Slaughter's Hound. Declan Burke

Slaughter's Hound - Declan  Burke


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die manischen Phasen nicht weniger schlimm. Diese grausame Energie brachte ihn dazu, gegen Wände zu hämmern oder in der Dusche auf den Knien die Kacheln zu bearbeiten. Irgendetwas Dunkles durchzuckte seine Adern, schlug alle Warnungen und Angstgefühle in den Wind und hatte ihn in seiner Jugend zu einem Skateboard-Wunderkind gemacht und zu einem BMX-Champion. Das alles erzählte er mir, während er auf dem unteren Bett lag und nicht in der Lage war, mir in die Augen zu sehen. Seine Notaufnahme-Protokolle dokumentierten Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen, zweifachen Schädelbasisbruch, eine Netzhautablösung. Opfergaben auf dem Altar des Finn, Geschenke, die er darbrachte, während er immer wieder seine Grenzen überschritt und anstürmte gegen eine herzlose Welt, in schnellen Autos, auf Skiern und Snowboards, auf Wellen reitend oder von Klippen springend, die nie hoch oder steil genug sein konnten.

      Die Psychologin meinte, dieser Drang würde sich in den abgefackelten Gebäuden manifestieren. Die wären so was wie Strohmänner seiner selbst, Selbstprojektionen, gegen die er anging. Für mich klang das arg simpel. Aber Finn meinte, sie könnte vielleicht recht haben, schon allein deshalb, weil es sowieso nur schlecht ausgehen konnte, sich gegen eine Frau zu stellen, an deren Hüften die Zellenschlüssel klimperten, metaphorisch gesprochen oder auch nicht.

      Vor allem aber stimmte er ihr zu, weil sie ihn zum Malen anspornte, dazu sich selbst auszudrücken, sich zu läutern im Rahmen der Grenzen, die die Gesellschaft uns freundlicherweise zugesteht. Schließlich gelang es ihm, sich zu beherrschen, sich vielleicht sogar zu zähmen, sich zwischen Hochs und Tiefs einzuspannen wie eine Leinwand, gespachtelt und geglättet und so fest auf den hölzernen Rahmen genagelt wie ein Trommelfell, das bei der leisesten Berührung vibrierte.

      »Sie sind hier leider am falschen Ort.«

      Als ich die Treppe hochschaute, war sie schon halb nach unten gestiegen, gleitend, eine Hand auf dem Geländer, bekleidet mit einer Latzhose mit zahlreichen Farbspritzern und nicht besonders viel darunter. Barfuß und kurz davor laut loszukichern, auch wenn das möglicherweise nur der Eindruck war, den die genetisch bedingte Form ihrer babyrosafarbenen Lippen nun mal erweckte. Ich sah zu, wie sie die Stufen hinabschritt, und sie wirkte kein bisschen überrascht.

      »Der Tote ist im Leichenschauhaus«, sagte sie. »Jedenfalls das, was von ihm übrig geblieben ist.«

      Sie war noch zwei Meter entfernt und näherte sich rasch. Schüchtern wie Gilda, das kleine Pony. Sie hatte kein Makeup aufgelegt, aber ihre Haut hatte einen makellosen Latte-Macchiato-Ton, ihre mandelförmigen Augen waren von dem schwer fassbaren Blau, das man im Innern eines Diamanten findet. Sie musste gerade noch in den Teens sein, wenn ich mich richtig erinnerte, vielleicht auch ein bisschen älter.

      »Ich bin nicht der Bestatter.«

      »Sind Sie nicht?« Sie war jetzt nahe genug gekommen, um zu sehen, was es mit meiner Hose, dem weißen Hemd und der schwarzen Krawatte tatsächlich auf sich hatte. Der Latte-Teint bekam einen Hauch von Rot, es war ihr peinlich, dass sie mich für einen Dienstboten gehalten hatte. »Kannten Sie Finn?«

      »Ganz genau. Ich bin Harry.«

      »Ich kann mich nicht erinnern, dass er Sie erwähnt hat.« Sie hielt mir ihre zierliche Hand hin. »Ich bin Grainne.«

      »Ich weiß.« Ich gab der zarten Hand einen ganz sanften Druck. »Wir haben uns schon mal gesehen. Bei der Hochzeit von Paul und Andrea. Es tut mir sehr leid.«

      »Warum?« Ein kobaltfarbenes Lodern. »War es Ihre Schuld?«

      »Ich war jedenfalls dort.«

      »Sie meinen, Sie hätten ihn davon abhalten können?«

      »Wenn ich es geahnt hätte, wohl schon.«

      »Gegen seinen Willen?«

      »Wenn es nötig gewesen wäre.«

      »Sie sind ja ein schöner Freund.«

      »Jedenfalls würde ich mich jetzt besser fühlen.«

      Das Lodern flackerte und verlosch. »Es ist durchaus üblich, dass man sich persönlich verantwortlich fühlt. Sie kommen darüber hinweg.«

      »Freut mich, das zu hören.«

      »Halten Sie mich für kalt?«

      Ich hielt sie für leer. Noch immer unter Schock und Beruhigungsmitteln. Wenn man das kobaltfarbene Lodern hinter sich hatte, wirkten die Augen ein bisschen zu geweitet und ihr Blick leicht desorientiert, wenn sie versuchte, ihr Gegenüber direkt zu mustern. Es waren tatsächlich Diamantenaugen, kalt und glitzernd und alterslos.

      »Ich fürchte aber, Sie werden sich erkälten«, sagte ich, »wenn Sie so herumlaufen. Bemalen Sie auch noch was anderes als Latzhosen?«

      Sie kicherte, aber nicht wegen meiner Anspielung. »Ich weiß jetzt, wer Sie sind«, sagte sie. »Sie waren auf der Hochzeit.« Sie stutzte. »Wessen Hochzeit war das noch mal?«

      »Die von Paul und Andrea.«

      »Genau die, ja. Sie hat dieses Retrokleid angehabt.«

      »Hat sie.« Ich fragte mich, wo Simon und Gillick blieben.

      Grainne kicherte wieder. »Geht’s Ihnen gut?«, fragte ich.

      Sie schüttelte den Kopf und blinzelte mehrmals. »Ich versuche mir vorzustellen«, erklärte sie, wobei sie die Worte sehr deutlich aussprach wie eine Betrunkene, die gerade einen klaren Moment hatte, »ob es so etwas wie die Angst vor dem Nicht-Fallen gibt. Wäre es nicht witzig, wenn Finn an so etwas wie umgekehrter Höhenangst gelitten hätte?«

      Ich dachte an den verkohlten Fleischklumpen, der mal ihr Bruder gewesen war. »Von hier aus betrachtet vielleicht schon.«

      »Obwohl ja, genau genommen, Höhenangst nicht die Angst vor der Höhe ist, sondern die, von dort herunterzufallen. Ich will nur hoffen, dass er es genossen hat.«

      Jeder geht auf seine Weise mit dem Tod um. Manche weinen und jammern, gehen in Sack und Asche. Andere tun cool, begegnen ihm mit billigen Scherzen und hoffen, dass sie dafür geschlagen werden, damit sie endlich weinen können.

      Wir hatten uns immer noch an den Händen gefasst. Ich ließ jetzt los.

      »Sie sind sentimental«, sagte sie. Es war eine Anklage. »Sie sind genau wie die anderen, Sie wollen die Wahrheit nicht hören.«

      »Vielleicht wollen die anderen ja bloß Sie nicht hören.«

      Das schwer fassbare Blau flammte erneut auf. Sie gab einen Laut von sich wie eine neugierige Katze. »Oh, Sie sind anders. Wir beide sollten uns mal unterhalten.«

      »Jederzeit. Rufen Sie einfach die Telefonseelsorge an, ich bin immer im Dienst.«

      Ich hätte ihre Hand nicht loslassen sollen, aber es war bereits zu spät. Ich war total erschöpft, da macht man nun mal Fehler. Ihre Fingernägel kratzten über meine Wange. Ohne weitere Körperbewegung. Sie streckte einfach die Hand aus und bohrte ihre Krallen in mein Fleisch.

      In einer einzigen, flüssigen Bewegung. Es war nicht das erste Mal.

      Ich schnellte zurück und legte eine Hand an die Wange, betastete die Wunde. Ich blutete. Genau darauf hatte sie es abgesehen. Wegen des Anblicks oder vielleicht auch des Geruchs, irgendwas erregte sie daran. Beim zweiten Mal sprang sie auf mich zu. Ich stemmte meine flache Hand gegen ihre Stirn. Sie schlug wild um sich, streifte meine Brust und versuchte dann, mit ihren nackten Füßen nach meinem Schienbein zu treten, stöhnte laut auf und bleckte die Zähne, während sich weißer Schaum in den Winkeln ihrer babyfarbenen Lippen bildete.

      Ich hörte, wie eine Tür aufging.

      »Wenn Sie so freundlich wären, Mr Rig- … Grainne

      Sie prallte zurück wie ein überdehntes Gummiband, das sich zusammenzieht, sackte in sich zusammen und flitzte die Treppe hinauf. Eine Tür wurde zugeschlagen.

      Ich fand eine Serviette mit aufgedruckten bunten Luftballons in meiner Tasche und tupfte mir die Wange ab, während Simon sich in Grainnes Namen entschuldigte.

      »Sie ist völlig verstört,


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