Slaughter's Hound. Declan Burke
zeichneten sich unter dem weißen T-Shirt ab. Er trug fast immer das Gleiche: weißes T-Shirt, verblichene Levis, braune Wildleder-Mokassins, helle Bartstoppeln. Keine Socken. Die flachsblonden Haare ein struppiger Topfschnitt wie beim späten Brian Jones. Unter dem Pony lugte ein waches Gesicht hervor, mit einem einnehmenden Lächeln und strahlend blauen Augen.
Hinter ihm standen Verstärker, Rechner und jede Menge Vinyl-Schallplatten. Das gedämpfte Scheppern, das zu hören war, kam von The Wedding Present, die leise gestellt waren. Es hörte sich an wie »Brassneck«, aber ein Weddoes-Stück klingt wie das andere, wenn man es leise stellt.
Fast die Hälfte des Studios wurde von einem rohen Holztisch eingenommen, bedeckt von Farbtuben, Pinseln in Gläsern und Spachtelmessern. Zwei Staffeleien standen herum, darauf zwei mit Farbe bekleckste Bilder. Leinwände lehnten in Vierer- oder Fünferreihen an der Wand, manche gerahmt, andere nicht. In der Ecke stand eine Stratocaster mit dem klassischen Yin-Yang-Muster, bei der zwei Saiten fehlten, eine dritte hing nur noch lose herab.
Die hintere Wand war der Grund, warum Finn sich das frühere Hafenamt als Studio eingerichtet hatte: Ein breites Panoramafenster, durch das man auf die Kaianlage, den Tiefseehafen und weiter hinten das Tafelberg-Massiv des Benbulben sehen konnte. Ein Flügel stand offen und eine sanfte Brise wehte herein, die dank der außen eingehakten Tür zur Feuerleiter für einen angenehmen Luftzug sorgte. An manchen Sommerabenden, wenn die Musik ertönte, die Hitze des Tages aufstieg und Finn sein Gras rauchte, wurde es hier im Studio so stickig, dass man die Luft schneiden konnte.
Der Typ im maßgeschneiderten Anzug, der sich auf dem Sofa vor dem Fenster fläzte, erinnerte mich an William Conrad ohne Schnurrbart. Finn deutete auf ihn. »Hast du Gillick schon kennengelernt?«
»Daran würde ich mich erinnern«, säuselte Gillick.
Arthur Gillicks Ruf war einmalig. Wenn man einem Cop während der Abschlussparade in Templemore eine Kugel in den Kopf verpasst hatte, wählte man Gillicks Nummer, wenn einem die Bullen endlich den einen Anruf gestatteten. Er hatte sich in den späten Siebzigern und während der Achtziger einen Namen gemacht als Kronanwalt der Provos, auch wenn es übertrieben wäre, ihm politische Motive zu unterstellen. Allerhöchstens einen eklektizistischen Anarchismus, der darin bestand, jeden drogendealenden Mistkerl, notorischen Gewalttäter und diebischen Stadtstreicher auf freiem Fuß zu lassen. Inzwischen hatte er sein Portfolio erweitert und profitierte vom wirtschaftlichen Niedergang, indem er sich mit Schuldeneintreibung und Zwangsräumungen befasste. Die Krönung seiner Laufbahn war aber vor einigen Jahren die Verteidigung eines aufrechten Bürgers gewesen, der seine Tochter erwürgt und ihre Leiche in den See geworfen hatte, nachdem das Mädchen sich im stolzen Alter von dreizehn Jahren entschlossen hatte, von nun an selbst zu entscheiden, wer ihr das Höschen runterzieht.
Jetzt beugte er seinen massigen Rumpf vor und erhob sich mit der schwerfälligen Eleganz eines Bischofs, der weiß, dass ein Bischof ohne Würde auch bloß irgendein fetter Kerl ist. Breiter Schädel unter einem plattgedrückten wuscheligen Haarschopf, ein eher rundes als fettes Gesicht, etwas schlaff, aber gesund. Sogar leicht gebräunt. Seine großen runden Augen verliehen ihm etwas Eulenartiges, sein Mund war leicht spitz wie ein Schnabel, seine Nase sprang deutlich hervor. Er streckte die Hand aus. Sie war klein und pummelig, nicht übermäßig mit teuren Klunkern verziert und fühlte sich erstaunlich kühl und fest an.
»Arthur Gillick«, sagte er.
»Harry Rigby.«
Er wartete eine Idee länger, als angebracht gewesen wäre, bis er wegschaute. Dann ließ er meine Hand los. »Harry«, sagte er, »so nennt man einen Prinzen.«
Ich schenkte ihm ein schiefes Grinsen und fragte mich, was sonderbarer war: dass er mich überhaupt mit so einer Stegreifstichelei provozierte oder dass er andeutete, dass ich ein Anwärter auf den britischen Thron wäre. Nicht, dass Arthur Gillick in der Position gewesen wäre, mit Steinen im Glashaus herumzuwerfen.
»Es ist die Kurzform von Harrison«, sagte Finn. »Seine Mutter liebte My Fair Lady und hat ihn nach Rex Harrison genannt.«
»Ernsthaft?« Gillick fand das amüsant.
»Hätte schlimmer kommen können«, sagte ich. »Wenn sie mich Pygmalion genannt hätte.«
»Denn dann«, warf Finn ein, »hätten wir ihn Pyggy genannt. Und es wäre womöglich zu Verwechslungen gekommen.«
Gillicks Lächeln veränderte sich bloß im Nanobereich, aber in seinen Schweinsäuglein ging ein Licht aus.
Seine Sticheleien galten nicht mir. Sie galten Finn, der in England adoptiert worden und aufgewachsen war. Seine Mutter hatte ihm einen irischen Namen gegeben, um diesen Makel auszugleichen, der in ihren Augen ein Kainsmal war.
»Wie ich sehe, wissen Sie die Klassiker zu schätzen, Mr Rigby«, sagte Gillick mit weicher, warmer Stimme, die wie schmelzende Schokolade klang. Er deutete auf die herumstehenden Leinwände. »Sind Sie auch ein Förderer der Künste?«
»Seit meine Aktien abgeschmiert sind nicht mehr, nein.«
»Aber, aber, Mr Rigby …« Allein vom Zuhören wurde ich schon zum Diabetiker. »Große Kunst ist nicht bezahlbar, das steht fest. Ihr Wert besteht darin, die Zerbrechlichkeit des Lebens zu beschwören angesichts der, äh …« Er warf Finn einen Blick zu.
»Angesichts eines Universums, das zum allergrößten Teil aus toter Materie besteht«, beendete Finn seinen Gedanken.
»In der Tat. Besonders wenn die Kunst selbst aus toter Materie geschaffen wird.«
Finn klatschte träge Beifall.
»Wirklich zu schade«, stellte Gillick fest, »dass es so teuer ist, sich diese unbezahlbaren Wunderwerke an die Wand zu hängen. Wenn überhaupt mal eines verkauft wird.«
Finn schenkte ihm ein süffisantes Lächeln, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Du bringst schon wieder Preis und Wert durcheinander, Arthur.«
Gillick verbeugte sich geziert. »Genau das wollte ich damit sagen.« Seine Geste der Ehrerbietung endete damit, dass er mit ausgestrecktem Zeigefinger und gerecktem Daumen auf Finn deutete. »Ruf mich an«, sagte er. »Ich tue dir gern diesen einen Gefallen.«
Er nahm sich Zeit beim Weggehen, weil er sonst wie ein Erpel gewatschelt wäre. Ich stieg auf das Sofa vor dem geöffneten Fenster, warf ein Bein über den Sims, stellte den Fuß auf den Mauervorsprung und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Rahmen. Mit der aufsteigenden Hitze drang der Geruch von Teer nach oben, vermischt mit dem salzigen Hauch des Meeres. Ich drehte mir eine Fluppe und wartete, bis das Klappern auf den Metallstufen verklungen war, nahm Finns Nachtsicht-Fernglas vom Haken und beugte mich vor, um damit die Autos unter uns ins Visier zu nehmen. Jimmy saß weiterhin bei geöffneter Tür auf dem Fahrersitz des Saab.
Von Cartron her drang das leise Dröhnen des Verkehrs übers Wasser. Noch leiser und von der Stadt her war das blecherne Heulen einer Sirene zu hören, ob von einem Bullenauto oder einem Krankenwagen, konnte ich nicht sagen. Eine Alarmanlage sirrte insektenhaft.
»Hat er eben einen Anruf bekommen?«, fragte ich.
»Gillick? Nein. Wieso?«
»Nur so.«
Er legte seine Füße samt Mokassins auf den Tisch. »War’s nix mit dem Gras?«
»Ich hab’s im Wagen gelassen, als ich den Schläger vorm Haus gesehen habe.«
»Limerick-Jimmy.«
»Jimmy ja, aber er klang mehr nach Derry.«
Finn deutete einen Schwerthieb an, dann einen Stich. »Er ist sehr geschickt mit der Klinge. Heißt es.«
»Ah.«
Er zog sich einen Kopfhörer übers Ohr und schob ein paar Regler auf dem Mischpult hoch und runter. Dann legte er sich den Kopfhörer wieder um den Hals, lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauch.
»Na, so was«, sagte ich, »hätte nie gedacht, das Gillick schwul ist.«
»Gillick