ERDBEERMUNDALLERGIE. Inka Neumarkt

ERDBEERMUNDALLERGIE - Inka Neumarkt


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im Nichts. Links und rechts zogen Felder an ihr vorbei, und auch Felder, und dann gab es noch Felder. Auf beiden Seiten der zu schmalen Straße erklärte ein Graben, dass Seitenstreifen nur was für Weicheier waren. Manchmal wurde sie trotzdem überholt. Die Welt war mit Irren bevölkert, aber das wusste sie längst.

       Einundzwanzig, atmen, zweiundzwanzig, atmen.

      Verrückt! So sehr hatten sie ihre Brüste nicht mal in der Stillzeit genervt. Weder bei Leander, obwohl der sie reichlich gefordert hatte, noch bei Marlene.

      Ach, die Kinder! Laut schluchzte Marge ein paar Tränen fort. Wären die Kinder erreichbar gewesen, wäre sie gar nicht hier. Dann hätte sie nämlich nicht … dann hätte er nicht … Dummes Zeug! Mit Leander und Marlene hatte das alles gar nichts zu tun. Es lag einzig an ihrem …

      Verdammt, das Jucken ließ einfach nicht nach. Wenn es hier überall Felder gab, musste es doch auch irgendwo Feldwege geben. Irgendwann würde einer von der Straße abgehen, dort könnte sie ein Stück hineinfahren und endlich dieses juckende, verfluchte Scheißding von einem mist-kack-sadistischen BH ausziehen. Wie kamen die Leute denn auf ihre Felder, wenn es hier keine beschissenen Feldwege gab?

      Verzweifelt blickte Marge die Straße entlang. Und dann fiel es ihr wieder ein: Arielle! Arielle – die Schlampe, wie sie von heute an nur noch heißen würde – hatte ihr von der Krätze erzählt. Hast du schon gehört, Maa-haadsch?, hatte sie gesagt, immer sagte sie Maa-haadsch, und Marge biss seit Jahren dabei die Zähne zusammen. Maa-haadsch, stell dir mal vor, es gibt wieder Krätze, ist das nicht eklig? Und ob! Beim Anprobieren in Billigläden, hatte Arielle gesagt und Marge dabei angeschaut, als wäre sie eine Risikogruppe, könne man sich diese Mittelalter-Krankheit heute glatt wieder wegholen. Schämen müsse sich niemand dafür, nicht wahr? Maa-haadsch?

      Komm schon, Marge, atmen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, atmen, atmen, denk einfach nicht dran, nicht an Arielle, diese Schlampe, nicht an – da! Endlich ein Feldweg.

      Mit einem Ha! stieß sie die Luft aus, umklammerte das Lenkrad und wollte gerade abbiegen, um sich das zarte Spitzendessous alias eiserne Jungfrau mit Stechmücken vom Körper zu reißen, als ein Trecker auf eben diesem Feldweg auftauchte. Wie aus dem Nichts. Und vor ihr auf die Landstraße fuhr. Aber so ein Ding konnte nicht aus dem Nichts erscheinen, nicht plötzlich da sein, sich heimlich herangeschlichen haben. Wusste Marge ja, und deshalb war sie verwirrt und fuhr am Feldweg vorbei.

      Verdammt! Vermutlich dauerte es eine Ewigkeit, bis die nächste Gelegenheit kam. Falls jemals wieder eine Gelegenheit kam. Niemals wieder würde eine Gelegenheit kommen. Ach, das Leben war eine Tortur. Dazu hatte sie jetzt auch noch einen Trecker vor sich. Volles Programm! Mit einem normal großen Auto dürfte sie ihn auf dieser Straße nicht überholen, aber mit diesem dämlichen Monster von einem Wohnmobil könnte sie es auch nicht.

      Sie drückte sich gegen den Sitz. Tränen standen ihr in den Augen. Sie hatte keine Lust mehr. Für eine Sekunde war sie versucht, einfach die Augen zu schließen. Tolle Idee. Dann würde man später über sie sagen, sie sei mit zerkratzen Brüsten auf einen Traktor gekracht. Lieber sollte sie Arielle, die Schlampe, erwürgen. Oder Clemens. Ihren Mann. Also nicht den Mann von Arielle, dieser Schlampe. Die hatte nämlich keinen. Deswegen hatte sie auf Clemens gelegen. Dem Mann von ihr, Marge, wie sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr genannt werden wollte. Weil sie den Namen Margarethe Agathe, den ihr ihre Mutter wegen deren Mutter aufgedrückt hatte, so schrecklich fand. Lieber würde sie sterben, als so genannt zu werden. Wobei Arielle auch auf Clemens liegen würde, wenn sie einen eigenen Mann hätte. Weil sie nämlich eine ganz blöde Schlampe war. Und keine beste Freundin, wie Marge die letzten fünfzehn Jahre angenommen hatte.

      Verdammter Scheiß! Fuhr der Trecker jetzt noch langsamer? Sie würde ihn nie überholen, nie eine Chance zum Anhalten finden, das Jucken würde niemals aufhören, nicht, solange die Spitzenwäsche ihre Brüste umschloss. Nichts würde sich ändern, wenn sie nicht irgendwas unternahm. Nie. Niemals.

      Hatte der Trecker überhaupt einen Motor? Oder wurde er von Schlitten-Schnecken gezogen?

      Vielleicht würde es helfen, wenn sie die Körbchen zur Seite schob. Umständlich fummelte sie den Verschluss auf, immerhin war der sexy Frontalverschluss eine sinnvolle Wahl gewesen. Heute hätte wirklich ein guter Tag werden können. Einen Mops-Quäler stopfte sie rechts unter die Achsel, einen nach links. Es war das letzte Treffen vor der Show gewesen. Seit Wochen arbeitete sie schon darauf hin. Es sollte eine Präsentation ihrer Jugend-Schreib-Gruppe werden, eine Mischung aus Texten und Musik. Die Jugendlichen übernahmen sogar das Catering selbst. Zwischendurch, ganz unaufdringlich, sollte es kurze Lesungen der Literaten-Runde geben, bei der Marge selbst seit einiger Zeit Mitglied war. Genaugenommen, betonte Marge stets, machten die Jugendlichen also die ganze Arbeit selbst, was natürlich einerseits stimmte, andererseits war alles durchaus zeit- und kraftaufwendig, weshalb es wohl völlig okay war, ein wenig erschöpft zu sein. Manchmal kam sie sich vor, wie eine Hundertjährige in einem Hollywoodfilm. Was völliger Nonsens war. Niemals würde eine Hundertjährige in einem Hollywoodfilm mitspielen dürfen, aber sie wusste, was sie damit ausdrücken wollte. Und dass Clemens solche Formulierungen nicht immer verstand, war Teil des Problems. Des Problems, das ihr bis dato zwar tendenziell nervig, aber dennoch erträglich vorgekommen war.

      Verdammt! Jetzt juckten nicht nur ihre Brüste und der Streifen auf dem Rücken, jetzt war auch das Krabbeln unter den Achseln kaum noch zu ertragen. Clemens hatte ihre Sehnsucht nach künstlerischem Ausdruck immer als liebenswerte Ambitionen belächelt, dafür hatte sie seinen Spaß am Campen immer als putziges Hobby abgetan. Jeder hätte sich vom anderen wohl etwas mehr gewünscht, aber so lief das eben in einer langjährigen Ehe. Man machte Kompromisse. Die eine mehr, der andere weniger.

      Marge schnaubte. Seit wann ging das schon so? Überhaupt alles. Und dann diese Fahrt. Wann war sie wutschnaubend losgefahren, bloß weg vom Gorinsee, vom Campingplatz, von ihrem ehemaligen Leben?

      Nein. Das war nicht übertrieben.

      Mit der rechten Hand versuchte sie sich den linken BH-Träger von der Schulter zu reißen. Keine gute Idee. Schnell hielt sie das Lenkrad wieder mit beiden Händen.

      Vermutlich war er mit dem Ding auch nicht häufig gefahren. Er. Clemens. Clemens, der Arsch, dachte sie. Das wurde jetzt sein offizieller Name. Genau. Clemens, der Arsch. Nicht: Herr! Doktor! Clemens! Siebenthal!

      Jedes einzelne Wort hinterließ einen Spucketropfen auf dem Armaturenbrett. Die würde sie da lassen. Auf seinem geliebten, heiligen Wohnmobil-Monster.

      Ein einziges Mal hatten sie darin gemeinsam Urlaub gemacht. Im Teutoburger Wald. Es war grässlich gewesen. Nicht, weil ihr der Komfort gefehlt hatte. Das hatte sie alles zu Hause. Da hatte sie längst ihr Badezimmer zu einer Wellness-Oase umgestaltet. Sogar ein Mini-Bar-Kühlschrank stand neben der großen Wanne. Für ihre spezielle Cellulite-Creme, hatte sie Clemens, dem Arsch, erklärt. Der ihr vielleicht alles glaubte, sich aber vielleicht auch einfach für nichts interessierte. Zumindest fand er nie die Prosecco-Fläschchen, die darin standen und nach jedem Wannen-Erholungs-Urlaub ersetzt wurden. Wenn sie sich schon fühlte wie das Klischee einer unzufriedenen Gattin, wollte sie wenigstens auch die Vorzüge abbekommen.

      Im Teutoburger-Wald-Urlaub hatte er ihr ständig erzählt, wie romantisch das alles sei, wie jung er sich fühle. Sie hätte sich damals auch gern jung gefühlt. Es fiel ihr jedoch nicht ganz leicht, weil ihr Mann mit Camper-Senioren beim Kaffeeklatsch saß und ausdauernd über die Vorzüge künstlicher Hüftknochen sprach. Dazu bezeichnete er diesen Flugzeugträger von einem Mobil als improvisiert und den Stellplatz habe er, wie er ständig betonte, völlig spontan gebucht. Etwa ein Jahr im Voraus. Mit Frühbucher-Rabatt. Aber sie war bereit gewesen, das Beste aus der Sache zu machen, schließlich war es ja auch ein ganz kleines bisschen niedlich, dass er sich Gedanken darüber machte, wie sie sich eine schöne Zeit machen könnten. Deshalb hatte sie eine Weile darüber nachgedacht, wie sie völlig spontan eine aufregende Sex-Szene inszenieren könnte, hatte sich hübsch ausgezogen, lasziv zwischen Bett und Sitzecke geklemmt, er war hocherfreut auf sie zugekommen, hatte sie hochgehoben, sie hatte ihre


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