Mitten ins Herz. Marga Swoboda

Mitten ins Herz - Marga Swoboda


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unberechenbare Verkehrssituation, auf die der Fahrer reagieren muss. Hinten die Autofahrer, die ungeduldig sind. Immer diese Staus mit den Müllwagen. Immer diese auf- und abspringenden Müllmänner.

      Der Müllmann stand auf dem Trittbrett. In Wolfsberg in Kärnten. Dann ist das Schrecklichste passiert. Der Müllmann wurde vom Trittbrett gegen eine Wand geschleudert. Der Müllmann ist tot.

      Es wird untersucht, warum das passieren konnte. Der Fahrer des Müllwagens steht unter Schock. Er hat einen Arbeitskollegen verloren. Vielleicht haben sie noch einen Kaffee miteinander getrunken vor dem Einsatz.

      29 Jahre alt war der Müllmann. Ein Leiharbeiter. Einer, der offenbar keine Chance auf ein besseres Leben, einen besseren Beruf hatte. Leiharbeiter ist ein demütigender Beruf.

      Er ist ganz früh aufgestanden, er hat seinen Job gemacht. Den Dreck wegräumen, den die Menschen machen. Ein gefährlicher Beruf. Spring auf, spring ab, Müllmann, dalli, dalli. Die Menschen, die in die Büros und zu ihren wichtigen Terminen müssen, haben es wahnsinnig eilig.

      Helden des Alltags sind das. Jetzt ist so ein Held ums Leben gekommen. Ich möchte dem unbekannten Helden ein ehrendes Andenken bewahren. Und ich möchte nie mehr ungeduldig sein, wenn vor mir ein Müllauto fährt.

       25. Oktober 2011

      Zum Geburtstag eines Helden

      Als sie ihn, nicht zum ersten Mal, in die Intensivstation des Krankenhauses brachten, sagten die Ärzte, viele Hoffnungen soll man sich nicht mehr machen. Er war im Wald verunglückt, beim Holzfällen. Kein richtiger Arbeitsunfall. Der Mann war stockbetrunken gewesen. Lebensgefährlich die Verletzungen, lebensgefährlich die Überdosis Alkohol.

      Der Mann war mit Alkohol praktisch aufgewachsen. Er hatte gelernt, dass richtige Männer Schnaps trinken, viel Schnaps. Als der Mann noch ein Kind war, wurde er mit Most und Bier belohnt, wenn er tüchtig war. Mit siebzehn, nach der Musterung, gewann er sein erstes Kampftrinken. Damals, lallte er später manchmal stolz, seien die anderen wie die Fliegen unter dem Tisch gelegen, und er selber habe noch mit dem Moped heimfahren können.

      Er hat dann auch den Alkoholunfall im Wald überlebt. Das war am 22. März vor 20 Jahren. Die Narben von der Motorsäge sieht man noch an seinem Arm. Zwei Finger sind stumpengroß.

      Jetzt feiert der Mann den zwanzigsten Geburtstag. Geboren ist er vor sechzig Jahren im November, davongekommen im Frühling 1978. Er hat seit diesem Unglück damals nie mehr einen Tropfen Schnaps getrunken. Auch sonst keinen Alkohol.

      Zuerst haben ihm die Ärzte geholfen. Damit er langsam wieder auf die Beine und zur Besinnung kam. Dann hat er diesen Entschluss gefasst. Leben! Das kann kein Arzt für mich beschließen, sagte er. Das muss ich selber tun.

      An jedem Geburtstag geht er in dieses Wirtshaus, aus dem sie ihn früher manchmal tragen mussten. Er trinkt einen Kaffee und macht sich nichts draus, wenn ihn einer hänselt. Sie stellen ihm Schnaps hin, er lässt ihn stehen. Wahrscheinlich ist er ein Held. Aber das sehen seine Kumpels nicht so. Sie saufen noch immer. Sofern sie nicht gestorben sind.

       21. März 1998

      Gesichter nach der Hochrechnung

      Lange Gesichter, kurze Gesichter, Grinse-Fratzen, Frust-Beulen, verlogenes Lächeln, Sieger-Smile, alles da. Ganz großes Theater, viel menschliche Komödie, in diesem magischen Moment, wenn die Wahl geschlagen ist. Manche können dir leidtun, andere möchte man mit nassen Fetzen vom Bildschirm verjagen: Das sind die, die nicht anders können, als aus ihrer Niederlage einen Triumph zu machen. Und wenn ihnen neunzig Prozent der Wähler davongelaufen wären: Schau mich an, schreit das Loser-Ego, so sehen Sieger aus. Wie Fred Feuerstein, der sich auf die Brust klopft.

      Gestaunt hat man, nicht, bei der ersten Hochrechnung. Diese Wahl war die letzte Wahl, bei der ich mich auf depperte Wetten eingelassen habe. Wurscht, ob man einen Bundespräsidenten oder den schönsten Jungbauern wählt: Ich verliere immer. (Wenigstens kein Geld, nur die Ehre.)

      Dabei hätte ich ein Rezept, so sicher wie der Elchtest, wenn es darum geht, voll den Wahlsieger heraushängen zu lassen. Die Gewinnerpartie, bei der absolut nichts schiefgehen kann. Man muss nur den Wählern mit Brief und Siegel die besten Versprechungen machen. Ein paar Angebote, die der mündige Bürger auf keinen Fall ablehnen kann. Beispiele?

      Zehn Wochen Urlaub Minimum. Siebzehn Gehälter, einen Jahresbonus für Sprit für einen Mittelklassewagen. Modegutscheine für die Teenie-Töchter und ein Moped für den Herrn Buben. Kuraufenthalte in eleganten Sonnenzonen und noch viel originellere Sachen. Sonnenklar, dass diese Partei gewinnt. Ansatzweise hat der Schmäh eh schon öfter funktioniert. So, und alles Gute noch, Österreich, mit den frisch gefallenen Würfeln.

       30. September 2013

      Eine Heldin von heute

      Wie lang muss eine Putzfrau arbeiten, bis sie 10 400 Euro beisammen hat? Fast ein Jahreseinkommen, für viele Menschen. Für andere, die das Geld für sich arbeiten lassen, ein Klacks. Für schlaue Berater im politischen Lobbying-Milieu auch.

      Und dann findet eine Putzfrau 10 400 Euro. Auf der Toilette einer Autobahnraststätte im Pongau. Bei der Arbeit findet die Frau das Geld. (Irgendjemand muss ja die Häusln putzen.)

      10 400 Euro. Ein Busfahrer hat seinen Gürtel samt dem Geld liegen lassen. Groß waren die Chancen nicht, das Geld jemals wiederzusehen. Hoch frequentierte Toilette. Einfach nur zugreifen und in der Anonymität verschwinden auf die Autobahn. Kaum ein Risiko. Und ein solcher Gewinn.

      Die Putzfrau hat das Geld gesehen und dem Chef gebracht. Vielleicht hat sie kurz daran gedacht, was man mit so viel Geld alles machen könnte. Die alte Waschmaschine ersetzen eventuell. Ein neues Sofa. Einmal Urlaub machen. (Viel Urlaubsbudget haben Putzfrauen ja nicht. Obwohl sie Urlaub bestimmt dringend brauchen können, bei ihrem Job.)

      Die Putzfrau von der Autobahnraststätte. Eine echte Heldin von heute. Eine Frau, die nicht in Versuchung zu führen war. Eine Frau, die ganz klar unterscheiden kann zwischen Dein und Mein. (Nicht wie manche Politiker.)

      Es steht ihr kein Finderlohn zu. Weil sie im Dienst war. Das Gesetz sieht so was nicht vor, wenn jemand im Rahmen seiner Tätigkeit beim Häusl-Putzen einen Schatz findet.

      Aber der Busfahrer, der sein Geld wiederhat, wird sich erkenntlich zeigen. Und einen Luftsprung machen oder zwei. Wahrscheinlich auch ein Mensch, der ziemlich lange arbeiten muss für so viel Geld.

       11. April 2011

      Eine schöne, kluge Entscheidung

      Man hat die Wahl getroffen, und es ist eine kluge, gute Wahl. Es wird dem Publikum ein langes, kreischendes Hin & Her erspart, und in den Zeitungen muss man nicht monatelang diesen hysterischen Wahnsinn durchblättern: Wer schafft es in die Vor-Vor-Vor-Entscheidung, welcher völlig unbekannte Hiasl ist zu Recht/zu Unrecht hinausgeflogen, welche Pieps-Blondine ist jetzt schon wieder berühmt geworden dafür, dass sie nicht singen kann? (Ja, man kann inzwischen auch berühmt damit werden, dass man etwas nicht kann.)

      Die Entscheidung ist gefallen, das spart Unmengen Geld, Nerven und Zeitungspapier. Song Contest 2014 – der ORF verzichtet auf das ganze Countdown-Kasperltheater und schickt einfach die Beste/den Besten. Das hätte man schon einmal haben können, aber bitte, es musste damals unbedingt in mühsamen Wahlgängen und mit viel Krawall die schlechtere Entscheidung getroffen werden.

      Jetzt aber, endlich, bravo & Tusch: Frau Wurst fährt 2014 für uns zum Song Contest. Conchita Wurst, der süße Damenbart mit der ganz großen Stimme. Frau Wurst kann ihr Handwerk, und sie kann noch viel mehr: Sie hat auch gelernt zu verlieren. Ist wieder aufgestanden und hat sich nicht unterkriegen lassen.

      Mit diesen Qualitäten müssten die Wetten für Frau Wurst jetzt schon sehr gut stehen. Alles Gute, Darling, und danke an den ORF, dass er einem diese ganzen Quietsch-Abende


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