Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule. Группа авторов
Daniel B. Peterlunger
Wenn früher das Wort Indianer fiel, dachte man an den guten Winnetou. Du auch?
Schon als Kind, noch vor den Winnetou-Filmen, habe ich mich für die Indianer interessiert. Als Jugendlicher gefielen mir die Filme, obschon sie viel Kitsch servierten. Doch das spielte damals keine Rolle. Ich las viel über die Indianer: Biografien, historische und ethnologische Abhandlungen. Ich sah Bilder von Menschen und Landschaften und fühlte eine unerklärlich starke Anziehung zu den Black Hills, die im US-Bundesstaat South Dakota liegen. Die weite und unberührte Landschaft ist die geologisch älteste Gebirgsformation der Welt und ähnelt ein bisschen dem Jura. Mich faszinierten diese Region und das indigene Volk der Lakota, die manche auch Sioux nennen, ein Übername, den die französischen Kolonialisten geschaffen hatten.
Woher rührt dein spezifisches Interesse an den Lakota?
Die Lakota – der Name bedeutet «Freund» oder «Alliierter» – haben eine besondere Geschichte: Die meisten indianischen Nationen waren bereits unterworfen, als die Lakota noch für ihre Freiheit kämpften. Sie und die Vietnamesen sind die einzigen Völker, die den USA eine militärische Niederlage bereiteten. Der Lakota- und Cheyenne-Sieg führte 1868 zwischen der souveränen Nation Lakota und den USA zum historisch wichtigen Vertrag von Fort Laramie. Er bestätigte, dass den Indianern ein riesiges Territorium gehört. Später brachen die USA den Vertrag. Nebst der Lakota-Historie beeindruckt mich ihr Wissen über die Natur, den Kosmos und das menschliche Zusammenleben. Doch ich wusste – vor meiner Reise zu den Lakota –, dass sich ihre Lebensweise stark verändert hatte und dass nicht Bisons oder Tipis ihren Alltag prägen.
Wie verlief die erste Begegnung?
Ich muss kurz ausholen: Als ich 14 war, starb mein Vater. Es war eine schwierige Zeit. Damals entschied ich – ja, es war ein Beschluss –, dass ich von jetzt an immer meinen Träumen folgen will. Nach dem Lehrabschluss reiste ich also mit 19 zum ersten Mal in den USA, per Anhalter und mit wenig Geld. Und schliesslich erreichte ich die Black Hills.
Wie wars?
Desillusionierend! Obschon ich ja von den Veränderungen wusste, traf mich die erschreckende Armut, die ich sah, unvorbereitet. Ich war schockiert über die materielle und vor allem kulturelle Armut. Ich begegnete nur bettelnden Alkoholikern! Dass sich hinter dieser Realität eine besondere Kultur, Weisheit und Würde verbarg, glaubte ich zu wissen. Doch wie es erkennen? Wie dahin gelangen?
Hatte sich dein Traum verflüchtigt?
Nein. Es war gut gewesen, die deprimierende Situation und die Dritte-Welt-Strukturen in den Indianerreservaten zu erleben. Ich reiste ab, um es zu verdauen. Zwei Jahre später war ich wieder dort: diesmal als Freiwilliger der Hilfsorganisation Service Civil International. Im Pine-Ridge-Lakota-Reservat arbeiteten wir an der Infrastruktur, reparierten auch Autos, strichen Häuser oder halfen, Salbei einzusammeln, der für den Sonnentanz und andere Riten benötigt wird. So lernte ich interessante Lakota-Persönlichkeiten kennen. Prägend war die Begegnung mit Frank Foolscrow, den man als eine Art Dalai Lama der Lakota bezeichnen könnte, um zu zeigen, welche Bedeutung er dort hat. Ich traf Indianer, die ihre traditionelle Kultur leben und sie in die heutige moderne Zeit einbetten. Ich kam in Kontakt mit Bison- und Pferdezüchtern, traditionellen Heilern und Musikern. Mir eröffnete sich das gesellschaftliche Netz einer besonderen Kultur, die lebt.
… die du ursprünglich gesucht hast?
Genau!
Vielen gilt: Rothaut gut, Bleichgesicht schlecht.
Ja, ein altes Vorurteil: der edle Wilde, der eins ist mit der Natur, alles weiss und mit den Tieren spricht. Das ist Unsinn. Auch das gegenteilige Vorurteil existiert: Alle Indianer sind alkoholisierte Faulpelze. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Dein Einsatz bei der Hilfsorganisation ging zu Ende, du wurdest Bordmechaniker bei Greenpeace.
Das war eine interessante und abenteuerliche Zeit. Die von viel Idealismus geprägte Arbeit hatte den Vorteil, dass, gemäss Seerecht, auf acht Monate Arbeit vier Monate bezahlter Urlaub folgen. So konnte ich ab 1986 jedes Jahr zu den Lakota reisen und meine Freundschaften pflegen. Doch sechs Jahre Greenpeace-Arbeit – obschon spannend – reichten mir. Aber einen «normalen» Job in der Schweiz suchte ich nicht. Zu diesem Zeitpunkt lief der Film Dancing with Wolves. Dadurch erfuhr der Tourismus in den Indianergebieten South Dakotas einen enormen Aufschwung: plus 70 Prozent! Damit stieg auch die Nachfrage nach indianischem Kunsthandwerk. Viele Indianer sind künstlerisch sehr begabt, und ich kannte mehrere persönlich. So beschloss ich, gutes und authentisches Kunsthandwerk zu fairen Preisen zu kaufen und in der Schweiz an Ausstellungen anzubieten.
Wie hat sich deine Beziehung zu den Indianern entwickelt?
Durch diese Geschäftstätigkeit lernte ich weitere Lakota kennen. Die bereits seit Jahren bestehenden Beziehungen vertieften sich. Die Lakota spürten, dass ich mich ernsthaft darum bemühte, mich ihrer Kultur mit Respekt zu nähern – und ich denke, das war entscheidend. Ich wurde in Grossfamilien integriert. Und vor zehn Jahren adoptierte mich die Familie Bluelightning als Lakota-Mitglied.
Wie muss man sich das vorstellen?
Die Lakota befolgen sieben Riten, einer davon ist der Hunka-Ritus: Diese Regel verlangt, dass es in der Lakota-Gesellschaft keine Waisenkinder, alleinstehende Kranke oder Alte geben soll, auch keine verwaisten Nicht-Lakota im nächsten Umfeld. Durch die Adoption erhielt ich einen neuen Namen und auch eine neue Heimat. Es bedeutet, dass ich immer ein Dach über dem Kopf und zu essen habe. Natürlich bin ich verpflichtet, dies auch anderen anzubieten.
Die Adoption darf nicht als romantische Angelegenheit verstanden werden, sondern ist ein traditionelles, in der Vorzeit begründetes Konzept des Überlebens und der gesellschaftlichen Integration. Früher ging das so weit, dass man sogar seinen Feind adoptierte, um die Chance zu erhalten, eigene Emotionen – Hass! – in Anteilnahme zu verwandeln.
Was bedeutet dir die indianische Kultur?
Die Lakota sind ein indigenes Volk, dessen Lebensweise, Kultur und Wissen bedroht sind. Das ist ja bei den meisten Indigenen der Fall. Obschon die Lakota ihre alte Lebensweise weitgehend verloren haben, besitzen doch rund 10 Prozent ein enormes Wissen über unterschiedlichste Aspekte des Lebens, über die Flora und Fauna und Heilmedizin. Und das ist nicht nur für mich von Bedeutung, es kann für uns alle wertvoll sein. Sie entdeckten beispielsweise Echinacea …
… das bei uns unter anderem als Produkt - Echinaforce bekannt ist?
Genau. Dr. Vogel brachte es in den 1950er-Jahren in die Schweiz. Oder: Die Lakota wissen, wie man ein soziales System organisiert, um friedlich zusammenzuleben. Dabei wird die Eigenverantwortung stark betont. Aber nicht zum Eigennutz, sondern um selbstständig Gutes für andere zu tun, damit die Gesellschaft insgesamt harmonisch lebt. Das finde ich faszinierend. Es ist der Schlüssel zu einer Tür, die in eine andere Welt führt. Andere Indianer, die Irokesen etwa, haben unsere heutige Welt auch beeinflusst, nämlich durch ihre demokratische Verfassung, die unter anderem gleiche Rechte für Mann und Frau festschrieb und der späteren US-Verfassung teilweise als Vorlage diente, die wiederum die Schweizer Bundesverfassung von 1848 beeinflusste.
10 Prozent der Lakota besitzen wertvolles Wissen, sagst du. Wie viele Lakota gibt es?
Im Pine-Ridge-Reservat leben 20000 Menschen. Davon leben etwa 20 Prozent traditionell unter Einbezug der Moderne, weiteren 20 Prozent bedeutet die Tradition wenig. 60 Prozent sind leider Alkoholiker und arbeitslos. Das ist jedoch kein typisch indianisches Problem. Bei vielen Indigenen, die unter kulturellem Anpassungsdruck stehen, ist das so – etwa bei den Aborigines in Australien.
Sich mit Indianern zu beschäftigen, in Schwitzhütten zu sitzen, jährlich einmal im Tipi zu übernachten und