río Cauca anbot. Zwischen den steilen Bergen hausten gerade einmal zwei winzige Gruppen von Eingeborenen, Chamíes und Katíos – die meisten von ihnen waren längst von den Krankheiten, die die weißen Eroberer eingeschleppt hatten, oder durch deren gewalttätige Exzesse hinweggerafft worden. Nicht einmal Eremiten, flüchtige Sklaven, Räuber oder Verrückte hatten sich diese Gegend zum Rückzugsort erkoren.
Nach langem Hin und Her ließen Don Alejo und Don Gabriel, deren Kinder inzwischen untereinander geheiratet hatten, sich schließlich auf den ungleichen Tausch ein. »Besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach«, sagten sie sich, als endgültig klar schien, dass die Regierung niemals imstande oder willens sein würde, die Schulden in barem Geld zurückzubezahlen. Alles, was sie nun bekamen, war ein Stück Urwald voll riesiger Bäume, reißender Bäche, wilder Raubtiere, bunter Vögel, Schlangen, Schmetterlinge und Moskitos. Das Klima dort wies alle nur denkbaren Extreme auf – hoch oben in den Bergen brachte es die erstaunlichen Espeletia-Sträucher hervor, die sich mit ihrer wolligen Behaarung gegen die Kälte schützen, und ganz unten, im Tiefland, Kakao, aus dem sich das köstlichste Getränk der Welt herstellen lässt, dessen geheime Rezeptur, einst den Göttern vorbehalten, eines Tages zum Wohl der Menschheit von einem einheimischen Prometheus geraubt wurde.
Eva
Vorsichtig, so leise wie möglich, hob ich den Kopf aus dem Wasser. Hastig atmete ich in tiefen Zügen ein. Zwei, drei, fünf, sieben Mal. Mein Herz pochte unterdessen in der Brust wie die große Basstrommel einer Dorfkapelle. Vom Haus her hörte ich Schreie und Flüche. Mehrfach glitt ein Lichtstrahl über den See. Ich tauchte wieder unter. Das mit dem Zählen ließ ich sein. Am wichtigsten war, dass ich weiter das dem Haus gegenüberliegende Ufer ansteuerte. Dort würde ich mich durch den Bambuswald schlagen müssen. Schon nach wenigen Sekunden hatte ich das Gefühl, mir gehe die Luft aus, aber ich zwang mich, mich noch ein Stück weiterzukämpfen. Seit ich denken kann, habe ich Sport gemacht, und Schwimmen hatte ich hier, in diesem See, und im Río Cartama gelernt. Cobo brachte es mir bei, kaum dass ich fünf Jahre alt war. Ich rief mir in Erinnerung, wie wichtig es ist, möglichst gleichmäßige Bewegungen auszuführen,