Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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auf, im Reich, in Preußen und in Sachsen, um sich zu den Lebensmittelgeschäften und Geschäftspraktiken Julius Barmats samt der beteiligten Personen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu äußern. Es ging um die Qualität von Butter und Speck, sophistische Debatten über Brutto- und Nettoinhalte von Milchdosen, »(un)angemessene Preise«, Lieferkonditionen und Finanzierungsfragen, dann aber auch im Zusammenhang mit allen diesen Themen um den Verdacht der Korruption, namentlich die Verbindungen von Julius Barmat zu führenden Sozialdemokraten.

      Verhandelt wurden Fragen der wirtschaftlichen »Grenzmoral« als »Wirtschaftsmoral« des Kapitalismus. Diesen Begriff hatte Götz Briefs, ein Ökonom aus dem Umfeld der katholischen Soziallehre, 1921 in die Diskussion eingeführt. Er meinte damit die Verkehrsmoral »der am wenigsten durch moralische Hemmungen im Konkurrenzkampf behinderte[n] Wirtschafter, die auf Grund ihrer Mindestmoral unter im Übrigen gleichen Umständen die stärksten Erfolgsaussichten haben und sohin die übrigen konkurrierenden Gruppen bei Strafe der Ausschaltung vom Wettbewerb zwingen, allmählich in Kauf und Verkauf sich dem jeweilig tiefsten Stand der Wirtschaftsmoral (›der Grenzmoral‹) anzugleichen«. Dieser »submarginale […] Druck« war, wie Briefs in späteren Zusammenhängen formulierte, nach allgemeiner Anschauung auf der einen Seite höchst verwerflich, weil mit dieser Wirtschaftsmoral kein wirtschaftlicher Nutzen erzeugt würde, was in zeittypischen Bezeichnungen wie Schieber, Kettenhändler und Schwindelunternehmer zum Ausdruck komme. Zugleich sah der Ökonom aber sehr wohl, dass sich in diesem Begriff der »Grenzmoral« immer auch Reaktionen auf dynamische Prozesse »schöpferischer Vernichtung« (Josef Schumpeter) widerspiegelten: auf neue Produktionsformen und innovative Unternehmer, die durch ihr wirtschaftliches Handeln etablierte und auch moralische Normen unterliefen.58

      Vor allem der in der ersten Reichsregierung für die Volksernährung zuständige Minister Robert Schmidt (SPD) sah sich bei den Ermittlungen heftigen Angriffen ausgesetzt. War er für das »Festsetzen der Spinne Barmat in der gesamten Lebensmittelversorgung Deutschlands 1919/20 verantwortlich«, wie 1925 auch der bayerische Gesandte in seinem Bericht aus der Reichshauptstadt unterstellte? Das Verhör des Ex-Ministers im Reichstagsausschuss wurde dementsprechend mit großer Spannung erwartet, doch kam er »leidlich unlädiert« aus den Befragungen heraus, da selbst »die Rechte geneigt scheint, ihm das beneficium des Ehrenmanns nicht abzustreiten«.59 Ähnliches wiederholte sich bei den Aussagen Schmidts im Preußischen Untersuchungsausschuss.

      Schmidt wusste bereits beim ersten Zusammentreffen mit Barmat, dass der Amsterdamer Kaufmann im Krieg auf der deutschen Seite gestanden hatte – die Tatsache, dass er auf der Schwarzen Liste der Briten stand, war für ihn, wie er betonte, »eine Empfehlung«, ebenso wie die Lieferungen nach Deutschland, vor allem als die Niederlande 1919 zeitweise die Exporte stoppten. Mehr als alles andere zählte aber für den einstigen Minister, dass Barmat 1919 zu denjenigen gehörte, die auf dem leer gefegten und blockierten Weltmarkt überhaupt Lebensmittel beschaffen konnten, und das offenbar in großen Mengen. Der Kaufmann machte auf ihn den Eindruck eines »vertrauenswürdigen und tüchtigen Geschäftsmanns«, auch wenn ihm seine etwas »aufdringliche Art« missfiel, was aber nicht nur für Barmat kennzeichnend gewesen sei.60

      Schmidt traf Barmat nur zwei Mal. Dieser habe bei ihm weniger vorgesprochen, um sich über Geschäfte zu unterhalten, wofür ganz andere Stellen und Personen zuständig waren. Vielmehr habe er sich darüber beschwert, dass er, der Sozialdemokrat und Jude Barmat, von den alten Beamten benachteiligt werde. Nach Schmidts Eindruck hatte er »mit dieser Beschwerde nicht ganz unrecht«, zumal renommierte Banken, darunter die Diskontogesellschaft oder das Bankhaus Mendelssohn, seine Person ausgesprochen günstig beurteilten.61 Der Vorsitzende des Diktatorischen Ausschusses Pritschow erklärte später, wie er die Anweisung Schmidts, Barmat anzuhören, verstand: Man solle Barmat nicht vor den »Kopf stoßen«, ihn »nicht hinauswerfen« (wie das offenbar bei vielen Kaufleuten, die vorsprachen, der Fall war) und ihn »in den Formen des kaufmännischen Verkehrs anständig behandeln«.

      Eine Reihe von damaligen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums, darunter zahlreiche Unternehmer aus Industrie und Handel, die hohe Positionen in Kriegswirtschaftsstellen eingenommen hatten, sahen das anders. Ihr Vorwurf lautete, der SPD-Sympathisant Barmat sei systematisch protegiert worden. Zwar sei bei der Vergabe von Aufträgen kein direkter Druck ausgeübt worden; passive oder aktive Bestechung, also Formen von Korruption, ließen sich, wie sie auf Nachfrage zugeben mussten, nicht nachweisen. Sie empfanden Barmat aber als »politischen Faktor«, mit dem man rechnen musste. Man fügte sich, weil man dem Freund der »maßgeblichen Herren«, sprich: Schmidt und der Regierung Gustav Bauer (SPD), eben zu Gefallen sein wollte.62 Solche Aussagen lassen deutlich das Misstrauen gegen »die neuen Männer« erkennen, die nun in der Politik wie in der Wirtschaft ein Wort mitzusprechen hatten. Barmat, ein Konkurrent, schien sich überall breitzumachen.

      Barmat war in der Lage zu liefern, und zwar nicht nur an das Reich, sondern auch an staatliche Stellen in Württemberg und Sachsen. In den Niederlanden verfügte der Kaufmann über ein weitverzweigtes Netz von Agenten und konnte im Gegensatz zu anderen deutschen Importeuren nicht nur in Rotterdam, sondern auch im belgischen Antwerpen einkaufen. Außerdem bot er günstige Finanzierungsmodalitäten an. Auf einem anderen Blatt stand, ob seine Preise wirklich so günstig und die Qualität immer einwandfrei waren. Schmidt und andere frühere Beamte der einschlägigen Reichsbehörden wussten zu berichten, dass Barmat mehr versprochen, als er dann geliefert habe, was ihn aber ebenfalls nicht von anderen Auslandslieferanten unterschieden habe.

      Der Umfang der Lieferungen nach Deutschland in der Nachkriegszeit war beachtlich, wenn auch bei Weitem nicht so umfangreich, wie gern berichtet wurde.63 Der Vorsitzende des Diktatorischen Ausschusses schätzte, dass sich die mit den Reichsernährungsstellen abgeschlossenen Geschäfte Barmats auf 20 Mio. Gulden beliefen, was 30 Mio. Goldmark entsprach – bei insgesamt 3,7 Milliarden Goldmark für Einfuhren aller Reichsstellen also einem Anteil von gerade einmal einem knappen Prozent.64 Hinzu kamen die Nahrungsmittellieferungen der Amexima an andere Stellen, allein 1919/1920 nach Sachsen in Höhe von 211 Mio. Papiermark (wegen der fortschreitenden Inflation entsprach das etwa 22 Mio. Goldmark). Hinzu kamen Geschäftsbeziehungen nach Österreich, die 1920/21 ausgebaut wurden und bald den Handel mit Deutschland überflügelten. Neben Nahrungsmittelvereinbarungen hatte die Amexima 1919 Kontrakte mit den einschlägigen Stellen des Reiches wie der Länder über große Lieferungen von Textilien aus den Niederlanden, darunter solche für Lumpen, die für die Papierproduktion gebraucht wurden, für die Barmat im Gegenzug Papier für sozialistische Zeitungen nach Holland lieferte (worin manche einen Verstoß gegen die Bewirtschaftungsgesetze und Ausfuhrbestimmungen sahen).65

      Finanzierungsfragen

      Die Beschaffung und Lieferung von Lebensmitteln war aber nur die eine Seite des Geschäfts. Wichtiger für das Reich waren die – damals wie später heftig umstrittenen – Finanzierungskonditionen. Die Reichsbank und die einschlägigen Großbanken wollten oder konnten 1919 keine Devisen für Nahrungsmittelimporte zur Verfügung stellen. Erst als nach längerem Hin und Her die Finanzierungsmodalitäten geklärt waren, kamen die Reichsstellen mit der Amexima ins Geschäft. Barmats Angebot war insofern attraktiv, als er mit einer Kreditfrist von sechs bis neun Monaten, in Sachsen sogar bis zu zwölf Monaten, lieferte, d.h., er übernahm die Vorfinanzierung. Dazu besorgte sich die Amexima mittels der Auftragsbescheinigungen bei niederländischen und deutschen Banken die erforderlichen Kredite.66 Die fluktuierenden Devisenkurse machten darüber hinaus komplizierte Finanztransaktionen in Form von Sicherungsgeschäften notwendig. Die politisch umstrittene Frage lautete, ob das legal war, vor allem aber, ob Barmat »übermäßige Gewinne« erzielte. Lieferte er zu überhöhten Preisen, die durch seine Finanzierungskonditionen nicht gerechtfertigt waren? Es ging um viel Geld. Barmat stach Konkurrenten aus, darunter etablierte Geschäftshäuser. Der Höhepunkt der deutschen Lebensmittelgeschäfte mit Barmat fiel in die ersten Monate nach 1919 bis in den Sommer 1920. Ab dem Winter 1919/20 schloss das Reichswirtschaftsministerium direkt mit amerikanischen Schlachthäusern Lieferungsverträge über Fleisch, Speck und Schmalz in hohen Dollar-Millionenbeträgen ab, sodass man nicht länger auf Vermittlungen von Personen wie Barmat angewiesen war.67

      Barmats günstige Konditionen provozierten Neid und Missgunst, zunächst


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