Mitten ins Herz. Marga Swoboda

Mitten ins Herz - Marga Swoboda


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der Glaube geworden ist. Alle Rätsel der Welt – lösbar bis auf das eine große Rätsel des Lebens. Den Sinn. Woher wir kommen, wohin wir gehen.

      Das Gesicht des Kardinals, das mit so unbeschreiblicher Weisheit und solchem Mut ins neue Jahrtausend blickt. Ein charismatisches Licht. Was für ein Licht gegen den Nebel und die Stumpfheit eitel gesteckter und verfolgter Ziele. Wie man die tiefe Ergriffenheit des Auditoriums spürte. Und wie selbst vor dem Fernsehschirm Empfindungen geweckt wurden, die über den Tag und das Jahrtausend hinaus wirken.

       25. Juli 1998

      Würdig und schlicht

      Er hatte es sich verbeten, dass nach seinem Tod ein Staatsbegräbnis inszeniert wird. Aber die Form des Abschieds hatte der Altbundespräsident noch selber bis ins Detail testamentarisch festgelegt; wie einen letzten Gruß an Familie und Volk.

      Würdig und schlicht wie sein Leben war die Zeremonie. Frühling auf dem Zentralfriedhof; eine milde Sonne über aller Trauer. Die Witwe musste stark sein; sehr stark, das hatte sich Kirchschläger wohl auch so gewünscht.

      Im kommenden Sommer hätten die beiden die diamantene Hochzeit gefeiert; sechzig Jahre Ehe durch alle Stürme der Zeit. Es war den beiden nicht mehr vergönnt, einander an diesem Tag die Hände zu reichen.

      Aber in Gedanken und in dem, was man Liebe nennt, bleiben sie einander ewig verbunden; das spürte man, wenn man die Witwe in ihrer stummen Trauer sah.

      Während der Zeremonie des Abschieds wird das Leben mit Kirchschläger noch einmal durch den Kopf der Witwe gegangen sein. Bilder aus jungen Jahren und von glücklichen Augenblicken. Bilder, die einen Menschen nie verlassen, auch wenn einer den anderen verlassen musste.

      Wie schön ist das, wenn jemand im ganzen Schmerz noch denken kann, dass man das gemeinsame Leben in Treue gelebt und über alle Hürden hinweg gemeistert hat. Dann ist der Abschied in Liebe gebettet.

      Und trotzdem kommt dann dieser ganz schmerzhafte Moment, wenn der Sarg der Erde übergeben wird. Das ist der Augenblick, in dem der Abschied so sichtbar und so endgültig wird.

      Viele Menschen brauchen Gott ihr Leben lang nicht. Aber dann, im Angesicht des Todes, ist diese Hoffnung, dass es eine Auferstehung im Licht geben könnte, doch ein großer Trost. Herma und Rudolf Kirchschläger haben ihr Leben lang in dieser Hoffnung Kraft geschöpft.

       11. April 2000

      Wahnvorstellung oder Magie des Glaubens

      Der Papst kommt nach Deutschland, ich stelle mir vor, Schutzengel reisen mit ihm. Obwohl für manchen Blödsinn braucht kein Mensch und schon gar nicht der Papst Schutzengel: Menschen bei Maischberger redeten über den Papst, als wäre er eine Modemarke. Braucht jemand die Kirche? Braucht jemand den Papst? Die einen sagen so, die anderen so. Der Schauspieler Mathieu Carrière spielte den total Ungläubigen so gut (»Religion ist nur eine Wahnvorstellung«), dass man schon dachte, gleich würde er kippen. In den Glauben.

      Im deutschen Bundestag sind auch nicht mehr alle ganz sauber. Linke Brüder und Schwestern in Bewusstseinsspaltung. Die einen werden dem Papst zuhören, wenn er seine Rede hält. Die anderen machen Benedikt-Demo vor dem Haus.

      Für so was braucht man keinen Schutzengel mehr. Braucht man überhaupt einen? Und vor allem: Gibt es diese Gestalten überhaupt? Ich fühle da mit der bequemen großen Mehrheit. 58 Prozent aller Österreicher glauben an die Existenz solcher Wesen, die Menschen behüten, beschützen. 15 Prozent überlegen noch. 27 Prozent sagen: Blödsinn. Gibt’s nicht. Wer hat denn jemals einen solchen Schutzengel gesehen? Wie sieht er oder sie überhaupt aus? Haha.

      Klar, ich habe auch noch nie einen gesehen. Aber es gab schon Momente, da fühlte ich, hmm … mich seltsam beschützt. Oder noch wichtiger, die Kinder. Wahnvorstellung oder Magie des Glaubens?

      Als Kinder sammelten wir früher Schutzengelbilder statt Pocahontas-Pickerln. Vor dem Schlafen machte mir der Vater immer ein Kreuz auf die Stirn … Der Schutzengel soll dich behüten …

      Daran glaube ich. Es tut mir gut. Ich wünsche jedem Kind der Welt, dass es gleich mit einem Schutzengel geboren wird. Warum, leider, nicht jedes Kind einen Schutzengel hat: Ich weiß es nicht.

       22. September 2011

      Willkommen, kleiner Mensch!

      Bist du schon da oder noch in Mamas Bauch? Bist du ein Kind aus China, aus Indien oder vielleicht aus Liechtenstein?

      Möglich ist alles. Man weiß ja nicht genau, wer du bist und wo. Erdenbürger Nummer 7 000 000 000, von der Statistik dieser Tage erwartet. Die Statistik sagt: er (oder sie) müsste jeden Moment eintreffen oder ist schon gelandet.

      Nie wird man den Namen dieses Kindes kennen, dazu ist die Statistik zu ungenau. Menschen zählen ist einfach nur ein Nummernspiel. Wir sind jetzt sieben Milliarden Menschen auf der Welt.

      Würde man dich kennen, Kind Nummer 7 000 000 000, du wärst auf allen Titelseiten und in den Hauptnachrichten. Fast-Food-Firmen würden dich für die Werbung schnappen, Doku-Filmer deinen Lebensweg begleiten. Nie müsstest du hungern oder Durst haben, selbst wenn dich deine Mutter in einem Auffanglager in der Todeszone der Dürre-Katastrophe geboren hätte. Und wärst du ein Kind aus der reichen, angeblich heilen Welt: Du wärst ein Talkshow-Star, noch bevor du selber reden und stehen kannst.

      Wir sind jetzt sieben Milliarden Menschen. In einer Familie würde das bedeuten: zusammenrücken. Teilen. Aber die Welt ist leider keine Familie. Die Welt hat einen Stacheldraht zwischen Arm und Reich, zwischen Schön und Kaputt, zwischen Alt und Jung, zwischen Erfolgreich und Hartz IV. Die Welt ist hundsgemein. Und sie wird nicht besser. Sorry, Kind.

      Willkommen, Kind Nummer 7 000 000 000 auf dieser ansonsten superschönen Welt. Essen wäre genug für jeden da. Sonne, Mond und Sterne gehören allen. Ich wünsche dir, unbekanntes Wesen, dass du auf der Butterseite gelandet bist. Und nicht im Elend, ohne Zukunft, ohne Chance.

       30. August 2011

      Große Söhne, kleine Menschen

      Ein Kind schleppt sich daher. Das Kind torkelt. Das Kind versucht ein paar Schritte aufrecht. Geschafft. Das Kind fällt den Rettern fast in die Arme. Dann fällt das Kind um. Tot.

      Ein Vater trägt seinen Sohn durch die Hitze. Eingehüllt in Tücher, der Sohn. Tot. Eine Mutter mit ihrem Kind liegt auf dem Boden. Wasser. Nahrung. Sie sind durchgekommen. Es könnte sein, dass sie überleben.

      Das sind die Bilder. Die Bilder von der großen Dürre in Ostafrika. Schon gegoogelt, wo das ist? Weit weg ist das. Elf Millionen Menschen sind das. Ganz Österreich und noch ein kleines Land dazu, wenn man sich die Summe des Elends vorstellen möchte.

      Das ist die Welt. Die arme und die übersatte. Das ist die Welt, in der die einen Kinder in Designer-Wiegen hineingeboren werden, und bei den anderen steht der Tod parat. Das ist die Welt, in der du Millionen machen kannst mit Luxus-Kindermode und in der Millionen Kinder sterben wie die Fliegen. Das ist die Welt, in der die UNO-Rettungsleute schreien: Wir können nicht mehr warten. Das ist die Welt, in der solche Schreie und solche Nachrichten lang nicht so wichtig sind wie südafrikanische Schmarren-Geschichten von fürstlichen Flitterwochen. Das Badewetter im nächsten Schwimmbad ist auf jeden Fall wichtiger als das Sterbenswetter in Afrika.

      Und in der Mittags-»ZIB« war gestern selbstverständlich das Wichtigste, ob jetzt die großen Töchter in die Bundeshymne dürfen. Bei so viel politischer Brisanz kommen die sterbenden Kinder an zweiter Stelle. Im Übrigen geht mir das Pathos um große Söhne und Töchter wahnsinnig auf die Nerven. Es sind die kleinen Menschen, die Österreich groß machen. Und es sind die kleinen Menschen, die wegsterben wie die Fliegen. In Ostafrika, zum Beispiel.

       14. Juli 2011

      Zufälle, schrecklich


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