Mitten ins Herz. Marga Swoboda
Irgendjemand auf der Welt wird eine große Freude haben mit meinem grünen T-Shirt. Nur einmal getragen! Wenigstens war es nicht teuer.
Dann fährt mein T-Shirt, mit Tonnen von anderen Klamotten, nach Neapel. Dort wird sortiert, frisch verpackt, umgeladen, was weiß ich. Man begleitet ja sein T-Shirt nicht.
Weiter geht es nach Afrika. Klingt gut. Dort leben doch so viele arme Menschen. Dort wird vielleicht irgendjemand eine Freude damit haben, dass ich hier im europäischen Schlaraffenland wieder einmal einen Fehlkauf tätigte.
Aber Achtung. Dort irgendwo in Afrika, in Tansania zum Beispiel, dort kommt mein T-Shirt um drei Euro auf den Markt. Dort muss eine Frau viele, viele Stunden arbeiten, bis sie sich den Fetzen leisten kann.
Aber die Container für Altklamotten sind doch für den guten Zweck, nicht? Ja, schon, teilweise. Der Rest ist ein Milliardengeschäft. Danke an das Fernsehteam »Am Schauplatz«. Mir wurden die Augen geöffnet. Vielleicht lerne ich endlich, mein Kaufverhalten zu ändern.
Das ist ja der pure Wahnsinn: In unsere Modestraßen schwemmt es die Billig-T-Shirts, genäht von ausgebeuteten Frauen und Kindern, und danach verdient das T-Shirt noch Geld an den armen Leuten in Afrika. Einfach irre.
26. Juli 2013
Frau Zadrazil und Herr Putin
Was geht die Frau Zadrazil der Herr Putin an?
Nix, dachte sie, und die Weltpolitik ist sowieso nicht ihr Hobby. Aber die gute Frau Zadrazil hat mit dem Wladimir Putin mehr zu tun, als sie möchte.
Frau Zadrazil hat es nämlich im Winter gern schön warm, wenigstens in der Wohnküche, im Schlafzimmer spart sie eh. Frau Zadrazil kocht auch gerne, für sich allein, mit über 80, und einmal in der Woche kommt die Frau Tochter zum Essen. Bescheidenes Glück in der kleinen Gemeindewohnung, die sie mit den Erinnerungen an ihren Mann mit der Katze teilt. Die Katze ist der Luxus ihrer späten Jahre, auf den sie nicht verzichten möchte. Katzenfutter und gelegentlich ein Tierarzttermin müssen sich einfach ausgehen von der Rente.
Frau Zadrazil hat gehört, dass das Gas wieder teurer wird, das gefällt ihr gar nicht. Und dann hat sie noch gehört, dass der Herr Putin, eben der aus dem fernen Russland, ihr womöglich diesen Winter das Gas abdrehen könnte, und das gefällt ihr noch viel weniger.
Wie kann denn das sein, hat die Frau Zadrazil ihre Nachbarin gefragt. Die ist eine, die immer alles weiß, was in der Welt so geschieht, die schaut immer »ZIB« und liest Zeitungen wie ein gefräßiger Professor, also muss sie Bescheid wissen, die Nachbarin.
Was, das könnte wirklich passieren, dass mir der Putin das Gas abdreht, fragt Frau Zadrazil. Weil das Gas durch die Ukraine fährt und die Ukraine vielleicht den Russen das Geld schuldig bleibt, und dann dreht der Putin den Hahn ab für Europa, damit die Ukraine davon nichts abzapfen kann? Frau Zadrazil ist schockiert. Jetzt weiß sie, dass sie mit dem Herrn Putin mehr zu tun hat, als sie für möglich gehalten hätte. Ein unbehagliches Gefühl.
12. November 2009
Woran ich glaube
Tausende Schäfchen verlassen die Kirche wie ein sinkendes Schiff. Du nicht auch, fragt mich der Freund, der schon lange mit dem Gedanken gespielt hat, und jetzt, sagt er, hat er endgültig genug. Du nicht auch, fragt er mich. Nein, ich nicht. Wenn ich wegen dem, was jetzt offenbar unrund läuft, austreten müsste, dann hätte ich schon früher austreten müssen. Und wenn ich das alles aufzähle, was mir an der katholischen Kirche respektive an manchen ihrer Vertreter nicht gefällt, dann sitzen wir heute noch lange beisammen, Freund.
Aber ich bin und bleibe ja nicht wegen der Nachteile, sondern wegen der Vorteile Mitglied der katholischen Kirche. Wegen der Idee des Glaubens, die manchmal besser und manchmal schlechter gelingt.
Ich mag die Stille und den Geruch eines Gotteshauses, den Versuch, ein Zwiegespräch zu führen mit Gott, wo auch immer er wohnt. Ich mag den Trost eines stillen Vaterunsers, den Versuch des Gedankens und den Wert des Gefühles, wenn ich mir vorstelle, dass irgendwann ein paradiesisches Licht sein wird.
Die Kerze, die ich in der Muttergottes-Grotte anzünde, kann mir an manchen Tagen meine kleinliche menschliche Angst nehmen, und an manchem Tag ist sie ein Trost. Oder eine Bitte.
Ich besuche die Menschen, die nicht mehr da sind, auf dem katholischen Friedhof, und ich erinnere mich an die grausamen Abschiede, die durch die religiösen Rituale und den Trost des Priesters ein wenig gemildert wurden.
Ich bin katholisch, ich versuche, an Gott zu glauben, und der eine oder andere Bischof, der mir nicht passt, wird mir das nicht nehmen können. Ich glaube auch an die Kraft des Papstes, selbst wenn im Vatikan seltsame Dinge geschehen. Jedenfalls glaube ich daran lieber als an die Wall Street, die Autoindustrie oder das Götzenglück der wackligen Wirtschaft.
12. Februar 2009
Untergang und Auferstehung
Damals haben sie es mit Gott aufgenommen und verloren. Sie sagten, nicht einmal der Herr aller Zeiten und Gezeiten könne die Titanic sinken lassen. Und dann sind die Leute elend ersoffen.
In einem Meer aus Tränen und aus Dollars badet nun der Film zur Katastrophe. Weltweites Phänomen, dass alle beim da capo des Todes dabeisein wollen. Leonardo DiCaprio ist der Held des Untergangs; Tausende Teenies würden für ihn ins Wasser gehen.
Die Mode, eine alte Frevlerin, die weder Hungersnöte noch Drogenelend als Trendmacher auslässt, kommt dieses Jahr mit dem Titanic-Look: Nobel geht die Welt zugrunde. Damals haben sie geweint und geschrien in ihren wunderbaren Roben, die alle Totenhemden wurden. Nun liegt der Kick darin, den ganzen Pomp in süßer Décadence auferstehen zu lassen.
Aber das reicht noch nicht wirklich. Die Jungfernfahrt des Todes will man nicht nur virtuell, in der Mode und beim Tischdekor nachvollziehen. Celine Dions Lied vom Tod in seinem unerträglichen Triefgang ist nicht das Ende der Manie.
Nun wollen Piraten der Gefühle das Schicksal der Titanic absolut gefühlsecht wiederholen. Titanic II; 2002, wenn das Unglück Geburtstag hat, soll sie in Southampton vom Stapel laufen. Echt wie damals bis auf den letzten silbernen Löffel.
Und: Natürlich wieder unsinkbar. Elektronische Eisberg-Überlistung, Rettungsboote für alle. An der Stelle des Untergangs Champagner-Laune mit leichter Gänsehaut. Drunter das eisige Grab. Der kranke Kick der Auferstehung. Vielleicht auch nur ein größenwahnsinniger PR-Gag.
Es wird schon alles gut gehen. Gott wird doch nicht zweimal an derselben Stelle zuschlagen. Gott liebt die Auferstehung; drum ist ja heute Ostern. Für die einen ist Auferstehung halt eine Frage des Glaubens, für die anderen eine Lustreise und Goldgrube. Ohne Genierer und ohne Pietät.
12. April 1998
Ein Tanz auf brüchigem Eis
Annähernd so alt wie dieses Jahrhundert und so klar und so mutig und deshalb jung in den Gedanken. Wenn es wahr ist, dass der Geist und die Seele und der Körper den göttlichen Funken ausmachen, dann lebt dieser Funke in Kardinal Dr. Franz König, und dieses charismatische Licht leuchtet in Liebe und Wärme und Klugheit.
Wer könnte sich entziehen? Da stand dieser große alte Mann am Rednerpult bei der Salzburger Festspiel-Eröffnung; Worte der Demut und des Mutes zugleich. Worte, die jeden, der sie hörte, auf die eigentlichen Fragen des Lebens zurückwarfen. Der Sinn des Lebens; wie verblendet von falscher Sehnsucht und Sucht.
Das Eis, auf dem wir uns bewegen, ist dünn geworden, zitierte der Kardinal Friedrich Nietzsche. Bilder und Selbstbilder weckte die Mahnung: wie wir alle so verrückt tanzen auf dem dünnen, brüchigen Eis.
Wie unmodern der Glaube geworden ist. Blindes Vertrauen in die Macht der Wissenschaft und der Forschung, und alles zeigt doch wieder nur die menschlichen Grenzen an. Der große Horizont: die bedrohlichen Konturen des Atomzeitalters. Weltumspannendes