Mitten ins Herz. Marga Swoboda

Mitten ins Herz - Marga Swoboda


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Ausrüstung aufzusteigen. Der Mann von der Bergrettung hatte Glück: Alle sind unversehrt wieder ins Tal gekommen. Er hat seinen Kopf nicht riskieren müssen.

      Wie Helden haben sich die Idioten dann noch aufgespielt, sagt der Bergführer. Das ist genau die Sorte Helden, die fast jeden Tag Schlagzeilen macht. Lesen können sie von ihren Heldentaten nichts mehr. Denn sie liegen zerschmettert in der Schlucht.

       6. August 1997

      Weicheier und Kaltduscher

      So, jetzt muss sich wenigstens niemand mehr aufregen, nicht einmal künstlich. Das Fußballspiel Israel gegen Österreich abgesagt. Alle bleiben daheim. Nicht nur die Weicheier. Auch die harten Hunde.

      Weicheier. Ein recht beliebtes Wort. Auch Warmduscher sagt man gerne. Zu Leuten, die nicht wirklich cool sind. Die neun Fußballspieler, die sich schon vor dem mysteriösen Flugzeugabsturz über dem Schwarzen Meer geweigert hatten, das »Risiko Israel« einzugehen, die waren die Weicheier der Nation. Ein Kompliment wie faule Tomaten ins Gesicht.

      Seit dem Terrorkrieg in Amerika ist vielen Menschen sehr mulmig. In brenzlige Gegenden fährt man nicht mehr, wenn man nicht unbedingt muss. Angeblich hat die Tragödie außer Angst und Panik auch noch das bewirkt: dass Menschen umdenken. Also irgendwie kapiert haben, was wirklich wichtig ist und was nicht. Karrieredenken und Gier ein bisschen hinterfragen. Besinnung.

      Schon irgendwie armselig, wenn dann die Fußballer zu Weicheiern erklärt werden. Von Maulhelden am Biertisch oder im Fernsehen, die nichts, einfach gar nichts begriffen haben.

      Mit Wörtern wie »Weichei« und »Warmduscher« wird man schnell einmal beworfen. Schon im Kindergarten, wenn ein Bub kein richtiger Mann ist. An der Theke, wenn einer nicht Bier bis zum Abwinken säuft. Im Beruf, wenn einer nicht stählerne Ellbogen hat.

      Weicheier können auch richtige Helden sein. Zum Beispiel die neun Fußballer. Die einfach ihre Entscheidung getroffen hatten. Da gehörte Mut dazu. Sich hinzustellen und Nein zu sagen. Vor diese ganzen Kaltduscher. Denen dann aber doch noch der A… auf Grundeis ging. Aber zuerst musste natürlich ein Flugzeug explodieren.

       6. Oktober 2001

      Die Herren Helden

      Zum Wochenende rüsten wieder rudelweise Wehrdiener ab, und man darf Gift drauf nehmen, dass es hoch hergehen wird. Die jungen Herren wollen nach dem drögen Kasernendasein endlich die Säue rauslassen, und das gelingt, wie selbst noch der Trottel jeder Kompanie weiß, am Besten, wenn man ausgiebig Schnaps in sich hineinschüttet.

      Bei ihren seltsamen Übungen haben die Soldaten gelernt, was ein richtiger Mann ist. Nur nicht zimperlich sein ist die Devise, und das will beim Abklopfen zufällig vorbeikommender Damenhintern ebenso beherzigt sein wie beim standesgemäßen Wettsaufen.

      Die staatlich verordneten Kriegsspiele sind sehr geeignet, aus vormals scheinbar ganz normalen jungen Männern tumbe Lackeln zu machen. Dem Rudelunwesen entsprechend, fallen selbst Burschen, die noch innere Widerstände gegen gruppenweises Getöse haben, zurück in pubertäre Trottelei. Ist auch klug von ihnen, denn wer nicht mitmacht, ist erstens ein Feigling und kriegt zweitens Saures. Der Countdown läuft ja bereits in zahllosen Wirtshäusern, und es wird heftig trainiert für das große finale Besäufnis. Ein Todesopfer hat eine dieser berüchtigten Abrüster-Vorfeiern bereits gefordert: Der unglückselige Wehrdiener Herbert Maritschnik schüttete einen halben Liter Tequila in sich hinein und war nicht mehr zu retten.

      Das wird aber viele der frisch dressierten Teufelskerle nicht davon abhalten, sich gegenseitig unter den Tisch und eventuell ins Grab zu saufen. Ein echter Austro-Indianer kennt bekanntlich weder Schmerz noch Promillegrenze.

      Wäre nett, wenn die Herren Helden nach ihren Feiern wenigstens zu Fuß heimgehen würden, sofern sie noch können.

      Man lässt sich auch von einem echten Haudegen nur ungern niedermähen.

       27. August 1992

      Hannelore Kohls todtraurige Krankheit

      Sie war eine Heldin, sagen jetzt die Leute. Eine Heldin für Deutschland, still und klein, an der Seite des Kanzlers. Hannelore war noch von dieser Generation und von diesem Schlag: Die Frau bleibt im Hintergrund, duldet leise, agiert mit eiserner Disziplin, hält dem Mann den Rücken frei für Größeres.

      Unsagbar muss ihr Leid gewesen sein. Niemals darf man sich aufgeben, hatte sie noch vor Kurzem gesagt. Und dann die letzte Kraft verloren.

      Ihre Krankheit war wie ein Spiegel der Seele: Lichtallergie. Ausgelöst durch Medikamente, verstärkt vielleicht durch das Schattenleben, das sie als Frau führte.

      Was für eine todtraurige Krankheit, wenn die Sonne zum größten Feind wird. Wenn nur die Nacht noch Leben hat; Schattendasein und Gefängnis.

      Dieses kontrollierte Lächeln bei öffentlichen Auftritten, wenn der Kanzler aus Gründen der Etikette seine Frau neben sich brauchte. Diese Einsamkeit mitten im Spektakel der Weltpolitik. Zuerst allein mit den Kindern, dann allein mit ihren karitativen Aufgaben.

      Wie groß war die Bedeutung von Hannelore Kohl für den Aufstieg ihres Mannes, fragte gestern ein Fernsehmoderator einen Kommentator. Immens groß, gigantisch. Er verdankt ihr alles, was er ist.

      Ein einziges Mal hat Hannelore Kohl über die Einsamkeit ihres Lebens geredet: dass sie oft ins Fell ihres Hundes weinte, weil sie so allein war.

      Aus der Dunkelheit ist sie jetzt in den Tod gegangen. Die Kinder sind lang erwachsen, alle Verantwortungen und Pflichten erfüllt. Der einsamste Mensch, den sie hinterlässt, ist jetzt Helmut Kohl. Er hat ihr nicht helfen können.

       7. Juli 2001

      Trotz allem ein Held

      Im tiefen Schock, beim ersten Interview nach der Tragödie von Schönbrunn, passierte dem stellvertretenden Direktor ein Versprecher, den er selber gleich korrigierte: Er sprach vom »Tatort« Jaguar-Gehege. Nein, Tatort darf man nicht sagen, sagte er.

      Mörder hinterlassen einen Tatort. Aber nur Menschen können Mörder sein. Ein Tier ist niemals ein Mörder. Ein Tier ist niemals schuldig.

      Die Jaguare haben nur getan, was in ihrer Natur ist, sagte ein Zoologe. Ihr Revier verteidigt. Die Jaguare konnten nicht anders.

      Wenn Menschen grausame Verbrechen begehen, nennt man sie manchmal Bestien. Aber die einzige Bestie, die es gibt, ist vermutlich der Mensch. Der grausame Tod der Pflegerin, die die Tiere so liebte, war kein Mord. Ein schreckliches Unglück.

      Die Tränen müssen einem kommen, wenn man an das Opfer denkt und an die Menschen, die das Opfer hinterlässt.

      Aber Wut, nein, Wut kann man nicht empfinden. Wut, das ist ein Gefühl, das man kriegt, wenn irgendwo ein Raser einen Menschen umbringt. Wenn ein Mensch ausrastet und zum Mörder wird. Jeden Tag passiert es. Als Einzelfall und in Massen. So grausam, so unmenschlich, wie Menschen sein können, kann ein Tier niemals sein.

      An den Zoodirektor Pechlaner muss man jetzt auch denken. Er hat noch sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um ein Leben zu retten. Er hat vielleicht verhindert, dass noch mehr Opfer zu beklagen sind.

      Es geht ihm, vor allem psychisch, furchtbar schlecht, hieß es gestern. Er fühle sich verantwortlich für den Tod seiner jungen Kollegin. Dabei ist er, mitten in dieser traurigen Geschichte, ein Held. Auch wenn ihm das Wunder der Rettung leider nicht gelungen ist.

       7. März 2002

      Der Müllmann ist tot

      Es war im Morgengrauen. Noch nicht ganz hell. Die meisten Menschen haben noch geschlafen. Der Müllwagen war schon unterwegs, den Abfall vom Wochenende einzusammeln.

      Der Müllmann stand auf dem Trittbrett. Man kennt das Bild, im Sommer und


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