Mitten ins Herz. Marga Swoboda

Mitten ins Herz - Marga Swoboda


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fast alle Mädchen beim Bäcker Gruber an der Theke stehen oder beim einzigen Figaro des Ortes die Lehre machen. Die ganz Coolen, also die Gabi, die Hermine und ich: Wir wollten Stewardessen werden. Ich, ausgerechnet, mit meiner Flugangst. So super ist der Job aber heute eh nicht mehr.

      Und erst Verkäuferin. Lang vorbei, die Kaufladen-Romantik wie in der Puppenstube. So viele kleine Geschäfte, die längst entschlafen sind. In den großen Geschäften ein Druck wie an der Börse: Der Mensch ist kein Mensch mehr, nur noch ein Kostenfaktor, der den Umsatzschlüssel erfüllen soll. Muss. Weil wenn der Umsatz nicht passt, wird gefeuert. Schon einmal in die angstmüden Augen einer Verkäuferin geschaut in einem Supermarkt, der nicht gut läuft? Trauriger Anblick.

      Anderswo kommen Verkäuferinnen kaum zum Durchschnaufen, und dafür sind sie dankbar. Man sagt ja, es geht den Menschen gut, wenn die Wirtschaft brummt und summt. Immer schön freundlich und fröhlich bleiben! Auch wenn die Kundschaft, fallweise, ein Benehmen wie ein durchgeknallter Affe hat. Wer zahlt, befiehlt, und dazu kann man sich allerhand anhören.

      Besonders im Luxusbereich sind die Businessleute sehr zufrieden. Handtaschen, für die eine Verkäuferin drei Monate arbeiten muss. Accessoires um den Preis eines Monatsbudgets einer Durchschnittsfamilie. Was sich wohl das Personal so denkt, wenn benehmensverarmte Damen die Kreditkarte glühen lassen? Am besten gar nichts.

      Traumberufe sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Und die Verkäufer und Verkäuferinnen sind echte Helden. Insbesondere zur Weihnachts-Wahnsinns-Zeit. Nerven habt ihr! Danke.

       12. Dezember 2012

      Sein Bruder, der Held

      Florian Lauda sah man selten in der Zeitung und an den Theken. Wenn ihn Reporter irgendwo erwischten, dann fragten sie ihn: Wie ist das, der kleine Lauda zu sein? Wie lebt es sich im Schatten von Niki? Sind Sie neidisch auf Nikis große Erfolge? Florian Lauda. Sieger sehen anders aus. Florian Lauda. Ein komischer Kauz. Und jetzt die Geschichte mit der Niere. Niki Lauda, der seine Krankheit so perfekt geheim hielt wie die Hochzeit mit der AUA und die Scheidung von seiner Frau. Niki Lauda, der aus dem Wiener AKH melden ließ: Transplantation gelungen. Patient wohlauf. Er hat jetzt drei Nieren. Und diese dritte Niere ist ein Geschenk des Bruders. Und diese dritte Niere rettet ihm vielleicht ein langes Leben. Und das verdankt er seinem kleinen Bruder.

      Man sagt sehr leicht: Ich würde alles tun für meinen Bruder, meine Schwester. Und dann steht man vor der Frage: Geb ich ein Stück meines Lebens, meines Körpers her?

      Florian Lauda hat es getan. Hat sich diese Niere aus dem Leib schneiden lassen für Niki.

      Die Welt kennt den großen Bruder, den Weltmeister, den Tausendsassa. Man hat den kleinen sogar das schwarze Schaf genannt. Und jetzt ist plötzlich Florian der Weltmeister unter den Laudas. Weltmeister in der schwierigsten Disziplin: Mut zur Liebe. Kleiner Bruder, großer Held. Auch wenn es keine Lorbeerkränze und keine Fanclubs dafür gibt. Zwei Brüder, so verschieden wie Tag und Nacht. Der aus dem Schatten hat vielleicht doch das hellere Licht. Gute Besserung und ein langes Leben den beiden.

       27. April 1997

      Der Krüppel Zilk

      Vor acht Tagen halb verblutet und gestern eine Stunde Infotainment vom Feinsten gegeben. Besser als Gottschalk und Schreinemakers zusammen. Dieser Bürgermeister ist einfach unfassbar.

      Seine drastischen Schilderungen von der Briefbombenexplosion. Vom Blut, das in Fontänen aus dem Körper schoss. Von Fleischklumpen, die auf dem Teppich lagen oder noch an dem baumelten, was vorher eine Hand gewesen war. Dagmar Koller, die danebensitzt und sich nur mühsam beherrschen kann, als sie das alles noch einmal in solchen Worten miterleben muss. Zilks mutige Sätze über Gewalt, Demokratie und über die Nazis, die damals nicht anders begonnen haben. Damals, als Zilk noch ein Kind war.

      Der schwarze Humor, mit dem Zilk die entscheidenden Minuten seines Überlebens schildert: die Minuten, als man diese gottverdammte Schnur suchte, um den Arm abzubinden. Und wie das beinahe noch schiefgegangen wäre, wegen dieser Unordnung in diesem Künstlerhaushalt, und wie ihn das beinahe das Leben gekostet hätte.

      Das Bekenntnis des Bürgermeisters, nun für immer ein Krüppel zu sein. Er sagte Krüppel, nicht Behinderter. Er sagte, er wolle dieses Wort. Er wolle ein Krüppel sein, um solidarisch zu sein mit allen, die man mit diesem Wort je gedemütigt hat. Seit gestern ist jeder Krüppel ein Held.

      Und schließlich, am Ende der Sondersendung, die sich Pressekonferenz nannte und die alle Journalisten zu Stichwortgebern degradierte: am Ende die rührende, ehrliche und mediengeniale Nummer mit dem Ehering. Der Ehering, gerettet aus dem blutigen Inferno und nun von Dagmar Koller mit bebenden Händen erneut auf den Ringfinger der gesunden Hand gestreift.

      Noch dem härtesten Hund musste da eine Träne ins Knopfloch tropfen.

       14. Dezember 1993

      Der stille Augenblick des Siegers

      Wir haben seine nassen Augen gesehen. Eine stille Träne, in der alles drin war: die Angst von damals, dass er sein kaputtes Bein verlieren könnte. Die Schmerzen und die eiserne Disziplin auf dem langen Weg zurück. Die Zweifel und die depressiven Gedanken, dass es vielleicht nie mehr so sein wird wie früher. Warum nicht alles hinwerfen? Nein, weitermachen. Kämpfen.

      All das war drin in dieser stummen Träne von Hermann Maier. Die Summe daraus ist Glück, pures Glück. Der schönste Augenblick des Lebens vielleicht. Der Maier hat schon alles gehabt. War im Olymp und hat alle anderen und alles hinter sich gelassen. Siegen war Routine. Das ist doch kein Mensch mehr, das ist eine Siegermaschine, sagten die Leute.

      Alles bisher Dagewesene übertroffen mit diesem Sieg gestern in Kitzbühel. Kitsch und Rührung überfallen einen als Zuschauer, wie ein Spruch aus dem Poesiealbum: Sich selbst bekriegen ist der schwerste Krieg, sich selbst besiegen ist der schönste Sieg.

      Und wie still und leise so ein Sieg sein kann, sah man gestern. Demut und Dankbarkeit statt Gebrüll und Überschwang. Wie ein kleines Kind sah der Riese einen Moment lang aus.

      Jetzt können wieder Siege in Serie kommen. Das ist sicher drin. Aber nie mehr wird dieses Gefühl zu stoppen sein: Ich habe es geschafft, mit dem kaputten Haxen. Es hat sich ausgezahlt, nicht aufzugeben. Es hat sich gelohnt, durch die allerdunkelsten Stunden zu gehen.

      Kann noch jemals irgendwas Schöneres kommen im Maier-Leben? Aber sicher. Irgendwann, wenn eine kleine Maierin oder kleiner Maier den ersten Schrei tut. Dann wird er vielleicht wieder nasse Augen haben vor Glück. Und sagen: Das war der schönste Augenblick meines Lebens. Schöner noch als damals in Kitzbühel das Comeback am 27. Jänner 2003.

       28. Jänner 2003

      Zerschmetterte Helden

      Zufallsgespräch mit einem Mann von der Bergrettung. Er hat schon mehr als sechzig Sommer in der Höhe verbracht. Seine ersten Schritte machte er auf der Alm. Und die Winter dort oben, die kennt er auch, und er fürchtet sie. Aber nicht so, wie man ein Ungeheuer fürchtet. Eher wie man Gott fürchtet.

      Die Nachrichten aus den letzten Tagen haben den Mann zornig gemacht. Jeden Tag fallen ein paar herunter, weil sie verrückt sind, und jeden Tag wollen neue Verrückte hinauf. Hinauf wollen sie alle. Wir waren auch jung und stürmisch, sagt der Mann, der noch lange nicht alt ist. Aber wir haben gewusst: Gegen den Berg ist kein Duell zu gewinnen. Du bist der Verlierer in dem Moment, wo du glaubst, dass du der Größte bist.

      Die Nachrichten aus den letzten Tagen klangen immer ungefähr so: Nicht ausgerüstet für den Gipfelsturm. Selbstüberschätzung. Alle Gebote des Berges missachtet. Heruntergefallen. Tot.

      Der Mann, den diese Nachrichten so aufregen, hat schon Hunderte Bergsteiger geborgen. Manche nur erschöpft und unterkühlt, manche schwer verletzt, manche nicht mehr zu retten. Er hat sein eigenes Leben nicht nur einmal aufs Spiel gesetzt.

      Vor ein


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