Moderne Hypnosetechnik. Tony Gaschler
Ein neuer Begriff: Videe
Um den neuen Begriff Videe so klar wie möglich zu erklären, ein Beispiel: Wenn sich jemand Napoleon vorstellt, so wie er ihn auf einem Bild gesehen hat, dann stellt er sich eine Idee vor. Diese ist passiv und löst in ihm keine besondere Wirkung aus. Stellt sich einer vor, er wäre Napoleon oder er hätte die Rolle Napoleons zu spielen, dann stellt er sich eine Videe vor das Bewusstsein. Sein ganzes Verhalten, sein Auftreten, seine Gesichtszüge und seine ganze Persönlichkeit verändern sich und passen sich zielstrebig der Videe an. Merken Sie sich: Ideen sind passive Vorstellungen, passive Urbilder. Sie erzeugen im ideomotorischen System keine Wirkung. Videen dagegen sind aktive, dynamische Vorstellungen, aktive und wirkende Urbilder. Sie lösen im ideomotorischen System Aktionen aus.
3. Lektion
Der erste Suggestionsversuch
Diesen Versuch können Sie in Anwesenheit mehrerer Personen machen, die wir ab jetzt Versuchspersonen nennen. (Abkürzung VP, Mehrzahl: VPs.) Sagen Sie zu Ihren VPs, dass Sie interessante psychologische Versuche machen möchten, welche zeigen, wie leicht sich lebhafte Vorstellungen verwirklichen können. Zeigen Sie zuerst selber, wie leicht bei Ihnen das Pendel auf die bloße Vorstellung hin zu schwingen beginnt. Dann lassen Sie die erste VP an den Tisch setzen, an dessen andere Seite Sie sich stellen (Abb. 3).
Jetzt sagen Sie zur VP: „Nehmen Sie das Pendel so wie ich vorhin. Sehen Sie das Pendel an und bringen Sie es zum Stillstand über dem Mittelpunkt des Kreises“. Wenn das der VP nicht gleich gelingen sollte, halten Sie das Pendel etwas fest, bis es stillsteht. „Ab jetzt achten Sie nicht mehr auf den Arm und auch nicht auf die Hand, die das Pendel hält. Achten Sie dafür ganz genau auf meine Worte, die ich zu Ihnen sage. --- Stellen Sie sich jetzt ganz, ganz lebhaft vor, dass das Pendel von links nach rechts hin- und her schwingt. --- Immer mehr und mehr auf die Linie L-R hin- und her schwingt“. Dabei deuten Sie selber mit Ihrem Finger dieses Hin- und Herschwingen auf dem Tisch an, wie in Abb. 3 gezeigt. Passen Sie dabei den Rhythmus Ihres Fingers den sich gleich zeigenden schwachen Hin- und Herbewegungen an. Wenn das Pendel deutlich zu schwingen begonnen hat, sagen Sie weiter: „Jetzt wird die Schwingung immer stärker. --- immer stärker und stärker. --- Immer mehr und mehr schwingt das Pendel hin --- her --- hin --- her--- hin --- her.“ Diese letzten Worte passen Sie den Schwingungen des Pendels an. Wenn die Schwingung des Pendels ganz deutlich ist, beendigen Sie den Versuch und sagen zur VP: „Sie haben jetzt gesehen, wie leicht sich auch bei Ihnen lebhafte Vorstellungen verwirklichen. Der Versuch ist jetzt beendet. Legen Sie das Pendel weg!“
Dieser Versuch, wenn er mit mehreren Personen hintereinander gemacht wird, zeigt ihnen, wie verschieden die VPs reagieren. Der Unterschied zeigt sich sowohl in der Reaktionszeit wir auch in der Intensität des Pendelausschlages. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, das Pendel als Messinstrument für die Beeinflussbarkeit einer Person zu verwenden. Kurze Reaktionszeit und großer Pendelausschlag = leicht beeinflussbar. Lange Reaktionszeit und geringer Pendelausschlag = weniger leicht beeinflussbar. Keine Reaktion und nur ganz schwacher Pendelausschlag = schwer beeinflussbar.
Planmäßig Versuchspersonen finden
Um weitere Versuche planmäßig gestalten zu können, legen Sie sich ein Heft an, in welches Sie die Ergebnisse Ihrer Versuche eintragen.
Nehmen Sie dabei eine Klassifizierung Ihrer Versuchspersonen vor. Je nach Ergebnis eines Versuchs bekommt also jede einzelne VP eine Bewertung.
KLASSE I = Personen, bei denen die Versuche überdurchschnittlich gut gelungen ist (besser als erwartet)
KLASSE II = Personen, bei denen ein Versuch gut gelungen ist. (wie erwartet)
KLASSE III = Personen, bei denen der Versuch mangelhaft gelungen ist. (schlechter als erwartet)
KLASSE IV = Personen, bei denen der Versuch nicht gelungen ist oder bei denen sich Schwierigkeiten einstellten. Mit solchen Personen machen Sie keine weiteren Versuche mehr. Gehen Sie von dem Grundsatz aus, dass Versuche mit guten oder geeigneten VPs Ihnen Erfahrungen vermitteln. Dass aber jeder Versuch mit einer schlechten und ungeeigneten VP immer nur Zeitverschwendung ist und Ihnen außerdem schaden kann, denn durch Misserfolge leidet Ihr Selbstvertrauen und Ihr Interesse am Studium.
Damit Sie klar wissen, welche VPs Sie zu Versuchen verwenden sollen, wiederholen Sie mit der Klasse III den jeweiligen Versuch. Gelingt es wieder mangelhaft, dann geben Sie der betreffenden VP Klasse IV. Ist der Versuch besser als der erste, geben Sie Ihr Klasse II.
Zu den weiteren Versuchen nehmen Sie immer nur VPs mit Klasse I oder II.
Wachsuggestionsversuche
Es gibt eine Reihe von Versuchen, die sich bereits mit wachen VPs durchführen lassen, ohne das diese zuerst hypnotisiert worden sind. In der Literatur findet man dafür die Bezeichnung: Wachsuggestion oder Wachhypnose. Da aber meiner Erfahrung nach die VPs bei solchen Versuchen weder ganz wach noch ganz in Hypnose sind, verwende ich dazu die Bezeichnung: Suggestionsexperimente, beziehungsweise in dieser Selbstunterrichtsmethode: Suggestionsversuche. Da bei solchen Versuchen fast immer ein Zustand auftritt, der zwischen Wachsein und eigentlicher Hypnose liegt, ein halber Hypnosezustand oder eine Halbtrance, könnte man auch von Halbtranceversuchen sprechen. Aber wollen wir nicht unnötig zu viele neue Begriffe einführen. Solche Versuche werden vielfach zum Erlernen des Hypnotisierens verwendet, besonders in den Vereinigten Staaten, wo Hypnose viel mehr bekannt und viel weiter verbreitet ist als bei uns. Und in der Tat eignen sich diese Versuche auch gut dazu, da die Halbtrance sich leicht zur Vollhypnose ausweiten lässt, wie Sie in den Lektionen 7 bis 12 noch erfahren werden.
Worum es bei Suggestionsversuchen geht
Bei Suggestionsexperimenten geht es darum, dass es Ihnen gelingt, Ihre Worte, Gesten und Handlungen bei den Versuchen so zu gestalten, dass diese klare und intensive Videen ausdrücken. Nur wenn Sie tatsächlich die VP beeindrucken und beeinflussen können, gelingt es Ihnen, deren ICH aus dem Mittelpunkt des Bewusstseins zu verdrängen und dann können Ihre Videen in das ideomotorische System der VP gelangen, wo sie die gewünschten Wirkungen auslösen.
Da Suggestionsversuche schon tief in das seelische Gefüge eines Menschen eingreifen können, muss ich Ihnen jetzt eine Aufstellung von Grundregeln vorlegen, die Sie alle berücksichtigen müssen, wenn Ihre Versuche ungefährlich sein sollen.
Grundregeln für Suggestionsversuche
1. Als Versuchspersonen NUR gesunde und normal intelligente Menschen verwenden.
2. Dafür sorgen, dass jeder Versuch vollkommen ungestört durchgeführt und vollendet werden kann.
3. Jedes Wort und jeder Satz, der zur VP gesprochen wird, muss klar, präzise und eindeutig sein.
4. Jede Beeinflussung muss durch entgegen gesetzte Beeinflussung wieder aufgehoben werden. Dies ist sehr wichtig, da Beeinflussungen auch nach dem Versuch in der VP weiterwirken können.
5. Bei allen Versuchen ganz ruhig und selbst beherrscht sein. Auch dann, wenn etwas nicht gelingt. Sie dürfen bei den Versuchen NIE die Ruhe verlieren!
6. Jeder Versuch soll vorher geplant und schriftlich fixiert werden. Wenn es Ihnen möglich ist, nehmen Sie jeden Versuch auf ein Tongerät auf.
7. Auch wenn eine VP auf eine Beeinflussung (Suggestion) nicht reagiert, immer die Gegenbeeinflussung (Gegensuggestion) geben. Wenn Sie z.B. sagen: „Sie können jetzt den Arm nicht mehr bewegen!“ und die VP bewegt ihn doch, dann MÜSSEN Sie auf jeden Fall nachher die Gegensuggestion geben: „Sie können jetzt Ihren Arm wieder bewegen!“
8. Machen Sie nie einen Versuch, den Sie nicht vorher beherrschen. Imaginationsübungen mit eingebildeten VPs (wie in 1. Lektion, letzter Absatz beschrieben) helfen Ihnen, einen Versuch zu beherrschen.